Stand: 15.09.2020 14:38 Uhr

Nord Stream 2: Bundesregierung eingekeilt im Machtspiel

von Stefan Buchen
Der Hafen von Sassnitz © NDR Foto: Screenshot
Seit nunmehr neun Monaten ist der Weiterbau der Gasleitung Nord Stream 2 durch die Sanktionspolitik der USA gestoppt.

Eine Regierung werde durch Wirtschaftssanktionen eher nicht zu einer Änderung ihres Verhaltens gebracht. So dozierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in der Talksendung "hart aber fair". Der Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte damit gegen den Stopp der Gasleitung Nord Stream 2 argumentieren. Einen solchen Stopp haben Vertreter seiner Partei, der Grünen und der FDP gefordert als Reaktion auf den Giftanschlag, mit dem der russische Oppositionelle Alexej Nawalny ermordet werden sollte.

VIDEO: Nord Stream 2: Bundesregierung eingekeilt im Machtspiel (10 Min)

USA drohen mit Verschärfung der Sanktionen

Dabei scheint Altmaier, so schwer dies fallen mag, sich selbst übersehen zu haben. Denn die Arbeiten an Nord Stream 2 ruhen, unabhängig von dem Anschlag auf Nawalny, seit neun Monaten. Die Bundesregierung hat ihr Verhalten wegen der von den USA gegen die Gasleitung verhängten Sanktionen verändert. Parlamentarier und Regierung in Washington haben nun eine Verschärfung der US-Sanktionen angedroht. Allein dies führt zu weiteren Verhaltensänderungen bei Regierung und Unternehmen in Deutschland.

Nord Stream 2 © NDR Foto: Screenshot
Die geplante Gas-Pipeline "Nord Stream 2".

Ursprünglich hatte die Bundesregierung die Leitung, die Erdgas von Russland durch die Ostsee nach Deutschland und andere EU-Staaten transportieren soll, als reines Wirtschaftsprojekt von Energieunternehmen bezeichnet. Finanziert wird die rund zehn Milliarden Euro teure Pipeline zur Hälfte vom russischen Rohstoffkonzern Gazprom und zur anderen Hälfte von den beiden deutschen Energieriesen BASF und Uniper sowie von OMV aus Österreich, der französischen Engie und von Shell. Aber dass es hier "nur um Wirtschaft" und nicht um große internationale Politik gehen soll, hat sich als eine kolossale Fehleinschätzung erwiesen.

Seit 2017 bereits "Gesetz zur Bekämpfung der Gegner Amerikas"

Sanktionsgesetz © NDR Foto: Screenshot
Das Sanktionsgesetz CAATSA sagt explizit, dass das Weiße Haus sich Nord Stream 2 entgegenstellen soll.

Schon 2017 hat der Kongress in Washington ein "Gesetz zur Bekämpfung der Gegner Amerikas mittels Sanktionen" verabschiedet (Countering America´s Adverseries through Sanctions Act, kurz CAATSA). Darin heißt es explizit, dass das Weiße Haus sich der Pipeline Nord Stream 2 entgegenstellen soll. Das tut die US-Regierung unter Donald Trump mit steigender Intensität. Am 15. Juli hat Trumps Außenminister Mike Pompeo angekündigt, die Durchführungsbestimmungen von CAATSA zu verschärfen. Dadurch geraten auch die erwähnten fünf europäischen Energieunternehmen verstärkt in das Visier der amerikanischen Sanktionspolitik.

Wie akut die Drohungen gegen die fünf Investoren sind, zeigen Recherchen von Panorama 3. Demnach soll die Amerikanische Botschaft in Berlin im Juli Vertreter der Energieunternehmen zu einer Videokonferenz eingeladen haben. Amerikanische Regierungsbeamte haben den Recherchen zufolge die Wirkungen der Sanktionen gegen Nord Stream 2 erläutert und die Möglichkeit erwähnt, dass die Konten der Unternehmen in den USA eingefroren und die Namen von Unternehmensvertretern auf die US-Sanktionsliste gesetzt werden könnten.

Wer auf der US-Sanktionsliste steht, ist geschäftlich tot

Michael Harms © NDR Foto: Screenshot
Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, bestätigt, dass es "solche Einladungen an die beteiligten Unternehmen durch die US-Botschaft gegeben hat."

Wir haben dem Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Michael Harms, die Recherchen vorgelegt. Der Lobby-Verein tritt für gute Wirtschaftsbeziehungen mit den osteuropäischen Staaten und mit Russland ein. Geschäftsführer Harms bestätigt, dass es "solche Einladungen an die beteiligten Unternehmen durch die US-Botschaft gegeben hat." Wörtlich zitieren könne er aus den Gesprächen nicht. "Das sind meist nicht physische Einladungen in die Botschaft, sondern das sind Online-Meetings, wo Vertreter des State Department, des OFAC (Office of Foreign Assets Control, Unterbehörde des US-Finanzministeriums, Anm. der Redaktion) und des amerikanischen Energieministeriums die Unternehmen aufklären, was ihnen drohen würde, wenn diese Sanktionen in Kraft treten", sagt Michael Harms im Interview mit Panorama 3.

Auf der Sanktionsliste des OFAC zu landen ist ein Albtraum für Unternehmer. Dort finden sich die Namen der Verwandten von Usama bin Laden und der Manager von Firmen, die den iranischen Revolutionsgarden gehören. Wer auf dieser Liste steht, ist geschäftlich tot, kann in den USA und weiten Teilen der Welt wirtschaftlich nicht mehr tätig sein. Dass amerikanische Regierungsbeamte europäischen Energieunternehmen unverhohlen mit dieser Liste drohen, halten Kenner der Materie für ein Alarmzeichen. "Es brennt die Luft", sagt ein Insider zu Panorama 3. Wir haben bei den fünf betroffenen Großunternehmen nachgefragt. Drei von ihnen teilen mit, dass man sich zu vertraulichen Gesprächen nicht äußere. Zwei verweigerten jeden Kommentar.

Den Fährhafen Sassnitz erreichte ein Drohbrief

Mike Doran © NDR Foto: Screenshot
Michael Doran, Experte für das konservative Hudson Insitute, betont im Interview mit dem NDR, Sanktionen seien "unvermeidlich", wenn Deutschland an Nord Stream 2 festhalte

Die US-Botschaft ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet. Im Interview mit dem NDR erklärt der Experte für Internationale Beziehungen, Michael Doran, der für das konservative Hudson Institute arbeitet und Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat der Regierung von George W. Bush war, die amerikanische Sanktionspolitik. "Ich sehe keine Möglichkeit für ein Nachgeben der Vereinigten Staaten bei Nord Stream 2", sagt Doran. "Wenn die Deutschen an dem Projekt festhalten, sind Sanktionen unvermeidlich." Die Deutschen seien "frei, mit Russland Geschäfte zu machen." Dann hätten die USA allerdings "die Freiheit, diese Unternehmen vom Zugang zum amerikanischen Markt abzuschneiden." Die harte Haltung begründet Doran mit dem Ziel, die Europäer vor zu großer Abhängigkeit von Russland in der Energieversorung bewahren zu wollen.

Brief der US-Senatoren bezüglich Nord Stream 2 mit Aufforderung, den Bau zu stoppen. © NDR Foto: Screenshot
"Diese Pipeline muss gestoppt werden", heißt es in dem Drohbrief der US-Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson an die Fährhafen Sassnitz GmbH.

In einem Brief vom 5. August an die Fährhafen Sassnitz GmbH hatten drei amerikanische Senatoren einen ähnlichen Ton angeschlagen. Für den Fall, dass der Hafen, der zu 90 Prozent der Stadt Sassnitz und zu zehn Prozent dem Land Mecklenburg-Vorpommern gehört, russische Rohrverlegeschiffe mit Dienstleistungen versorgen sollte, drohen die Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson "vernichtende Sanktionen" an. Diese würden "in dem Augenblick" ausgelöst, in dem ein solches Schiff "auch nur ein Rohrstück in der Ostsee versenkt". Die Pipeline müsse "gestoppt werden". Für die Vereinigten Staaten sei dies "eine Frage der nationalen Sicherheit."

Bürgermeister: "Ich weiß nicht, wann und wie es weitergeht"

Frank Kracht © NDR Foto: Screenshot
Frank Kracht, Bürgermeister der Stadt Sassnitz auf Rügen, ist mitten hineingeraten in einen Konflikt zwischen Russland, den USA und Deutschland.

"Ich weiß nicht, wann und wie es weitergeht", bekennt der Bürgermeister von Sassnitz, Frank Kracht, im Interview mit Panorama 3. Faktisch werden seit Dezember 2019 keine Rohre mehr am Grund der Ostsee verlegt. Damals verließ ein niederländisches Verlegeschiff geradezu fluchtartig die Baustelle bei der Insel Bornholm aus Angst vor US-Sanktionen. Die russischen Verlegeschiffe, die als Ersatz gekommen sind, liegen bislang untätig in Sassnitz und Rostock.

Nur rund 150 Kilometer, also ein kleiner Bruchteil, fehlen noch bis zur Fertigstellung der Gasleitung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat, etwa bei der Sommerpressekonferenz am 28. August, immer wieder den Willen bekräftigt, dass Nord Stream 2 zu Ende gebaut werden solle. Sie und ihre Minister Heiko Maas, Olaf Scholz (beide SPD) und Peter Altmaier haben wiederholt öffentlich ihre "Ablehnung der extraterritorialen Sanktionen der Vereinigten Staaten" bekräftigt.

"Keine leeren Drohungen der USA"

Aber tatsächlich scheint die Bundesregierung dem kritisierten amerikanischen Eingriff in die deutsche und europäische Energiesouveränität wenig entgegenzusetzen zu haben. Das ergibt sich etwa aus unserem Gespräch mit dem Bürgermeister von Sassnitz. Frank Kracht berichtet von einem Besuch im Auswärtigen Amt. Dort hätten "Fachleute" ihm die Wirksamkeit der Sanktionen "erklärt".

Man habe ihm klar gemacht, "dass es keine leere Drohung ist", und dass die der Sanktionspolitik zugrunde liegenden Gesetze "fast einstimmig" vom Kongress in Washington beschlossen worden seien. "In der Vergangenheit" habe man in Amerika "solche Dinge schon durchgezogen." Die Fachleute des Auswärtigen Amtes hätten betont, dass "Gesellschafter und Geschäftsführer" der Hafen Sassnitz GmbH auf die Sanktionsliste kommen könnten.

Deutschland tut so, als hätte es eine Wahl

Auf Anfrage dementiert das Auswärtige Amt den Bericht des Bürgermeisters nicht und ergänzt, dass man aus vertraulichen Gesprächen nicht berichte. Ein Interview mit Panorama 3 lehnte Außenminister Heiko Maas "aus Zeitgründen" ab. Auch Wirtschaftsminister Altmaier verweigerte sich einem Interview. Sprecher der Ministerien verweisen gegenüber Panorama 3 auf die ablehnende Haltung der Bundesregierung bezüglich der extraterritorialen Sanktionen.

Seit dem Mordanschlag auf Alexej Nawalny diskutiert Deutschland, ob es Putin durch einen Stopp von Nord Stream 2 bestrafen oder ob es mehr auf die eigenen Wirtschaftsinteressen achten soll. Als hätte es eine Wahl. Der Bau der Gasleitung ist seit neun Monaten faktisch gestoppt - wegen der Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 15.09.2020 | 21:15 Uhr

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