Fragwürdige Rindertransporte: Was wissen Aufsichtsbehörden?

Stand: 09.02.2021 06:00 Uhr

Für Tiertransporte gelten strenge Regeln, doch immer wieder werden Rinder über Tausende Kilometer in Nicht-EU-Staaten transportiert, Tierschutzstandards werden dabei nicht immer eingehalten.

von René Althammer, Kaveh Kooroshy, Brid Roesner

Seit vergangenem August ist bekannt, dass es ein bundesweites "Schlupflochsystem" für Rinderexporte gibt. Es ermöglicht Tiertransporte über Tausende Kilometer in Nicht-EU-Staaten. Tierschutzstandards werden dabei nicht immer eingehalten. Die zuständigen Minister versicherten, das müsse aufhören. Doch Recherchen von Panorama 3, des Mittagsmagazins und rbb24 Recherche belegen: Die Transporte gehen weiter.

Schlupfloch Niedersachen

Der niedersächsische Landkreis Aurich gehört für Exporteure zu den bevorzugen Kreisen, wenn es um die Abfertigung von Lebendtierexporten in Nicht-EU-Länder geht. Am 5. Dezember wurde dort ein Transport mit vier Lkw und insgesamt 136 Rindern abgefertigt. Ziel: Marokko. Die Landetappe ging über 2.928 Kilometer zum spanischen Hafen Algeciras. Eine Strecke, für die nach unseren Berechnungen zwei Fahrer eingesetzt werden müssten, um die Fahrtzeit so kurz und für die Tiere stressfrei wie möglich zu halten. Laut Transportplanung, die vom Veterinäramt bestätigt wurde, ist aber nur ein Fahrer dokumentiert. In 85 Stunden sollte er die Strecke schaffen und zwischendurch auch noch die Tiere ordentlich versorgen. Wenn ein Fahrer jedoch die Lenk- und Ruhezeiten einhält, schafft er maximal 2.660 statt 2.928 Kilometer. Hinzu kommt, dass die Rinder alle 29 Stunden abgeladen werden und für 24 Stunden ruhen müssen. Wenn nur ein Fahrer fährt, verlängert sich die Fahrzeit, die Tiere müssen eigentlich öfter abgeladen werden. Was in den vorliegenden Dokumenten völlig fehlt: Wie geht es ab dem spanischen Hafen Algeciras und durch Marokko weiter. Dennoch wurde der Transport freigegeben.

Auf mehrfache Nachfrage räumt der Landkreis Aurich ein, dass in der genehmigten Planung wirklich nur ein Fahrer vermerkt war, allerdings habe der Transporteur "versichert", dass ein zweiter Fahrer eingesetzt werden würde. Dokumentiert ist das nicht. Die nachträgliche Prüfung des Transportes sei "noch nicht abgeschlossen".

"Tierschutz nicht mehr sicherzustellen"

Michael Marahrens, Friedrich-Loeffler-Institut © NDR Foto: Screenshot
Würde den Transport wohl untersagt haben: Dr. Michael Marahrens vom Friedrich-Loeffler-Institut.

Und in einem Transport, der am 14. Dezember vom brandenburgischen Dahme/Mark nach Tatarstan in Russland unterwegs war, sank die Temperatur laut Transportunterlagen, die dem Mittagsmagazin, rbb24 Recherche und Panorama 3 vorliegen, immer wieder auf  weniger als 5 Grad im Inneren des Lkw. Der Vorgang wirft Fragen auf, denn für solche Transporte gelten strenge Vorgaben. So soll die Temperatur im Transportraum nicht unter 5 Grad sinken, auch wenn bei den Messungen Toleranzen von +/- 5-Grad zulässig sind. "Erfahrungsgemäß ist ein Transport von Tieren bei weniger als -10 Grad nicht mehr möglich", heißt es aber ergänzend im "Handbuch Tiertransporte". Dr. Michael Marahrens vom Friedrich-Loeffler-Institut gehört neben Vertretern mehrerer Landesministerien zu den Autoren des "Handbuchs". Er erklärt im Interview, trotz technischer Möglichkeiten würde er "als abfertigende Behörde diese Transporte untersagen, weil der Tierschutz dann nicht mehr sicherzustellen" sei.

Kälteeinbruch war abzusehen

Ina Müller-Arnke, Nutztierexpertin bei "Vier Pfoten" © NDR Foto: Screenshot
Kritisiert die Genehmigung: Ina Müller-Arnke, Nutztierexpertin "Vier Pfoten"

Ina Müller-Arnke, Nutztierexpertin bei der Tierschutzorganisation "Vier Pfoten", sieht solche Transporte kritisch: "Wenn das nicht sichergestellt werden kann, dass der Betreiber irgendwie auf dem Transport diese Temperatur halten kann, dann darf er nicht fahren." Das Veterinäramt räumt dazu auf Anfrage ein, dass bereits vor Transportbeginn ein "Kälteeinbruch" abzusehen war, daraufhin sei die Transportplanung verändert worden, um das Ziel schneller zu erreichen. "Wie kalt es genau auf dem Hänger wurde, wird im Einzelnen noch geprüft und dokumentiert, es war aber definitiv kälter als zulässig", heißt es weiter.

Diese Fälle zeigen: Bei solchen Rindertransporten gibt es viele offene Fragen.

Wie steht es um ein Exportverbot?

In einem Entschließungsantrag wird nun die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, ob ein Exportverbot von lebenden Nutztieren in bestimmte Länder festgelegt werden kann. Der zuständige Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz geht noch weiter, er fordert, auch auf EU-Ebene Transporte zu untersagen, "wenn konkrete Anhaltspunkte die ernsthafte Möglichkeit begründen", dass der Tierschutz nicht gewährleistet werden kann. Außerdem sollen Kontrollen und Zertifizierungen dafür sorgen, dass Versorgungsstationen sowie Häfen eine tierschutzgerechte Beförderung sicherstellen. Am 12.02. entscheidet der Bundesrat über den Entschließungsantrag und die weitergehenden Vorschläge des Agrarausschusses. Die Bundesländer Bremen, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben auf Nachfrage schon ihre Zustimmung signalisiert.

 

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Rinder werden eine Rampe auf ein Schiff hoch getrieben. © Animal Welfare Foundation

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 09.02.2021 | 21:15 Uhr

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