Sendedatum: 16.01.2018 21:15 Uhr

Auschwitz-Prozess eingestellt: Recht gebeugt?

von Tom Fugmann

Der Prozess endete mit einem Eklat: Nach mehreren Befangenheitsanträgen wurden drei Richter in Neubrandenburg ausgetauscht. Seit Beginn des Prozesses im Februar 2015, wurden Entscheidungen der Richter in Neubrandenburg immer wieder angezweifelt: Zunächst wollten die Richter das Verfahren nicht eröffnen, mussten erst durch eine höhere Instanz dazu aufgefordert werden. Die Richter hielten dann daran fest, dass der Angeklagte aufgrund seines hohen Alters nicht verhandlungsfähig sei, obwohl medizinische Gutachten zu anderen Ergebnissen kamen. Trotz anderslautender Entscheidungen einer übergeordneten Instanz wurden auch die Auschwitz-Überlebenden Walter und William Plywaski als Nebenkläger nicht zugelassen.

VIDEO: Auschwitz-Prozess eingestellt: Recht gebeugt? (6 Min)

Verfahren nach zwei Jahren eingestellt

Die Richter schienen nicht willens, den Prozess gegen Z. führen zu wollen, so die Staatsanwaltschaft Schwerin. Das bedeutete konkret: Es wurden keine Zeugen gehört oder Beweise aufgenommen, die die Schuld des Angeklagten hätten belegen können. In den zweieinhalb Jahren Verfahrensdauer wurde an nur vier Tagen verhandelt. Staatsanwaltschaft und Nebenklage warfen dem Gericht vor, das Verfahren absichtlich in die Länge zu ziehen.

Das Verfahren gegen Hubert Z. kann nun aber trotzdem nicht weitergeführt werden. Der Angeklagte leidet unter fortschreitender Demenz. Nach zwei Jahren musste das Verfahren deshalb eingestellt werden. Der Anwalt von Hubert Z. erklärt im Interview mit Panorama 3, dass er Entschädigungen für den Angeklagten fordern werde. Für den ehemaligen Auschwitz-Häftling Walter Plywaski ist dies eine schwer erträgliche Vorstellung: "Das verschlimmert den Schmerz noch".

VIDEO: Plywaski: "Letzte Hoffnung auf einen Hauch Gerechtigkeit" (4 Min)

Keine Anhörung eines Historikers

Dem Angeklagten wurde in dem Prozess Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen vorgeworfen. Im August und September 1944 war er als Sanitätsdienstgrad im KZ Auschwitz-Birkenau tätig. In diesem Zeitraum kamen laut Anklage mehrere Züge mit Häftlingen an, die in den Gaskammern umgebracht wurden. Der Historiker Stefan Hördler sollte als Spezialist für das Personal in Konzentrations- und Vernichtungslagern vor Gericht gehört werden. Durch die Einstellung des Verfahrens kam es nicht dazu.

Stefan Hördler, Historiker © NDR Foto: Screenshot
Der Historiker Stefan Hördler ist der Auffassung, dass Sanitätsdienstgrade in den KZ-Massenermordungen involviert waren.

Sanitätsdienstgrade waren in den Holocaust involviert, erklärt der Historiker Stefan Hördler gegenüber "Panorama 3". Sie wurden im Umgang mit Zyklon B geschult, welches in Auschwitz-Birkenau bei der massenhaften Vergasung von Häftlingen benutzt wurde. Der Anwalt des Angeklagten erklärt auf Anfrage, dass diese Erkenntnisse seinen Mandanten nicht betreffen würden. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft weist er zurück: "In Bezug auf die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ist mein Mandant unschuldig".  

Richter folgten neuer Rechtsauslegung nicht

Die Staatsanwaltschaft Schwerin hatte wegen einer geänderten Rechtsauslegung den Prozess gegen Z. angestrengt. Seit der Verurteilung des Vernichtungslagerwachmanns John Demjanjuk durch das Landgericht München 2011 gilt nicht mehr, dass einem Beschuldigten eines NS-Verfahrens eine konkrete Beteiligung an einer konkreten Tötungshandlung in einem Vernichtungslager nachzuweisen ist. Die Richter in Neubrandenburg folgten dieser neuen Rechtsauslegung nicht.

Walter Plywaskis Anwalt hat nun die Berufsrichter wegen Rechtsbeugung angezeigt. Ein einmaliger Vorgang - noch nie wurden Richter in einem Holocaust-Prozess beschuldigt, das Recht gebrochen zu haben. Zu den Vorwürfen, die Richter hätten den Prozess verschleppt und damit eine Verurteilung des ehemaligen SS-Mannes verhindert, wollen die drei Richter keine Stellung nehmen. Die Staatsanwaltschaft Stralsund ermittelt und prüft, ob sie ein Verfahren gegen die drei Richter eröffnet.

Weitere Informationen
Eva Mozes Kor, eine Überlebende von Auschwitz im Portrait.
1 Min

"Wie soll man Leute überzeugen, die keine Fakten akzeptieren wollen?"

Eva Mozes Kor hat Auschwitz überlebt, ihre Eltern und ihre älteren Schwestern starben in den Gaskammern. Im laufenden Prozess gegen Oskar Gröning tritt sie als Nebenklägerin auf. 1 Min

Der ehemalige SS-Mann Oskar Gröning vor Gericht.

Holocaust-Leugner missbrauchen Gröning-Prozess

Ja, das Grauen ist wahr und es hat stattgefunden - so der ehemalige SS-Mann Gröning im Auschwitz-Prozess. Seine Aussagen sind eine schallende Ohrfeige für alle Holocaust-Leugner. mehr

Ursula Haverbeck und Thomas Wulff beim Prozess gegen Gröning in Lüneburg

NPD und Holocaust-Lüge: Peinlicher Auftritt vor Auschwitz-Prozess

NPD-Chef Franz geht auf Distanz zu Holocaust-Leugnern wie Haverbeck. Doch nun trat ein Mitglied des Parteivorstands gemeinsam mit ihr auf - wegen des NPD-Verbotsverfahrens eine peinliche Angelegenheit. mehr

Ursula Haverbeck auf der Anklagebank

Holocaust-Leugnerin: sechste Haftstrafe, trotzdem frei

Die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck ist wegen Volksverhetzung zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt worden. Es ist ihre sechste Gefängnisstrafe - angetreten ist sie noch keine. mehr

 

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 16.01.2018 | 21:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit