Unterwegs mit der Polizei: Menschlich bleiben, Ruhe bewahren

Stand: 31.08.2022 11:51 Uhr

"Alarm für Cobra 11", "Toto & Harry" - wer kennt sie nicht, die bekannten Polizeiserien oder Filme. Actionreich ging es darin immer ordentlich zur Sache. Doch in der Realität knallt es bei der Polizei zum Glück nicht in jeder Schicht. Reporterin Dörte Rochow hat mit ihrem Team Polizisten in Stralsund begleitet.

von Dörte Rochow

Deeskalation ist ihr Schlagwort: Natürlich gibt es die Verfolgungsjagden, aber die sind eher selten und der Polizeialltag ist vielfältiger als man glaubt. Bereits zum zweiten Mal sind wir in der Hansestadt, um die Beamten im Alltag zu begleiten. Stralsund ist mit knapp 60.000 Einwohnern fünftgrößte Stadt im Land, das Hauptrevier zählt zu den am stärksten belasteten in Mecklenburg-Vorpommern. Die Beamten müssen die Balance zwischen den Einsätzen finden. "Die Nordreportage" ist mit "Strela 10" im Einsatz.

Polizeiarbeit hautnah - echte Fälle, echte Polizisten

Polizisten bei einem Einsatz am Strand © NDR
Die Polizisten bei ihrem Einsatz am Strand.

Jeden Abend fahren die Beamten von "Strela 10" mehrfach zum Strandbad, oft auch nur, um Präsenz zu zeigen. "Für Jugendliche gibt es wenig Punkte, an denen man sich so treffen kann. Gerade im Sommer bietet sich dann so ein Strand hier an und man ist so ein bisschen unter sich und da wird dann getrunken und da kommt es zu Körperverletzungen", erzählt mir Polizeioberkommissar Christoph Auerbach bei der Kontrollrunde.

Mit dabei ist Polizeiobermeister Marco Fittig, gemeinsam auf Streife sind die beiden seit 2018. Gerade im Sommer häufen sich die Straftaten in der Hansestadt. Das Wetter ist gut, viele Leute sitzen draußen beim Grillen oder in Bars und oftmals kommt jede Menge Alkohol hinzu. Körperverletzungen und Ruhestörungen häufen sich. Mehr als 160 Einsätze sind es oftmals an so einem Wochenende.

Polizei- und Feuerwehrleute im Einsatz. © NDR
Ein Mann hat sich in einem Haus verschanzt, Feuer dringt heraus. Die Polizisten rufen die Kollegen von der Feuerwehr.

Ich erinnere mich an die erste gemeinsame Nachtschicht. Die Beiden und ein weiterer Streifenwagen werden angefordert, weil ein paar Störenfriede in einem Wohnviertel die Nachtruhe der anderen Anwohner stören. Eine Situation, die sich in alle Richtungen entwickeln kann. Denn über die "Gäste in Blau" freut sich nicht jeder, der gern mal ausgelassen feiert. Die Jugendlichen zeigen trotz Alkohol Einsicht, wohl auch, weil "der Ton der Polizei die Musik macht" und beide Seiten miteinander reden können.

Immer mehr Einsätze mit psychisch Erkrankten

Kurze Zeit später kommt per Funk der nächste Einsatz. Ein junges Mädchen hat Glasscherben geschluckt, versucht, sich das Leben zu nehmen und muss sofort operiert werden. Da sich die 17-Jährige immer wieder selbst verletzt und erneut etwas antun könnte, wird sie nach der OP in die Kinder- und Jugendpsychiatrie ans andere Ende der Stadt verlegt. Die beiden Beamten sollen die Fahrt begleiten. Während Christoph Auerbach zu der 17-Jährigen in den Krankenwagen steigt, fahren wir gemeinsam mit Polizeiobermeister Marco Fittig hinterher. Er wirkt nachdenklich, als wir dem Rettungswagen mitten in der Nacht folgen. "Sie ist 17 Jahre alt, also das ist schon traurig. Ich kenne sie ja auch schon von unzähligen Einsätzen. Ich komme mit ihr echt gut aus, aber ich glaube sie hat im Leben echt keinen Halt… einfach traurig."

Dörte Rochow berichtet vor einer Schule von den regelungen zur Kinder-Notbetreuung.
Reporterin Dörte Rochow begleitet die Beamten mit der Kamera. Bei gefährlichen Einsätzen muss sie in sicherem Abstand bleiben.

Wie schon bei unserem ersten Dreh im Dezember wird mir klar, dass es hier sehr menschlich zugeht. Dennoch, auch wegen Corona ist die aggressive Grundstimmung bei vielen Menschen gestiegen. Die Einsätze mit psychisch Erkrankten häufen sich. Ich erinnere mich an einen Einsatz, der meinen Kameramann und mich auch im Nachhinein beschäftigt hat:

Es ist die erste gemeinsame Schicht für Marco Fittig und Streifenpartner Dominik Meyer, der vor einem Jahr von Hamburg nach Mecklenburg-Vorpommern wechselte. Ein Samstagabend, es ist das Einschulungswochenende. Mehrfach in dieser Schicht rücken die Beamten von "Strela 10" wegen Ruhestörungen aus. In der Altstadt prügelt ein polizeibekannter Mann auf einen anderen ein. Als die beiden Beamten eintreffen, sitzt der Geschädigte in einem Hauseingang. Er hat mehrere Schläge ins Gesicht bekommen und ist hingefallen, sein Kiefer muss geröntgt werden.

Polizisten stehen am Krankenwagen © NDR
Die Einsatzkräfte versuchen, den Mann zu beruhigen.

Der Tatverdächtige ist stark alkoholisiert, hat 3,9 Promille intus, stürzte ebenfalls und war einen Moment lang bewusstlos. Als er im Krankenwagen wieder zu sich kommt, pöbelt er und tritt nach den Beamten, so dass mehrere Einsatzkräfte nötig sind, um ihn zu beruhigen. Hier brauchen Polizisten "ein dickes Fell", denke ich so bei mir, ahne aber nicht, was in dieser Nacht noch auf die Beamten zukommt.

Es ist kurz vor 3.00 Uhr. Der Notruf kommt aus der Stralsunder Altstadt. Es ist ihr neunter Einsatz. Eine junge Frau alarmiert die Beamten. Nachdem sie von einer Party zurück in ihre Wohnung kommt, eskaliert ein Streit mit ihrem Lebensgefährten. Die junge Frau sitzt weinend unten auf der Straße, Freunde versuchen sie zu beruhigen. Der Mann ist noch oben in der Wohnung - hat sich verschanzt. "Er hat wohl die ganze Wohnung zerlegt, ist wohl noch oben im psychischen Ausnahmezustand und hat ein Messer dabei", erzählt Marco Fittig den hinzugerufenen Kollegen.

Sie wissen nie, was sie beim nächsten Einsatz erwartet

Wie wird der Mann auf sie reagieren? Würde er die Wohnung freiwillig verlassen oder ist er bereit, bis ans Äußerste zu gehen? Zwar kommen die Polizisten in die Wohnung, dennoch eine weitere Zwischentür hat der Tatverdächtige verschlossen. Er kündigt den Einsatz von Brandbeschleuniger und eines Messers gegenüber den Beamten an, wenn sie sich ihm nähern.

Immer wieder versuchen die Polizisten mit ihm zu sprechen, bleiben ganz ruhig dabei. Doch der Mann bleibt oben in der Wohnung, bricht den Kontakt immer wieder ab. Das Sondereinsatzkommando und die Verhandlungsgruppe sind informiert. Eine Situation, die an den Nerven aller zerrt. Vermutlich legt der Mann im Bad der Wohnung einen Brand, sodass Rauch aus dem Fenster dringt. Die Feuerwehr wird informiert. Drei der Beamten entscheiden sich, mit Feuerlöschern in die Wohnung zu gehen. Über den Funk von Marco Fittig können wir die Kollegen oben in der Wohnung hören, es fühlt sich bedrohlich an. "Wir haben den Feuerlöscher unter der Badtür durchgestoßen, wissen aber immer noch nicht, ob wir den Brand gelöscht haben - wir kommen an ihn nicht ran."

Auf der Rückseite des Wohnhauses kommt der Mann plötzlich über eine Leiter herunter. Er wird durch Rettungskräfte und einen Notarzt zur weiteren Behandlung ins Krankenhaus gebracht. Die drei Beamten, die in der Wohnung gelöscht haben, mussten ebenfalls mit Rauchgasvergiftungen im Krankenhaus behandelt werden. "Es war eine Person drin, wir hatten starke Rauchentwicklung. Es war jetzt Gefahr für Leib oder Leben. Auch wenn es sich um einen Tatverdächtigen handelt, es ist ein Mensch und der hätte trotzdem dort sterben können und deswegen sind wir rein", erzählt uns Dominik Meyer.

Bei der Durchsuchung der Wohnung finden die Polizisten unter anderem Betäubungsmittel in geringen Mengen, drei selbst hergestellte Wurfbrandsätze und geringe Mengen Chemikalien. Ein solcher Einsatz ist zum Glück nicht alltäglich. "Ich habe einiges oben gesehen […]. Ich kann es jetzt nicht genau sagen, aber es hätte schlimmer werden können. Ansonsten kommt jetzt der Kriminaldauerdienst, um jetzt die weitere Spurensicherung durchzuführen. Wir hatten jetzt so viele Maßnahmen, ich denke mal das haben wir insgesamt gut gemacht", so Marco Fittig.

Weitere Informationen
Die Beamten sind auf einer Strandbad-Kontrollrunde. © NDR

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 29.08.2022 | 19:30 Uhr