Wetterexperte Böttcher zur Dürre: "Das ist Klimawandel im Live-Modus"
Staubige Äcker, schon Mitte Mai verdorrter Rasen - und ständig Sonne, aber kein Regen: In Norddeutschland ist es in diesem Frühjahr so trocken wie noch nie. Wie auch bei Starkregenereignissen zeige sich in der Dürre der Klimawandel, sagt Wetterexperte Frank Böttcher.
Zunächst war es der trockenste März seit fast 100 Jahren, dann folgte ein ungewöhnlich trockener April - und nun Mitte Mai ist ein Negativrekord gebrochen: So trocken sei es in Norddeutschland in einem Frühjahr noch nie gewesen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, sagt Wetterexperte Frank Böttcher im Interview mit NDR Info. Die Waldbrandgefahr steigt, die Flusspegelstände sinken, Landwirte und Förster in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sorgen sich um ihre Ernte und vor allem um junge Bäume.
Ausschlaggebend für die ungewöhnlich lang anhaltende Trockenperiode sei der Klimawandel. Dieser höre zudem nicht auf, wenn die Wetterlage mal nicht extrem ist, sagt Böttcher. Als Hintergrundrauschen sei er stets dabei - mit bedrohlichen Folgen. So erwartet der Wetterexperte, dass sich Modellrechnungen zufolge die weltweite Temperatur bis 2050 um bis zu drei Grad erhöhen könnte. Dies könnte zu einem um elf Meter höheren Meeresspiegel führen. Im Interview spricht Böttcher darüber, warum er in diesem Zusammenhang zum Rückzug von den Küsten rät, wieso er trotz erschreckender Forschungsergebnisse zum zunehmenden Tempo der Erderwärmung Optimist bleibt - und wann es wohl mal wieder ausgiebig regnen könnte im Norden.
Herr Böttcher, wie ausgeprägt ist die Trockenheit aktuell in Norddeutschland?

Frank Böttcher: Wir erleben gerade eine Phase, in der wir so wenig Niederschlag hatten in den letzten Monaten wie noch nie zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wir können uns das mal anhand einer Messstation in Hamburg-Fuhlsbüttel vor Augen führen. Vom 1. Februar bis Mitte Mai hat es dort nur 52 Liter Regen pro Quadratmeter gegeben. Normalerweise fällt im gleichen Zeitraum eine Menge von 175 Litern pro Quadratmeter.
Was führt zu dieser anhaltend trockenen Witterung?
Böttcher: Aktuell gibt es eine klassische Blocking-Wetterlage. Da ist ein Hochdruckgebiet über Europa, das allen Tiefdruckgebieten vom Atlantik im Wege steht. Jetzt liegt es genau zwischen Island und Schottland, ein ziemlich umfangreiches Hochdruckgebiet also. Hochdruckgebiete haben immer eine kalte und eine warme Seite. Wir sind aktuell auf der kühleren Seite mit einer nördlichen Strömung, und da passiert Folgendes: Die Luftmasse kommt von Skandinavien aus in Richtung Süden nach Norddeutschland, erwärmt sich dabei ganz langsam. Dadurch trocknet die Atmosphäre aus, die Wolken lösen sich auf, der Niederschlag lässt nach. Deshalb ist es jetzt so trocken. Wenn das Hochdruckgebiet langsam nach Osten wandert, kommen wir irgendwann auf die wärmere Seite. Und dann kommen von Südwesten her Gewitter auf.
Welche Folgen hat diese Trockenheit?
Böttcher: Wir hatten Glück, dass es so viel geregnet hat Ende des letzten Jahres. Das heißt, der Grundwasserspiegel war relativ hoch am Anfang des Jahres. Jetzt kommt die Trockenheit und nimmt genau diese ganzen Wassermengen langsam wieder weg. Der Grundwasserspiegel sinkt. Wir haben zudem hohe Verdunstungsraten, weil wir mitten in der Vegetationsphase sind. Die Bäume ziehen Wasser, die Pflanzen ziehen Wasser - in unseren Gärten und auf den Äckern und Feldern. Und das führt dazu, dass wir Trockenheit haben, zunächst in den leichten Böden. Das sind eher sandige Böden, die verlieren als Allererstes das Wasser. Dann kommen die etwas schwereren lehmhaltigeren Böden, und das erleben wir jetzt. Das bedeutet, Pflanzen kommen richtig unter Stress.
Wie dramatisch ist das?
Böttcher: Für die Landwirtschaft bedeutet eine Trockenphase, die jetzt noch drei Wochen andauert, massive Ernteverluste im Herbst. Denn wir sind auf den Äckern und Feldern - gerade dort, wo Getreide jetzt im Wachstum ist - in einer Phase, in der die Pflanzen sehr viel Wasser brauchen. Wenn jetzt drei Wochen lang nicht mehr an Niederschlag kommt oder nur sehr wenig, dann werden wir Austrocknungserscheinungen haben. Und dann wird die Ernte schlecht ausfallen im Herbst.
Was führt denn zu dieser anhaltenden Wetterlage mit Rekord-Trockenheit?
Böttcher: Das ist eine Folge der globalen Erwärmung, die wir hier sehen. Das ist Klimawandel im Live-Modus. Erinnern wir uns mal zurück an das Jahr 2024, da haben wir uns am Ende des Jahres gefragt: Wo bleibt denn die Sonne? Es hat Dauerregen gegeben, viel mehr Niederschlag als erwartet und das über Wochen hinweg. Jetzt erleben wir sozusagen die Gegenbewegung, eine lange Trockenphase und wir fragen uns jetzt: Wann kommt endlich der Regen zurück? Genau diese beiden Wetterszenarien werden häufiger durch die globale Erwärmung. Die Trockenphasen und die Phasen mit stärkeren Niederschlägen sind zwei Seiten einer Medaille.
Und beide werden zunehmend extremer?
Böttcher: Wenn wir uns beispielsweise die letzten 30 Jahre mal anschauen in Hamburg, dann sehen wir eine Zunahme bei der Anzahl der starken Regenfälle über 15 Liter pro Quadratmeter von 16 Prozent. Es hat also viel mehr Gewitter gegeben mit kräftigen Niederschlägen. Die Häufigkeit von mittleren Niederschlägen, so ein bis fünf Liter Regen pro Quadratmeter, die für die Natur besonders gut sind, ist hingegen um neun Prozent zurückgegangen. Die trockenen Tage ohne Niederschlag sind um sechs Prozent angestiegen, das heißt also, es gibt längere Trockenphasen, in denen wir dann gar keinen Niederschlag haben. Die Gesamtniederschlagsmenge bleibt relativ konstant, aber sie verteilt sich eben auf viel mehr kürzere Phasen mit intensiveren Regenfällen.
Aber ist jedes Wetterextrem schon eine Folge des Klimawandels?
Böttcher: Man stellt sich ja manchmal die Frage: Wann ist das noch normales Wetter? Wann ist das schon Klimawandel? Wir schauen natürlich bei den Extremwetterereignissen immer besonders darauf, gerade bei großen Starkregenereignissen und langen Trockenphasen. Die sind Ausdruck des Klimawandels. Der steckt aber bei jeder Wetterlage mit drin. Klimawandel als Hintergrundrauschen hört nicht auf, nur weil das Wetter mal nicht extrem ist. Auch bei drei Grad und Nieselregen steckt der gleiche Impuls des Klimawandels mit drin. Nur weil diese Wetterlagen eben besonders häufig sind und von uns als nicht allzu extrem wahrgenommen werden, sagen wir manchmal, dass da der Klimawandel vielleicht nicht so in Erscheinung tritt. Aber das ist eine subjektive Wahrnehmung. Physikalisch ist der überall dabei.
Wie schnell schreitet der Klimawandel aktuell voran?
Böttcher: Was wir erleben, ist eine globale Erwärmung, die in eine beschleunigte Phase eingetreten ist und das ist etwas, was uns im physikalischen und meteorologischen Bereich auch größere Sorgen macht. Wir können nicht mehr ausschließen, dass wir noch vor oder um 2050 drei Grad globale Erwärmung haben werden. Das ist dann schon ein anderer Planet.
In so einer starken Erwärmungsphase wird sich auch das konkrete Wetter bei uns verändern. Wir werden also noch häufiger längere Trockenphasen haben. Die werden noch trockener, noch seltener unterbrochen durch leichte Niederschläge. Wir werden aber auch Phasen haben, in denen es dann auch mal über Wochen, vielleicht sogar monatelang durchregnen wird. Das ist übrigens etwas, was wir in der Statistik schon in den letzten Jahrzehnten beobachten. Das trockenste Jahr der letzten 30 Jahre war sehr viel trockener als das trockenste Jahr 30 Jahre davor. Und auch das nasseste Jahr der letzten 30 Jahre war viel nasser als das nasseste Jahr der 30 Jahre davor.
Was führt zu dieser Beschleunigung beim Temperaturanstieg?
Böttcher: Normalerweise ist es so, dass über 90 Prozent der zusätzlichen Energie vom Ozean aufgenommen wird, wenn die globale Temperatur in der Atmosphäre ansteigt. Jetzt sehen wir aber, dass der Ozean in einigen Bereichen schon sehr aufgeheizt ist und sich anfängt zu stabilisieren. Das heißt, die vertikale Zirkulation wird langsamer, die Oberfläche der Meere wird noch wärmer. Das kann man sich vorstellen wie bei einem Badesee im Sommer: Oben ist eine dünne Schicht mit sehr warmem Wasser. Darunter ist es noch relativ kühl, aber vertikal passiert dann nicht mehr so viel. Und in dieser Phase erwärmt sich dann eben auch wieder die Lufttemperatur noch stärker, weil der Ozean weniger Wärme aufnehmen kann. Genau das erleben wir gerade: Wir haben einen großen Sprung in den Ozeantemperaturen, die sind so hoch wie noch nie seit Beginn der Wetterbeobachtung.
Hat Sie das selbst überrascht?
Böttcher: Bemerkenswert ist, dass der Anstieg der globalen Wassertemperaturen so enorm schnell ist. Wir hatten im letzten Jahr fast an jedem Tag auf unserem Planeten höhere Wassertemperaturen als im Jahr zuvor und damit fast durchgehend über das ganze Jahr neue Rekordwerte. Und hohe Wassertemperaturen korrelieren eben auch mit bestimmten Wetterlagen. Sie führen dazu, dass wir höhere Verdunstungsraten haben. Wenn Gewitter auftreten und wir Wetterlagen haben, die vom Mittelmeer her zu uns kommen, dann sind die Luftmassen viel feuchter. Die Gewitter werden viel intensiver und zwei Grad mehr in der Atmosphäre lassen die Wolkentürme etwa 200 Meter höher in die Atmosphäre hinein aufsteigen. Die Gewitter werden kräftiger, es gibt mehr Blitze und auch entsprechend mehr Sturmböen im Sommer.
Kann man dagegen denn überhaupt noch was tun - oder rollt der Klimawandel einfach über uns hinweg?
Böttcher: Ganz wichtig ist, an so einer Stelle nicht nachzulassen, vor allen Dingen bei den Maßnahmen, die wirklich den größten Effekt haben auf das Klimasystem. Und das heißt Reduktion und am besten auf Netto-Null, was die CO2-Emissionen angeht. Aber wir dürfen uns keiner Illusion hingeben. Ein Teil des Klimawandels wird jetzt ungebremst über uns hinwegrollen. Man vergisst das manchmal: 1,5 Grad globale Erwärmung, die haben wir jetzt schon, korrelierend mit einem steigenden Meeresspiegel, der elf Meter höher ist als jetzt. Drei Grad führen zu 21 Metern Meeresspiegelanstieg. Das heißt, wir haben nicht nur Klimaschutzaufgaben. Wir werden gerade in Norddeutschland auch große Klimaanpassungsaufgaben haben.
Was heißt das konkret?
Böttcher: Wir müssen uns um die Deiche kümmern. Aber wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie wir organisiert und strukturiert einen Rückzug von den Küsten vollziehen. Wir werden das, was dann nachher an Wasser von der Nordsee drückt, nicht verteidigen können. Gleichzeitig kommt ja auch das Wasser aus dem Hinterland und muss auf die andere Seite der Deiche geführt werden. Das Wasser muss rausgepumpt werden, und man stelle sich dann Wetterlagen vor, die wir jetzt schon auf Pellworm manchmal erleben. Wir haben eine Sturmflut auf der einen Seite und starken Regen. Dann läuft so eine Insel wie eine Badewanne voll und das Wasser kommt nicht mehr so schnell raus. Man kann das gar nicht mehr rauspumpen, und darauf müssen wir uns vorbereiten. Da ist ein organisierter Rückzug manchmal die bessere Variante.
Was macht das mit Ihnen, dass Sie die Folgen des Klimawandels zwar berechnen können, aber nicht überall - vor allem auch nicht bei allen Entscheidungsträgern - damit durchdringen?
Böttcher: Ich behalte natürlich meinen Optimismus. Ich habe schon so viel schlechtes Wetter vorhergesagt. Am Ende wurde es ja auch immer wieder gut. Ich glaube, dass wir die Fähigkeit haben, uns anzupassen und zu reagieren in dem Moment, wo wir es wirklich müssen. Wir sind ganz schwer und träge darin, Überlegungen und auch Umsetzungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn es nicht zwingend notwendig ist. Aber wenn die Bedrohung unmittelbar ist, dann fällt uns in der Regel auch etwas ein. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir heute als Menschheit auf diesem Planeten in allen Regionen Besiedelung betreiben.
Noch einmal zurück zur aktuellen Wetterlage und was wir daraus für den Sommer ableiten können: Steht uns ein Hitzesommer wie 2003 oder 2018 bevor?
Böttcher: Es ist auf jeden Fall nicht unwahrscheinlich, dass so ein Szenario kommt. Rückwärts betrachtet sind wir ja immer sehr viel schlauer. Wir schauen zurück, um etwas mehr über das Klima und das Wetter zu verstehen, was da dranhängt. Wir benutzen Klimaszenarien für die Zukunft nur dann, wenn sie in der Lage gewesen sind, Wetterphänomene in der Vergangenheit plausibel darzustellen. Nur denen trauen wir zu, dass sie auch in der Lage sind, etwas über die Zukunft zu sagen.
Ein ganz pragmatisches Beispiel sind diese Hitzesommer. Wenn die extrem heiß und trocken sind, dann gab es vorher immer ein trockenes Frühjahr. Nur wenn ein sehr trockenes Frühjahr da ist so wie jetzt, kommt nicht immer auch ein extrem heißer Sommer danach. Das ist ein bisschen wie beim Flügelschlag des Schmetterlings. Wir können bei einer Wetterlage zurückrechnen und feststellen, dass vielleicht sogar der Flügelschlag eines Schmetterlings genau dafür verantwortlich war. Aber ich kann mir nicht einen Schmetterling angucken und aus dessen Bewegungen eine Wettervorhersage machen.
Also ist es durchaus wahrscheinlich, dass es einen heißen Sommer gibt, aber nicht zwangsläufig so?
Böttcher: Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo in Europa ein starker Hitzesommer kommt, ist relativ groß, aber es muss nicht zwingend Norddeutschland treffen. Es kann auch viele Gewitterphasen geben, mit viel Regen also. Da ist die genaue Ausprägung noch völlig unsicher. Es kann auch ganz andere Wetterlagen geben unter den gleichen Rahmenbedingungen. Es könnte Tiefdruckgebiete über Süddeutschland mit massiven Regenfällen geben. Und das ist genauso wahrscheinlich wie eine Hochdrucklage, die Trockenheit bringt und die Donau austrocknet.
Akut würde ja ein ausgiebiger Landregen der Natur und den Landwirten sehr helfen. Können Sie Hoffnung machen: Wann kommt denn vielleicht mal wieder so ein Landregen?
Böttcher: Die Atmosphäre neigt dazu, weil wir uns jetzt in Richtung Sommer bewegen, dass sie mit jedem Grad mehr sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Die Niederschläge, die jetzt kommen werden im Sommer, neigen deswegen dazu, dass sie eher intensiver werden. Und eins weiß der Meteorologie genau: Der nächste Regen kommt bestimmt! Den exakten Tag kann man natürlich jetzt noch nicht vorhersagen. Aber wenn es dann regnet, ist es wahrscheinlich eher zu viel als zu wenig.
Das Interview führte Daniel Sprenger für NDR Info.
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