"Mittlerweile sind wir eine Art Familie geworden"

Sophie Pantzier ist nicht nur Geigerin der NDR Radiophilharmonie, im Reisetagebuch berichtet sie regelmäßig von der Asientournee des Orchesters. In Beijing sprach sie mit dem Chefdirigenten Andrew Manze über die Ziele der Tournee, die Zusammenarbeit mit dem Weltklasse-Pianisten Sir András Schiff und die Entwicklung des Orchesters.
Sophie Pantzier: Haben Sie konkrete Wünsche oder Ziele für unsere Asientournee?
Andrew Manze: Was ich erhofft hatte, tritt bereits ein: dass das Orchester so weit weg von der Heimat noch enger zusammenwächst, als Menschen und als Musiker. Mittlerweile sind wir eine Art Familie geworden, und das hört man auch in der Musik. So weit weg von zuhause sucht man nach Freundschaft und Nähe, das wird in den Konzerten hörbar.
Vielleicht besonders in der Beethoven-Sinfonie, die wir mittlerweile schon mehrfach aufgeführt haben. Auch da nimmt die Nähe zu unseren eigenen Gefühlen immer mehr zu.
In der Beethoven-Sinfonie findet man bei jeder Aufführung etwas Neues, neue Details und spielt sie anders, es ist ein so großartiges Musikstück. Auch wenn man sie hundert Mal spielen würde, würde man immer noch etwas Neues entdecken.
Wie kam es zu der Programmzusammenstellung für die Tournee? Hatten die Veranstalter vor Ort konkrete Wünsche oder war das Ihr eigenes Konzept?
Als klar war, dass Sir András Schiff dabei sein würde, hatte er klare Wünsche: Er hatte sich Beethoven und Mozart gewünscht, so konnten wir das Programm passend dazu zusammenstellen. Außerdem mussten wir etwas finden, worüber alle einzelnen Veranstalter glücklich sein würden. Mendelssohn hatten wir auch deshalb ausgesucht, weil ja die neue CD jetzt herausgekommen ist. Schon beim ersten Konzert haben wir alle 50 Exemplare, die wir dabei hatten, innerhalb von fünf Minuten verkauft. Die "Eroica" war tatsächlich meine Idee, um ein großartiges Musikstück zu haben, mit dem man gern viel Zeit verbringt, etwas, das Freude macht.
Mit Sir András Schiff arbeiten Sie zum ersten Mal zusammen, was ist an der Arbeit mit ihm so besonders?

Er ist ein sehr besonderer Mensch und Musiker, er ist sehr ruhig, aber voller großer Emotionen. An diese Kontraste eines großen Denkers mit einer sanften Ausdrucksweise haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Er ist ein großer Perfektionist, und es ist großartig, wenn man derart zu Perfektion herausgefordert wird. Bereits in der ersten Probe in Hannover brachte er eine ganz spezielle Atmosphäre mit sich: Es war wunderbar, wie konzentriert das Orchester ihm zugehört hat und umgekehrt. Das war ein besonderer Moment.
Er repräsentiert eine Form von Weisheit in der Musik. Da er - soweit ich gelesen habe - zyklisch arbeitet und sich alle Beethoven Konzerte erarbeitet und nicht nur eins, weiß er einfach alles über Beethoven und seine Klavierwerke. Und das bringt er auch in die Probenarbeit ein.
Das stimmt. Von anderen Musikern habe ich auch gehört, dass er immer eine andere Zugabe spielt. Seine Zugaben sind etwas Besonderes, denn er dankt dabei nicht nur dem Publikum, sondern auch dem Orchester, es ist ein Dank in Musik.
Sie waren als Geiger und Konzertmeister sehr bekannt und erfolgreich. Wie ist die Arbeit als Dirigent für Sie, wenn Sie dabei gewissermaßen vom Orchester und seiner Klanggestaltung abhängig sind?
Geige spielen habe ich sehr geliebt, aber noch mehr liebe ich es, Musikern zuzuhören, deswegen liebe ich es so sehr, Dirigent zu sein. Da stehe ich ja inmitten eines Orchesters. Wir haben zwei verschiedene Konzertmeisterinnen: Sie sind fantastische Musikerinnen und beide sehr unterschiedlich. Sie an meiner linken Seite zu haben, ist wirklich eine große Freude. Und das denke ich über das gesamte Orchester: Es sind so wundervolle Musiker hier. In dieser Woche macht die Arbeit mit ihnen besonders viel Spaß, nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten und großen Musikalität, sondern weil sie hier noch mehr zeigen, was sie denken. Das Orchester entwickelt seine eigene Vorstellung. Dabei sehe ich mich nur als ein Mitglied des Orchesters, und wir finden gemeinsam neue Denkweisen. So vergesse ich das Gefühl, Geige zu spielen, und denke mehr sinfonisch.
In welcher Weise hat sich der Klang der NDR Radiophilharmonie verändert, seitdem Sie mit uns arbeiten?
Ich denke sofort an zwei Veränderungen: Dadurch, dass die beiden Violin-Gruppen sich oft gegenüber und nicht nebeneinander sitzen, hören sich alle noch mehr zu. Das verändert auch den Klang für das Publikum, und ich hoffe, dass man so mehr Details hören kann. Ich möchte erkunden, wie der Klangapparat funktioniert und dies zeigen. Außerdem haben wir einen Weg gefunden, dass alle Musiker mehr mit dem Herzen spielen, anstatt nur mit ihren Händen und dem Kopf. Das funktioniert sehr gut, da passen wir wirklich gut zusammen, das ist nicht bei jedem Orchester so.
Ich spüre ein großes Vertrauen im Orchester und den Wunsch, offen zu sein für neue Inspirationen durch Sie. Jede neue Interpretation eines Werks wird so noch persönlicher, es wird quasi die gemeinsame Sprache von Ihnen und uns.
Vertrauen ist etwas sehr Wichtiges, und ich vertraue dem Orchester sehr. Auch dass wir Probleme lösen, falls mal etwas passiert. Vertrauen in beide Richtungen ist das Wichtigste in dieser Zusammenarbeit.
