Stand: 08.11.2012 20:00 Uhr

"Ein tolles Gefühl, wenn das Publikum lacht"

"Metropolis", "Prinz Achmed", jetzt "Steamboat Bill, Jr.": Filmmusik mit dem NDR Sinfonieorchester auf Kampnagel ist mittlerweile zur beliebten Institution geworden. Mit dem Stummfilmklassiker mit Buster Keaton wendet sich das Orchester in diesem Jahr einem weiteren Meilenstein der Filmgeschichte zu. Am Pult steht erneut Stefan Geiger - dem Publikum des NDR Sinfonieorchesters ansonsten auch als Solo-Posaunist bekannt.

Herr Geiger, am 15. und 16. November dirigieren Sie auf Kampnagel erneut zwei Film-Konzerte mit dem NDR Sinfonieorchester. Nach "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" im letzten Jahr steht diesmal die Stummfilmkomödie "Steamboat Bill, Jr." mit Buster Keaton auf dem Programm. Worum geht es in dem Film?

Filmszene aus "Steamboat Bill, Jr.": Eine Hausfassade fällt auf einen Mann. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Vielleicht die berühmteste Filmszene aus "Steamboat Bill, Jr.": Eine Hausfassade fällt auf den ahnungslosen Bill Jr.

Stefan Geiger: In dieser urkomischen Komödie, die Buster Keaton 1928 gedreht hat, gibt es sozusagen zweierlei Spannungsgefälle. Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Vater und Sohn: Steamboat Bill, ein grobschlächtiger Hüne, besitzt ein Dampfschiff auf dem Mississippi. Er bekommt ein Telegramm, in dem sich sein Sohn ankündigt, den er seit Jahren nicht gesehen hat. Voller Vorfreude denkt er an einen kräftigen Mann, der ihm bei der Schifffahrt helfen kann – und sieht dann den schmächtigen Buster Keaton! Das hat natürlich viele komische Konfrontationen zur Folge.

Zum anderen gibt es Spannungen zwischen Steamboat Bill und seinem reichen Konkurrenten J.J. King. Und – wie könnte es anders sein? – der Sohn des alten Steamboat Bill verliebt sich ausgerechnet in die Tochter dieses Konkurrenten ...

Die Stummfilmkomödien von Buster Keaton sind ja heute erstaunlicherweise nicht so bekannt wie beispielsweise die Filme von Charlie Chaplin ...

Geiger: Ja, erstaunlicherweise! Da die musikalische Begleitung von Stummfilmen mein persönliches Steckenpferd ist, habe ich schon viele Chaplin-, aber auch Keaton-Filme (wie z. B. "Der General") aufgeführt. Ich sehe Buster Keaton im Vergleich zu Chaplin durchaus nicht in der zweiten Reihe stehend.

Was mögen Sie besonders an Keatons Humor? Worauf darf man sich freuen?

Geiger: Buster Keaton ist ja bekannt als "The Great Stoneface" – tatsächlich spielt er mit nur sehr wenig Gesichtsmimik und man sieht ihn selbst in den witzigsten Szenen nie lächeln. Das ist schon mal ein sehr charakteristisches Merkmal.

Man kann sich außerdem freuen auf unglaubliche Stunts, die Keaton mit seiner üblichen stoischen Ruhe alle selbst gemacht hat. In einer berühmten Szene fällt ihm z. B. eine komplette Hausfassade über den Kopf, wobei er unbeschadet davon kommt, weil er genau in der Fensteröffnung steht – und das hat man damals wirklich genauso gedreht, wie wir es im Film sehen: man hat also genau gemessen, wo Keaton zu stehen hatte… Das ist aber nur eine Szene von vielen; zu erwähnen wäre etwa auch die Sturmszene, wo er vom Wind weggeblasen wird – ein fast surrealer Humor, aber immer sehr charmant!

Zu "Steamboat Bill, Jr." gibt es – anders als z. B . zu den Chaplin-Filmen – keine Originalmusik; man improvisierte damals aus einem standardisierten Repertoire live zur Filmvorführung. Sie haben für die Konzerte auf Kampnagel den 2003 neu komponierten Soundtrack von Timothy Brock ausgewählt, der wie eine authentische Originalmusik aus den 1920er Jahren klingt. Was reizt Sie an dieser Partitur?

Geiger: Das ist einfach eine ganz wunderbare, kongeniale Musik! Timothy Brock ist übrigens auch über das Stummfilm-Genre hinaus als Komponist bekannt; er ist ein absoluter Profi.

Die Partitur ist toll instrumentiert und geht wirklich haarklein auf Keatons Humor und die Details in den verschiedenen Szenen ein. Brock macht dabei Anleihen aus dem großen Fundus der Musikstile: Es klingt nach Zirkusmusik, ein anderes Mal wie italienische Oper, und sogar ein Banjo spielt mit und gibt den entsprechenden Szenen "Dixieland"-Kolorit.

Was macht die musikalischen Begleitung speziell des komischen Genres aus?

Geiger: Da gibt es zwei Besonderheiten. Die eine ist vor allem für den Dirigenten eine Herausforderung: Gags erhalten ihre Wirkung nicht zuletzt durch ihre musikalische Untermalung; ich denke da z. B. an die Szene beim Friseur, wo Buster Keaton mehr oder weniger misshandelt statt behandelt wird. Am Ende wird ihm ein Nasenhaar entrissen – und wie kann das musikalisch anders verdeutlicht werden als durch ein schroffes Pizzicato?!

Das sind Details, die, wenn sie sitzen, unglaublich komisch sein können, die aber auch, wenn das Pizzicato nicht wirklich auf die Zehntelsekunde genau kommt, ihre Funktion völlig verlieren können.

Komödien sind also einerseits sehr schwer zu begleiten, andererseits aber ist es ein ganz tolles Gefühl, wenn das Publikum lacht. So ein Lachen, ja überhaupt direkte Reaktionen auf gelungene Einzelheiten – teilweise im Minutenabstand – erlebt man ja als klassischer Musiker sonst nie!

Haben Sie Lieblingsszenen in "Steamboat Bill, Jr." – sowohl musikalisch als auch filmisch?

Geiger: Musikalisch kann ich vielleicht zwei sehr gegensätzliche Szenen nennen: Sehr anspruchsvoll, aber auch besonders attraktiv ist natürlich die Begleitung der Sturmsequenz am Ende – das ist fast wie Verdi. Auf diesen großen, wilden und auch grotesken Spannungsbogen freue ich mich schon!

Sehr gerne habe ich aber auch die Szenen zwischen Buster Keaton und seiner Geliebten Kitty, die mit einem "Hollywood- Streichersound" begleitet werden, wo Brocks Musik wundervoll sehnsüchtig klingt, aber eben doch nicht kitschig wird.

Filmisch gibt es eine Szene, bei der ich mich immer schon schlapp lachen muss, wenn ich sie in der Partitur lese: Keaton besucht seinen Vater im Gefängnis, um ihm zum Ausbrechen zu verhelfen. Zu diesem Zweck hat er Werkzeuge in ein Brot eingebacken. Der Vater durchschaut das Ganze überhaupt nicht und hält seinen Sohn sowieso für blöd. Endlich versteht er es, doch bei der Übergabe rasselt das ganze Werkzeug aus dem Brot – das ist wirklich sehr komisch gemacht!

Das Gespräch führte Julius Heile.

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