Stand: 06.03.2019 00:00 Uhr

Wer füttert Wikipedia mit neuem Wissen?

von Marc Hoffmann, NDR Info

Wann wurde der Hauptbahnhof in Kiel eröffnet? Die Antwort kann man googeln. Genauso Informationen darüber, wie der Kaschmir-Konflikt eigentlich einmal begonnen hat. Ganz häufig landen wir bei der Suche nach Antworten bei Wikipedia. Die kostenfreie Online-Enzyklopädie gehört zu den meistbesuchten Seiten im Internet. Doch immer weniger Menschen haben offenbar Lust und Zeit, Wikipedia ehrenamtlich mit neuem Wissen zu füllen. Die Zahl der Autoren geht seit Jahren zurück. Ist das ein Problem für die Qualität? NDR Info hat in Hamburg Wikipedia-Macher getroffen.

Ein Mann sitzt in der Ecke eines karg eingerichteten Raumes auf einem weichen Sitzsack und hält ein Laptop in den Händen. © NDR Foto: Marc Hoffmann
Uwe Rohwedder hat nach eigenen Angaben etwa 200 bis 300 Wikipedia-Artikel geschrieben.

Uwe Rohwedder ist seit fast 15 Jahren dabei und gehört damit zu den alten Hasen in der deutschen Wikipedia-Gemeinde. Der promovierte Historiker schreibt unter anderem über Industriegeschichte. Etliche Wikipedia-Einträge zu Hamburgs Stadtgeschichte sind auch von ihm. Von Grund auf neu geschrieben hat er nach eigenen Angaben etwa 200 bis 300 Artikel: "Das klingt erst einmal viel, ist aber, gemessen an zwei Millionen, nicht so doll."

Der Wikipedia-Artikelbestand ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsenen. Mit über 2,2 Millionen Einträgen gehört die deutschsprachige Wikipedia zu den größten der Welt - sie ist umfangreicher als etwa die französische oder spanische Ausgabe.

Freiwillige für "Hausmeistertätigkeiten" gesucht

Es gehe immer weniger darum, völlig neue Stichworte anzulegen, meint Wikipedianer Uwe Rohwedder. Stattdessen brauche die Online-Enzyklopädie Menschen für sogenannte Hausmeistertätigkeiten, sagt der 47-Jährige. Freiwillige, die bereit sind, in ihrer Freizeit den vorhandenen Bestand zu pflegen und zu aktualisieren: "Für die meisten Wikipedianer ist es natürlich viel spannender, immer neue Artikel zu immer abseitigeren Themen zu schreiben, als schon vorhandene Artikel durchzulesen, auf Fehler zu korrigieren und zu überarbeiten. Das ist weniger sexy. Da gibt es auf jeden Fall ein Problem. Das Problem ist aber nicht neu."

"Wir freuen uns über jeden, der eine gute Idee hat"

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der ehrenamtlichen Lexikon-Schreiber halbiert, auf nun durchschnittlich knapp 6.000 mehr oder weniger aktive Autoren. Doch wie sehr der Autorenschwund inzwischen auf die Qualität der Wikipedia durchschlägt, kann man nur vermuten. 14.300 Artikel sind bei der Wikipedia derzeit als "lückenhaft" gekennzeichnet, mehr als 10.000 gelten offiziell als überarbeitungswürdig. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Auf lange Sicht könnten Qualitätsmängel an der Glaubwürdigkeit der Online-Enzyklopädie kratzen, die immerhin den legendären Brockhaus im Internet erfolgreich verdrängt hat. Was tun? Lukas Mezger ist Vorsitzender bei Wikimedia Deutschland, dem Förderverein hinter dem Online-Nachschlagewerk: "Bei Wikimedia Deutschland feilen wir nach wie vor an dem Rezept, wie man am allerbesten Wikipedianer findet und motiviert und ausbildet. Da ist die Lösung noch nicht gefunden. Wir freuen uns über jeden, der eine gute Idee hat."

Kritik auch an "antiquierter" Benutzeroberfläche

Die Fensterscheibe eines kleinen Büros in einem Gebäude ist von außen zu sehen. An dem Fenster hängen Plakate und Schriftzüge von Wikipedia. © NDR Foto: Marc Hoffmann
Es scheint nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft auch Menschen bezahlt werden, die für Wikipedia arbeiten.

Smartere Software allein könne die echten Lexikon-Autoren aber nicht ersetzen, sagt der 32-jährige Mezger, der als Rechtsanwalt in Hamburg arbeitet. Mit speziellen Mentorenprogrammen etwa versuchen sie Interessierten den Einstieg zu erleichtern. Zu komplex und nicht auf der Höhe der Zeit sei etwa die Benutzeroberfläche, lautet oft ein Vorwurf. Auch der raue Umgangston in der männergeprägten Wikipedia-Gemeinschaft wurde immer wieder kritisiert.

"Wenn wir nicht genug freie Autorinnen und Autoren haben, dann gibt es auch keine Wikipedia mehr", sagt der Wikimedia-Vorsitzende Mezger. Dieser Satz klingt eher wie eine Drohung als nach Analyse. An der Leitidee will er nicht rütteln: Wikipedia soll ein Community-getriebenes ehrenamtliches Projekt bleiben.

In Zukunft bezahlte Jobs bei Wikipedia?

Genau das mache den Charme von Wikipedia aus, sagt auch Uwe Rohwedder, der Historiker aus Hamburg. Doch Freiwilligkeit habe auch Grenzen: "Dann muss man vielleicht in bestimmten Bereichen darüber nachdenken, da, wo sich kein Freiwilliger drum kümmern mag, ob man da nicht auch Leute für Geld dransetzt. Das können ja eben auch bezahlte Wissenschaftler sein."

Für viele in der Wikipedia-Gemeinschaft mag das nach einem Tabubruch klingen. Am Geld würde es nicht scheitern. Unter anderen haben Tech-Riesen aus dem Silicon Valley großzügig gespendet. Denn auch Google, Amazon und Co. sind mit ihren Angeboten auf eine gut gefüllte Wikipedia angewiesen, etwa für ihre neuen, intelligenten Lautsprechersysteme, die auch auf Wissensfragen antworten sollen.

Unter einer Lupe ist der Schriftzug und das Logo des Online-Lexikons Wikipedia auf einem Computerbildschirm zu sehen. © dpa-Bildfunk Foto: Jens Büttner
AUDIO: NDR Info Zeitzeichen: Die Gründung von Wikipedia (14 Min)

"Was danach kommt, muss nicht schlechter sein"

Uwe Rohwedder scheint nach den vielen Jahren als aktiver und begeisterter Wikipedianer, mit all den Debatten, eine für ihn gesunde Distanz zum Enzyklopädie-Projekt gefunden zu haben: "Es gab mal eine Zeit ohne Wikipedia und es wird irgendwann auch wieder eine Zeit ohne Wikipedia geben. Oder Wikipedia wird sich zumindest sehr stark verändern gegenüber dem, wie wir es jetzt kennen. Das muss nicht unbedingt schlechter sein, was danach kommt."

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 06.03.2019 | 06:50 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Onlinemedien

Netzwelt

Medien

Mehr Nachrichten

Vor dem Hamburger Rathaus steht der Stand des Bundesrates © picture alliance/dpa | Franziska Spiecker Foto: Franziska Spiecker

Hamburg erwartet Hunderttausende zum Einheitsfest

Als Vorsitzland im Bundesrat richtet Hamburg die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober aus. Bereits heute wird das Bürgerfest eröffnet. mehr