Kommentar: Behörde macht es sich mit Demo-Verbot zu leicht

Stand: 21.10.2023 09:12 Uhr

Der Terror der Hamas und die Reaktion Israels haben auch in dieser Woche viele Menschen aufgewühlt. In Hamburg sind noch bis einschließlich Sonntag Pro-Palästina-Demonstrationen nicht erlaubt. Dazu ein Kommentar von Oliver Wutke.

von Oliver Wutke

Mit dem pauschalen Verbot von pro-palästinensischen Kundgebungen hat es sich Hamburgs Versammlungsbehörde leicht gemacht. Ich finde: Zu leicht. Denn es muss in Hamburg möglich bleiben, für Menschenrechte im Gaza-Streifen oder im Westjordanland auf die Straße zu gehen. Das kann man anstößig, ärgerlich, oder sogar verlogen finden - gerade, wenn die Teilnehmer einer solchen Demonstration zum menschenverachtenden Hamas-Terror schweigen. Aber beim Demonstrationsrecht geht es nicht um Sympathie.

Behörde drückt sich um Prüfung im Einzelfall

Meinungs- und Versammlungsfreiheit gehören zu unseren Grundrechten. Jeder und jede darf hier demonstrieren, auch für scheinbar falsche oder komische Ideen. Er muss sich aber an die Regeln halten. Und das stellt die Polizei und ihre Versammlungsbehörde vor eine große Herausforderung: Sie muss nämlich eine Prognose darüber abgeben, ob bei einer Versammlung Gewalt oder Rechtsverstöße zu erwarten sind. Das kann man kaum pauschal mit Ja oder Nein beantworten, schon gar nicht über viele Tage hinweg. Aber um eine genaue Prüfung im Einzelfall hat sich die Behörde gedrückt.

Hass und Hetze nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt

Dabei gibt es sogar in der Hamburger Polizei Stimmen, die es für klüger hielten, die Demonstrationen erst einmal laufen zu lassen. Dann kennt man Ort und Zeit, kann Einsätze besser planen und gegen Rechtsverstöße gezielter vorgehen. Denn auch das muss klar gesagt werden: Gewalt, Hass und Hetze, Beleidigung, Verleumdung oder schiere Menschenverachtung sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es sind Straftaten, die verfolgt werden müssen. Und es gehört auch nicht zur Versammlungsfreiheit, auf unseren Straßen die Ermordung von Menschen zu feiern.

Gerade in Deutschland gibt es Grenzen des Sagbaren

Ich finde, die entscheidenden Worte dazu hat in dieser Woche der Bundespräsident gesagt: Jeder in Deutschland muss die Geschichte von Auschwitz kennen und die Verantwortung, die sich daraus ableitet. Das gilt auch für Menschen, deren Eltern, Groß- oder Urgroßeltern damals noch nicht in Deutschland gelebt haben und denen andere Krisen und Konflikte der Welt viel näher sind als die deutsche Geschichte. Aber die Auseinandersetzung mit dem Holocaust gehört zur DNA dieses Landes. Wer hier lebt, muss das respektieren und anerkennen, dass es gerade in Deutschland eben auch Grenzen des Sagbaren gibt.

Mein frommer Wunsch wäre es, dass wir diese Grenzen nicht mit Strafen und Verboten durchsetzen müssen, sondern dass sie einfach mal eingehalten werden. Aus Einsicht und Respekt. Und gerade von denen, deren Meinung ich vielleicht nicht teile, aber deren Meinungsfreiheit ich verteidige.

Weitere Informationen
Polizisten gehen nach dem Freitagsgebet an einer Moschee in Hamburg-St. Georg Streife. © dpa Foto: Marcus Brandt

Hamburger Polizei zeigt wegen Freitagsgebeten viel Präsenz

Wegen des andauernden Nahostkonflikts ist die Polizei in Alarmbereitschaft. Insgesamt blieb die Lage am Freitag ruhig. (21.10.2023) mehr

. © Screenshot

Palästinenser und Unterstützer kritisieren Demoverbot in Hamburg

Bis Sonntag sind alle pro-palästinensischen Demonstrationen verboten worden. Demonstrierende fühlen sich unter Generalverdacht gestellt. (20.10.2023) mehr

Polizisten stehen am Jungfernstieg neben Teilnehmenden einer verbotenen Pro-Palästina-Demo. © Georg Wendt/dpa

Pro-Palästina-Demo in Hamburg aufgelöst: Demo-Verbot bis Sonntag

Protestierende hatten sich in der Innenstadt versammelt. Unterdessen wurde das Verbot pro-palästinensischer Kundgebungen bis Sonntag verlängert. (19.10.2023) mehr

Daniel Kaiser, NDR 90,3, kommentiert. © NDR

Kommentar: Nahostkonflikt - Wir haben als Gesellschaft versagt

Es gibt Gewaltdrohungen gegen Juden auch bei uns in der Stadt. Politik und Gesellschaft müssen jetzt handeln und durchgreifen, kommentiert Daniel Kaiser. (13.10.2023) mehr

Das Rathaus in Hamburg © Colourbox Foto: Giovanni

Der Hamburg-Kommentar

Die Aktuell-Redaktion von NDR Hamburg kommentiert regelmäßig das politische Geschehen in der Hansestadt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Der Hamburg-Kommentar | 21.10.2023 | 08:40 Uhr

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Ein Bus fährt auf den Hochbahn-Betriebshof in Hamburg-Alsterdorf. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt Foto: Marcus Brandt

Hamburger Hochbahn: Führungskräfte unzufrieden mit der Unternehmenskultur

Ein Befragung der Führungskräfte zeigt, dass die Unternehmenskultur weit unterdurchschnittlich und im roten Bereich angekommen ist. mehr