Stand: 25.02.2014 19:02 Uhr

Jugendamt nimmt Armutsflüchtlingen Baby weg

von Dörte Petsch & Brid Roesner

Der 13. Februar 2014 hätte eigentlich einer der glücklichsten Tage im Leben für Kristine Purne und ihren Lebensgefährten Ruslans sein können: Denn an diesem Tag bringt Kristina im Hamburger Marienkrankenhaus ihre Tochter Miranda gesund zur Welt: 50 Zentimeter groß und 3285 Gramm schwer.

Doch die Eltern, die aus Lettland kommen, leben auf der Straße: Sie sind erst seit November in Hamburg - ohne Geld, Arbeit und Wohnung. Sie schlafen in einer Obdachlosen-Unterkunft des Winternotprogramms. Doch selbst diese Unterbringung ist streng genommen illegal, denn Bürger anderer EU-Mitgliedstaaten, die keiner Erwerbstätigkeit in Deutschland nachgehen, dürfen keine Sozialleistungen beziehen. Und Kinder sind im Winternotprogramm nicht erlaubt. Eine Regelung mit dramatischen Folgen für Kristine und Ruslans.

Das Jugendamt sieht das Kindeswohl gefährdet

Denn das Jugendamt Hamburg-Mitte nimmt den jungen Eltern fünf Tage nach der Geburt ihr Kind weg, weil das Kindeswohl gefährdet sei. Das Paar darf ihr neugeborenes Baby fortan nur noch zweimal am Tag in einer Kindernotunterkunft besuchen.

Die jungen Eltern sind verzweifelt. Warnungen hatten sie im Vorfeld nicht ernst genommen: "Ich habe nicht daran geglaubt, dass uns die Stadt das Kind wegnehmen wird. Aber andere Leute haben gesagt, es könnte sein, dass uns das Kind abgenommen wird", erzählt Ruslans. Für Mutter und Kind ist die Situation besonders dramatisch: Kristine kann den Säugling nicht oft genug stillen. Sie muss sogar Medikamente nehmen, die die Muttermilch zurückhalten.

Die Stadt im Dilemma

Marcel Schweitzer, Pressesprecher der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales und Familie.   © NDR
Behördensprecher Schweitzer kann kein Fehlverhalten der Stadt erkennen.

Die drastische Maßnahme des Jugendamtes entspricht der Gesetzeslage. Marcel Schweitzer, Pressesprecher der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales und Familie, erklärt, man habe das Paar gebeten, sich an das Bezirks- und Jugendamt zu wenden und sie mehrfach auf mögliche Konsequenzen hingewiesen. "Insofern konnte die Stadt gar nicht anders als bei der Entlassung aus dem Krankenhaus dann auch auf die Regeln zu bestehen. Das heißt, wenn es keine vernünftigen Wohnverhältnisse gibt, kann man das Kind einfach nicht bei der Mutter lassen."

Rechtlich ist das in Ordnung, doch menschlich bleibt es schwierig. Das räumt auch die Behörde ein: "Man muss schon feststellen, dass einfach häufiger auch Familien hierher kommen und keine Rechtsansprüche haben und wir dann als Kommunen - übrigens auch bundesweit - vor der Herausforderung stehen, dass wir sie nicht öffentlich-rechtlich unterbringen können."

Suche nach kreativen Lösungen

Peter Ogon, zuständig für den Fachbereich Existenzsicherung bei der Diakonie, hat mit den Folgen dieses Dilemmas zu kämpfen. Die Lücke zwischen den rechtlichen Regelungen und der Realität im Winter 2014 in Hamburg ist zu groß geworden: "Der Senat hat sich zu Beginn des Winternotprogramms gar nicht bewegt, jetzt bewegen sie sich und wir versuchen kreative Lösungen zu finden, aber das reicht nicht. Eine Unsicherheit für die schwangeren Frauen bleibt, ob wir eine Unterkunft finden und wie die dann auch bezahlt wird."

Kristine Purne und ihrem Lebensgefährten hilft nun das Deutsche Rote Kreuz (DRK), indem es den beiden eine Wohnung vermitteln will. Zunächst hat das DRK für vier Wochen ein Hotelzimmer angemietet. So kann die Familie endlich zur Ruhe kommen. Anschließend soll mit den beiden über ihre Perspektiven in Deutschland gesprochen werden. Doch für die sozialen Probleme armer Familien aus den EU-Ländern Osteuropas müssen, so wird an diesem Fall deutlich, dringend Regularien gefunden werden.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 25.02.2014 | 21:15 Uhr

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Das Containerschiff "Ane Maersk" wird in den Hamburger Hafen geschleppt. © Axel Heimken/dpa

Methanol-betriebener Frachter "Ane Maersk" erstmals in Hamburg

Das Containerschiff kann rund 16.000 Boxen transportieren und soll deutlich weniger CO2 ausstoßen als herkömmliche Frachter. mehr