Bundesgericht: Sterbehilfe-Mittel darf nicht ausgegeben werden

Stand: 08.11.2023 13:12 Uhr

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Klage auf Herausgabe des Sterbehilfe-Präparats Natrium-Pentobarbital durch den Staat abgewiesen. Der Verein Dignitas fordert mehr Rechtssicherheit für Ärzte.

Die Richter begründeten die Entscheidung damit, dass es zumutbare Optionen gebe, dem eigenen Leben medizinisch begleitet ein Ende zu setzen. Diese seien mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 festgestellt hatte, vereinbar. Für Kläger Hans-Jürgen Brennecke aus Reppenstedt (Landkreis Lüneburg) ist die Entscheidung "furchtbar enttäuschend und sehr ärgerlich", wie er dem NDR in Niedersachsen unmittelbar nach der Bekanntgabe des Urteils am Dienstag sagte. "Wir werden wieder bevormundet. Das ist nicht nachvollziehbar."

Brennecke hofft auf Gesetzesänderung

Brennecke war vor rund acht Jahren schwer an Krebs erkrankt und hatte nach eigenen Angaben zeitweise an starken Schmerzen gelitten. Mittlerweile gilt er als geheilt. Sollte der Tumor zurückkommen, will der 79 Jahre alte Mann sein Leben im Familienkreis beenden dürfen - mit Natrium-Pentobarbital. "Die Richter haben Recht - es gibt zweitrangige und drittrangige Mittel. Die sind nur nicht sicher, dauern lange und sind kompliziert einzunehmen", sagte Brennecke dem NDR. Dass Natrium-Pentobarbital in Deutschland verboten sei, "ist für mich ein Skandal". Es sei das "mit Abstand beste Mittel", das sich in anderen Ländern bewährt habe. Brennecke will nicht aufgeben. Er setzt darauf, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Gesetzesänderung auf den Weg bringt.

Dignitas fordert mehr Rechtssicherheit für Ärzte bei Sterbehilfe

Die Vorsitzende des Sterbehilfe-Vereins Dignitas Deutschland, Sandra Martino, blickt mit gemischten Gefühlen auf die Gerichtsentscheidung. "Das Ziel des Bundesverwaltungsgerichts, den Umgang mit Natrium-Pentobarbital zu schützen und somit Unfällen und Missbrauch vorzubeugen, ist zu begrüßen", sagte Martino dem NDR in Niedersachsen. "Dass die Suizidhilfe-Organisationen als legitime Alternative zur Erwerbserlaubnis von Natrium-Pentobarbital gesehen werden, begrüßen wir selbstverständlich auch." Sie mahnte aber an: "Es braucht dazu aber ausreichend Ärzte, die bereit sind, ihren Patienten Suizidhilfe zu leisten." Für diese Ärzte brauche es Rechtssicherheit, damit sie Präparate, die nicht im Betäubungsmittelgesetz stehen, verschreiben dürfen.

Bundesinstitut lehnt Ausgabe von Natrium-Pentobarbital ab

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte 2018 die Anträge von sieben Klägerinnen und Klägern auf Ausgabe von Natrium-Pentobarbital mit dem Verweis auf das Betäubungsmittelgesetz abgelehnt. Das Institut ist unter anderem für Einfuhr und Zuteilung des Präparats, das es in der Schweiz, nicht aber in Deutschland gibt, zuständig. In der Schweiz wird Natrium-Pentobarbital legal in der Sterbehilfe verwendet und gilt als zuverlässig. Das Bundesinstitut steht auf dem Standpunkt, dass der Staat nicht über die Vergabe von tödlichen Mitteln zur Sterbehilfe entscheiden darf. Fünf Kläger sind inzwischen verstorben. Neben Brennecke kämpfte der schwer an Multipler Sklerose erkrankte 52 Jahre alte Harald Mayer aus Rheinland-Pfalz vor Gericht um die Erlaubnis für Natrium-Pentobarbital.

Weitere Informationen
Hans-Jürgen Brennecke spricht in die Kamera. © Screenshot
3 Min

Bundesgericht verweigert Zugang zu Sterbehilfe-Medikament

Hans-Jürgen Brennecke aus Reppenstedt war einer der Kläger, die eine Herausgabe des Präparats Natrium-Pentobarbital gefordert hatten. (07.11.2023) 3 Min

Eine Hand mit zwei kleinen Tabletten. © NDR/Kulturjournal

Aktive, passive und indirekte Sterbehilfe - was heißt das?

Sterbehilfe kann vieles sein: aktiv, passiv oder indirekt. Was steckt hinter diesen Begriffen und was ist strafbar? (16.01.2023) mehr

Harald Mayer sitzt in seinem Rollstuhl. Dieser steht auf einem Steg an einem See mit Bergen im Hintergrund. © NDR
ARD Mediathek

Sterbehilfe: Harald Mayer kämpft um seinen Tod

Harald Mayer ist total bewegungsunfähig durch Multiple Sklerose. Er wünscht sich Sterbehilfe. Die hat er nie bekommen. (17.01.2023) Video

Hans-Jürgen Brennecke sitzt in seinem Haus in Reppenstedt am Schreibtisch. © NDR Foto: Björn Ahrend

Sterbehilfe: Über das Ende selbst entscheiden

Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt: Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist verfassungswidrig. Der Betroffene Hans-Jürgen Brennecke aus dem Kreis Lüneburg ist erleichtert. (26.02.2020) mehr

Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 07.11.2023 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Gesundheitspolitik

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Der Angeklagte Christian B. steht zwischen seinen Verteidigern in einem Gerichtssaal. © dpa Foto: Moritz Frankenberg

Prozess wegen Vergewaltigung: Freispruch für "Maddie"-Verdächtigen

Dem 47-Jährigen waren in Braunschweig mehrere Sexualstraftaten vorgeworfen worden. Er gilt auch im Fall "Maddie" als verdächtig. mehr