Ein voller Einkaufswagen steht im Gang eines Supermarkts. © Colourbox Foto: PetraD

Kolumne: "Haben ist manchmal einfacher als brauchen"

Stand: 12.06.2022 07:30 Uhr

"Haben ist besser als brauchen": Mit diesem Spruch wirbt gerade eine große Supermarktkette für sich. Pastorin Susanne Richter ärgert sich darüber.

von Susanne Richter

"Was für eine Einladung zu Hamsterkäufen!", ist mein erster Gedanke. Wie fies, dass sie das jetzt noch ankurbeln, wo meine Haushaltskasse eh schon in den roten Zahlen ist. Aber natürlich: Brauchen ist doof, da schlage ich lieber doch nochmal zu.

Mein zweiter Gedanke bei dem Thema Brauchen geht dann in die Vergangenheit und weg vom Supermarkt: Mir fällt mein Seelsorge-Professor aus dem Studium ein. Wie er mich damals im Selbsterfahrungskurs konfrontiert hat: "Etwas oder jemanden zu brauchen, damit haben Sie es eher schwer, Susanne?" Ups, eine Punktlandung. Bedürftig sein und Brauchen sind für mich damals tatsächlich das Gegenteil von sexy gewesen. Ich war so stolz, auf eigenen Beinen zu stehen. Tatsächlich war ich wohl eher beziehungsscheu als selbstständig mit meinem "bloß niemanden brauchen".

"Haben ist besser als brauchen" kann ein Irrtum sein

Irgendwann habe ich zum Glück begriffen, dass ich mit so einer Haltung nicht froh werden kann. Mein Fazit aus der Rückschau: Brauchen ist richtig wichtig. Und geht sehr tief in die eigene Geschichte hinein. Von Anfang an sind wir als Menschen nämlich angewiesen aufeinander. Und jedes Mal wenn wir Luft holen, zeigt es, dass wir etwas brauchen, dass wir in einen Kreislauf gehören mit Gott und der Welt. Ich glaube, viele, die sich auf das Haben spezialisieren, haben eigentlich Angst vor dem Brauchen. Angewiesen zu sein auf die Liebe von anderen. So wie ich damals. "Haben ist besser als brauchen" - das kann ein fataler Irrtum sein.

Was braucht eine Gesellschaft wirklich?

Susanne Richter © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka
"Brauchen ist richtig wichtig", sagt Pastorin Susanne Richter.

Zum Glück habe ich dann erlebt, dass es eine ganz eigene Schönheit und Würde haben kann, mit Liebe zu brauchen und zu geben. "Mir wird nichts mangeln." Der Spruch aus Psalm 23 ist mir damals oft durch den Kopf gegangen. So eine Haltung braucht Vertrauen, aber sie schafft gleichzeitig eine neue Art von Sicherheit. Ich übe mich darin. Meinen Anker der Hoffnung heute also dafür, dass wir als Gesellschaft ein Gespür entwickeln, was wir wirklich brauchen. Dann merken wir vielleicht sogar, was wir die ganze Zeit schon haben. 

Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 12.06.2022 | 07:30 Uhr

Ein Herz, Kreuz und Anker aus Silber vor blauem Hintergrund © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

Kreuz - Herz - Anker

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