Eine weinender Engel sitzt neben einer brennenden Kerze. © Kirche im NDR / Christine Raczka Foto: Christine Raczka

Kolumne: "Bittersüßer Advent"

Stand: 15.12.2022 07:30 Uhr

Für Pastorin Annette Behnken schmeckt dieser Advent bittersüß. Sie findet: Der Advent hat etwas mit Sehnsucht und Melancholie zu tun. Und sie denkt darüber nach, dass bittersüße Melancholie etwas sehr kostbares ist.

von Pastorin Annette Behnken

Wonach schmeckt der Advent? Zimt, Honig Lebkuchen - so diese Richtung? Tendenziell süß, oder? Ja, würde ich so sehen. Emotional aber schmeckt mir dieser Advent bittersüß. Bittersüß - das ist die Geschmacksrichtung der Melancholie. Tage voller Honig, Tage voller Zwiebeln, sagt ein arabisches Sprichwort. Ich liebe den Advent so sehr, diese Zimt- und Kerzenlicht gesättigte Zeit. Warm. Duftend. Erwartungsvoll.

Schmerzhafte Freude an der Schönheit der Welt

Gerade weil es so schön ist bricht eine Sehnsucht nach Vollkommenheit auf. Und macht mir besonders schmerzhaft fühlbar, was gar nicht vollkommen ist, was sich nicht erfüllt hat, wo der Honig fies nach Zwiebeln schmeckt. Bittersüß. Die Autorin Susan Cain beschreibt in ihrem Buch, das eben so heißt, diesen Geschmack, den das Leben manchmal hat. Ein deutliches Gewahrsein, wie vergänglich die Zeit ist. Eine merkwürdig schmerzhafte Freude an der Schönheit der Welt. Eine bittere Süße, der bewusst ist, dass Licht und Dunkel, Geburt und Tod, süß und bitter auf ewig ineinander verwoben sind.

Es gibt oft kein Platz für Trauer und Gefühle

Pastorin Annette Behnken © Kirche im NDR Foto: Jens Schulze
Für Pastorin Annette Behnken ist Melancholie ein kostbares Gefühl - auch im Advent.

Melancholie ist nicht angesagt in unserer Gesellschaft. Wir lernen früh, dass Tränen, Trauer und dunkle Gefühle nicht gezeigt werden sollten. Dabei ist die bittersüße Melancholie ein außerordentlich kostbares Gefühl. Denn: Sie ist eine stille Kraft. Lässt uns spüren, was uns wertvoll ist. Und wer. Für was wir leben wollen. Mit wem und mit was wir uns verbinden möchten. Papst Gregor der Große sprach von der "compunctio", dem heiligen Schmerz. Das Ziehen im Herzen, wenn man mit dem absolut Schönen konfrontiert wird. An diesem Ort mitten zwischen dem Verlorenen und dem Ersehnten, da liegt ein Tor, zu einem tieferen Reich, das uns spüren lässt, dass die Welt heilig und geheimnisvoll ist. Darum singen wir: "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit."

Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jede Woche vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.

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Eine Kerze wird mit einem Streichholz angezündet. © picture alliance / Zoonar Foto: Maurice Tricatelle

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 15.12.2022 | 07:30 Uhr

Ein Herz, Kreuz und Anker aus Silber vor blauem Hintergrund © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

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