Tim Gießelmann: Runter von der Straße - rein ins Leben

Stand: 03.12.2024 15:11 Uhr

Tim Gießelmann lebt seit gut zwei Jahren auf der Straße. Nach einem Schicksalsschlag nahm er Drogen, trank Alkohol. Er verlor Job, Kinder und Wohnung. Heute ist er clean und sucht wieder eine Wohnung.

von Josephine Lütke

Die Sonne blitzt durch die Äste an diesem Morgen. Tim Gießelmann und seine Freundin Juliane Schmidt aus Osnabrück bereiten das Futter für ihre drei Hunde vor. Als Tisch dient ein Holzstuhl. Er steht neben zwei Zelten. Hier leben die beiden seit einigen Monaten zusammen mit einem anderen Paar. Ihr Lager ist geschützt durch ein paar Bäume. Die Autos auf dem befahrenen Osnabrücker Ring um die Innenstadt hört man aber deutlich. Simba, Effi und Timmi schlabbern ihr Futter aus ihren drei silbernen Futterschalen. "Meine Hunde bedeuten mir alles", sagt Tim Gießelmann. "Ohne die wäre ich nicht mehr hier." Sie geben ihm Trost und vor allem: "Sie verurteilen mich nicht. Sie nehmen mich so, wie ich bin", sagt der 36-Jährige.

Alles verloren durch die Sucht

Als sein Vater vor einigen Jahren erst zum Pflegefall wurde und dann starb, flüchtete sich Tim Gießelmann in den Rausch. Er nahm Drogen, trank Alkohol. Dadurch verlor er seinen Job und seine Kinder. "Das habe ich nicht verkraftet und hab‘ dann noch mehr Drogen genommen." Papierkram, Alltag, Miete: er kümmerte sich um nichts mehr, überlebte einen Suizidversuch und verlor schließlich seine Wohnung. Das Zelt, die Straße wurden sein Zuhause. "Da habe ich dann nur noch von Pfandflaschen gelebt."

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Wieder Arbeit

Seit rund einem Jahr lebt er zusammen mit seiner Freundin Juliane Schmidt. Im Sommer im Zelt und im Winter in einer Unterkunft für Wohnungslose. Morgens gehen sie zusammen zum Frühstück bei der Wohnungslosenhilfe des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) in Osnabrück. "Dann geht sie schnorren und ich verkaufe die 'Abseits'", sagt Gießelmann. Durch den Verkauf der Straßenzeitung können die beiden unter anderem das Futter für die Tiere bezahlen. Die kalten Herbstnächte sind kein Problem. Die drei Hunde sorgen für ein warmes Zelt.

Psychischer Druck und gesellschaftliche Ächtung

"Das Schlimmste ist eigentlich der psychische Druck, weil man nie zur Ruhe kommt, keinen Rückzugsort hat und von der Gesellschaft runtergemacht wird", sagt Tim Gießelmann. "Wenn gerufen wird: 'Wieder so ein Penner, geh' doch mal arbeiten.' Man muss aufpassen, dass man nicht depressiv wird. Es gibt Tage, da will man gar nicht aufstehen." Halt geben ihm vor allem seine Hunde. Gießelmann wünscht sich, dass es mehr Menschen gibt, die ihn nicht verurteilen, die sich nicht einfach ein Urteil bilden, ohne ihn und seine Geschichte zu kennen.

"So wie Weihnachten"

Ein Mann und eine Frau sitzen fröhlich an einem Tisch. © NDR
"Das ist so wie so ein Familienessen, so wie Weihnachten", sagt Juliane Schmidt über das Dinner für Wohnungslose.

Das jährliche Projekt "Gut essen im Abseits" setzt genau da an. Bei dem Dinner für Wohnungslose geht es darum, den Menschen Würde zu geben, sie sichtbar zu machen, heißt es von den Initiatoren, Organisatoren und Geldgebern, wie der Bürgerstiftung. Sie ist in diesem Jahr Empfängerin der Spenden, die bei der Benefizaktion des NDR "Hand in Hand für Norddeutschland" zusammenkommen. 140 Wohnungslose sind in diesem Jahr zu dem Osnabrücker Event gekommen, sie werden umsorgt von Fußpflegerinnen, Friseuren und Küchenprofis. Es gibt ein Drei-Gänge-Menü, serviert von Osnabrücker Promis wie Weihbischof Johannes Wübbe oder Oberbürgermeisterin Katharina Pötter. Auch Tim Gießelmann und Juliane Schmidt sind dabei und lassen sich einen Tag lang verwöhnen. "Das ist wie ein Familienessen, so wie Weihnachten. Ich genieße das total", sagt Juliane Schmidt. "Das ist ein guter Vergleich", stimmt Tim Gießelmann zu.

Auf Wohnungssuche

Gießelmann ist mittlerweile clean, hat seinen Entzug auf der Straße geschafft, sagt er. Seine Freundin Juliane Schmidt hat sogar ihr Fachabitur im Zelt gemacht. Gemeinsam suchen sie jetzt eine Wohnung. Doch das ist gar nicht so einfach mit den drei Hunden. "Wir hätten schon eine Wohnung haben können. Allerdings ohne die Hunde. Und das ist keine Option", sagt Tim Gießelmann. "Aber wir versuchen, nicht aufzugeben." Auch weil er hofft, seine Kinder dann wieder sehen zu können.

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