Sendedatum: 16.02.2020 19:30 Uhr

Zeitreise: IfW forscht für die Wehrmacht

von Sylvia Aust

Die Expertise der Wirtschaftswissenschaftler vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel ist bis heute international gefragt. Seit mehr als 100 Jahren gibt es die Denkfabrik an der Förde. Doch sie hat eine dunkle Vergangenheit.

Gewalt gegen jüdische Wissenschaftler

Bis 1933 arbeiten, forschen, analysieren noch viele Juden am IfW. Doch nach der Machtergreifung der Nazis stürmen Schlägertrupps der Sturmabteilung (SA) und des Studentenbundes der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) das Institut an der Kieler Förde, mit dem Auftrag, alle Juden "zu beseitigen". Damit beginnt das wohl dunkelste Kapitel in der Geschichte des Forschungsinstitutes.

Forschung für das NS-Regime

Ein gemaltes Porträt zeigt  Andreas Predöhl Direktor des IWF seit 1934. © NDR
Andreas Predöhl wird 1934 Direktor des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

1934 wird Andreas Predöhl zum Direktor des IfW ernannt. Er trifft eine folgenschwere Entscheidung: Ein halbes Jahr vor dem deutschen Überfall auf Polen geht er eine brisante Allianz mit der Wehrmacht ein. Das Wehrwirtschaftsamt braucht Informationen von den Wissenschaftlern. Alles, was der Wirtschaftskriegsführung dient, ist willkommen. Es geht um die Wirtschaftskraft "des Feindes", um Stahlproduktion, Mineralölversorgung, Kornkammern oder "neue Lebensräume im Osten". Das Ziel der Nazis: die Unterwerfung und Ausbeutung von Nachbarländern.

Forschen in Kiel statt Dienst an der Front?

Die Kieler Ökonomen fertigen Berichte "wie am Fließband" an - gegen Bezahlung. Später sagt Predöhl, er habe durch seine Unterstützung des NS-Regimes versucht, das Institut zu retten. Und er hätte seine Mitarbeiter vor der Front bewahrt.

Dr. Gunnar Take vom Institut für Zeitgeschichte in München gibt vor einem Bücherregal ein Interview. © NDR
Der Historiker Gunnar Take hat untersucht, wie die Forscher am IfW in Kiel im Nationalismus arbeiteten.

Hatte er also wirklich keine Wahl? Musste die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht so intensiv sein? Erstmals hat der Historiker Gunnar Take vom Institut für Zeitgeschichte in München für seine Dissertation wissenschaftlich untersucht, wie und in welchem Umfang die Kieler Ökonomen für das NS-Regime gearbeitet haben. Sie wären keine Mitläufer gewesen, sondern "Bestandteil des Systems", sagt Take. In mehr als vier Jahren hat er hunderte von Dokumenten aus der Zeit analysiert. 75 Jahre nach Kriegsende wirft Take einen neuen Blick auf die damaligen Ökonomen, die - so der Historiker - für den Wirtschaftskrieg geforscht haben.

Veranstaltung am IfW: "Forschen für den Wirtschaftskrieg"

Seine Dissertation ist als Buch "Forschen für den Wirtschaftskrieg" erschienen, das er am 20. Februar am IfW in Kiel vorstellt. Es ist eine späte Aufarbeitung eines dunklen Kapitels an einer der renommiertesten Forschungsstätten Deutschlands.

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Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Schleswig-Holstein Magazin | 16.02.2020 | 19:30 Uhr

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