MV Werften: Wie geht es weiter mit der "Global One"?

Stand: 13.06.2023 17:51 Uhr

Eines der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt liegt seit der Pleite der MV Werften unvollendet in Wismar. Der Disney-Konzern will die "Global One" fertig bauen, kündigte er an - doch passiert ist seitdem offenbar kaum etwas. Die Nervosität wächst.

von Stefan Buchen

Micky Maus sollte die Rettung bringen für die "Global One", den Rohbau eines gigantischen Schiffes in Wismar, an der mecklenburgisch-vorpommerschen Küste. International war die "Global One" als das größte schiefgelaufene Kreuzfahrtschiffprojekt der Welt bekannt geworden. Als buchstäblich größter Brocken in der Insolvenzmasse der pleitegegangenen MV Werften drohte ihr die Verschrottung.

Christoph Morgen, Insolvenzverwalter der MV Werften © NDR
Hat einen Käufer für den Rohbau des Schiffes gefunden: Insolvenzverwalter Christoph Morgen

Doch am 17. November 2022 erklärte der Insolvenzverwalter der MV Werften, Christoph Morgen, das unfertige Kreuzfahrtschiff an den Disney-Konzern verkauft zu haben. "Es geht weiter", sagte Christoph Morgen an jenem kalten Novembertag. "Die 'Global One' wird hier in Wismar für Disney Cruises zu Ende gebaut."

Ein Paukenschlag. Denn seit die MV Werften und ihr südostasiatischer Eigentümer Genting im Januar 2022 pleite gegangen waren, hatte der Insolvenzverwalter monatelang nach einem Käufer für den Schiffsrohbau gesucht. Dieser war federführend mit Krediten der staatlichen KfW finanziert und mit Exportkreditgarantien der Bundesregierung abgesichert worden.

 

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Von Disney gekauft, von Meyer gebaut?

Der Wende ein Gesicht gab schließlich der Seniorchef der niedersächsischen Meyer Werft, Bernhard Meyer. Der Werftenpatriarch aus Papenburg will die "Global One" im Auftrag von Disney zu Ende bauen. Ausführlich schilderte er im Herbst 2022, dass seine Leute und Disney-Arbeitsgruppen das Schiff inspiziert, für gut befunden und Pläne für den Um- und Weiterbau geschmiedet hätten. Dies sei in aller Diskretion geschehen, "under cover", wie Meyer sich ausdrückte.

Die Zuhörer mussten den Eindruck gewinnen, es gäbe einen ausgereiften Plan für das Schiff. Medien berichteten, das fertige Schiff werde sechs mit einer stilisierten Micky Maus bemalte Schornsteine haben. Allerdings nur zwei davon echt, die übrigen vier würden nur so aussehen und in Wirklichkeit Luxussuiten beinhalten, hoch oben über dem Deck - ein schwimmendes Disneyland. Im Februar 2023 werde der Weiterbau beginnen.

Passiert ist bisher kaum etwas

Daniel Friedrich von der IG Metall Küste © NDR
Gewerkschafter Daniel Friedrich hofft auf einen schnellen Umbaubeginn.

Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahr seit den Ankündigungen vergangen. Der Vergnügungskonzern aus Florida hat zwar mitgeteilt, dass er das Schiff ab 2025 in Singapur stationieren und von dort aus Kreuzfahrten für Gäste aus aller Welt anbieten wolle. Und vor der Werfthalle in Wismar weht auch bereits eine Micky-Maus-Fahne. Aber drinnen am Schiff ist nach Recherchen von Panorama 3 kaum etwas passiert.

"Das Schiff ist instandgehalten worden", erklärt Daniel Friedrich von der IG Metall Küste. Es müsse Einiges getan werden, damit es keinen Rost ansetze, aber es sei "noch kein Umbau auf den Weg gebracht worden". Die Meyer Werft habe bislang deutlich weniger Mitarbeiter der Konkurs gegangenen MV Werften übernommen als die im November in Aussicht gestellten 650 - nämlich "knapp 300", sagt Friedrich. "Uns wäre daran gelegen, dass wir längst in der Umbauzeit wären."

Bei den Arbeitern, die sich Jobs von Disney und Meyer in Wismar versprechen, macht sich Unruhe breit. Wie Panorama 3 erfuhr, fand Anfang Juni auf Wunsch der Gewerkschaft ein Treffen statt, an dem Vertreter der Meyer Werft, des neuen Werfteigentümers Thyssen Krupp Marine Systems, der Insolvenzverwalter sowie weitere Akteure teilnahmen. Wann der Weiterbau beginne, sei von der Meyer Werft aber nicht zu erfahren gewesen, berichteten Teilnehmer.

Der Insolvenzverwalter hat seine eigene Version: Neben Instandhaltungsarbeiten finde in der Werfthalle auch eine "Arbeitsvorbereitung" statt. Diese sei schon "Teil des Weiterbaus", ließ er durch einen Sprecher mitteilen.

Offenbar gibt es keinen Vertrag

Zwei Arbeiter verlassen das in der Werft liegende Schiff "Global One". © NDR
Bisher wird die "Global One" offenbar nur instand gehalten.

Doch in vertraulichen Gesprächen mit Panorama 3 berichteten Schiffbauexperten mit Verbindungen zur Wismarer Werft, dass für einen Baustart etwas ganz Wesentliches fehle: ein Vertrag zwischen dem Micky-Maus-Konzern und der Meyer Werft über die Fertigstellung des Schiffes.

Die FDP-Landtagsabgeordnete Sandy van Baal ist der Sache nachgegangen und bestätigte Panorama 3: "Nach meiner Kenntnis gibt es einen solchen Vertrag nicht." Wir erkundigen uns beim Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern nach der "Global One". "Bitte wenden Sie sich an die beteiligten Unternehmen", teilt ein Sprecher mit. Später ergänzt das Ministerium, "die Vertragsverhandlungen" zwischen Disney und der Meyer Werft würden "ohne Beteiligung des Landes" geführt. Wegen der Pleite der MV Werften muss das Bundesland damit rechnen, dass eine Bürgschaft von 300 Millionen Euro fällig wird.

Die Skepsis wächst - die Hindernisse auch

Ein Sprecher der Meyer Werft möchte aktuelle Fragen zur "Global One" nicht beantworten und verweist auf Disney. Eine Konzernsprecherin in den USA weicht konkreten Fragen nach dem fehlenden Vertragsabschluss über die Fertigstellung des Schiffes aus und verweist auf eine Pressemitteilung des Unternehmens vom März. Darin ist zu lesen, es sei geplant, dass die Meyer Werft den Bau des Schiffs in Wismar vollenden werde. Der Konzern befinde sich in Sachen Kreuzfahrt auf Expansionskurs. Singapur solle von 2025 bis 2030 Heimathafen des Schiffs werden, das 6.000 Passagiere werde aufnehmen können, heißt es. Insolvenzverwalter Morgen lässt wissen: "Ich gehe davon aus, dass das Schiff wie geplant in Wismar fertig gestellt wird."

Doch Beobachtern kommen leise Zweifel: "Mittlerweile kommt so ein Gefühl auf: Was ist los? Warum geht´s nicht weiter? Woran liegt das?", kommentiert die FDP-Politikerin van Baal die Unklarheit.

Und neben den schiffbaulichen Herausforderungen zeichnet sich noch ein weiteres Hindernis ab: die finanzielle Lage der Meyer Werft. Im April gab das Papenburger Unternehmen bekannt, einen "zusätzlichen Kredit" aufgenommen zu haben. Dieser werde "teilweise" durch eine Bürgschaft des Landes Niedersachsen abgesichert, "mit einer Rückdeckung des Bundes". Mit anderen Worten: Die Meyer Werft nimmt staatliche Unterstützung in Anspruch, um auf dem Kapitalmarkt kreditwürdig zu sein. Disney hat offenbar einen schwächelnden Partner.

Wer zahlt die Schulden des Schiffes ab?

Den Schiffsrohbau in Wismar hat Disney im November nach eigenen Angaben "zu einem günstigen Preis" erworben. Im Geschäftsbericht des Konzerns für das Jahr 2022 heißt es dementsprechend, der Kaufpreis für das unfertige Schiff sei "not material", nicht erheblich, gewesen.

Die "Global One" geht "lastenfrei" in den Besitz von Disney über, wie der Insolvenzverwalter gegenüber Panorama 3 im November bestätigte. Die Schulden, die nach der Pleite der MV Werften auf dem Schiff lasteten, werden also von anderen getragen - womöglich vom deutschen Steuerzahler.

Der Kauf war ein Schnäppchen für Disney. Die Kosten des Um- und Weiterbaus hingegen werden sehr erheblich sein, mindestens eine Milliarde Euro, wie Schiffbauexperten schätzen. Schreckt der Unterhaltungskonzern vor dem Risiko zurück? Oder pokert er um weitere Unterstützung vom deutschen Staat für den Kreuzfahrtschiffbau an der Ostseeküste? Auf Nachfrage beim Bundeswirtschaftsministerium heißt es, "zu etwaigen Krediten und Bürgschaften" seien keine Auskünfte möglich. Dem stünden "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" entgegen.

Sollte der Weiterbau am Ende doch noch platzen, müsste sich Disney selbst um die Entsorgung des Rohbaus kümmern. Denn, wie Insolvenzverwalter Morgen im November 2022 erklärte: "Das Schiff gehört jetzt auch rechtlich Disney Cruise Lines."

 

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 13.06.2023 | 21:15 Uhr

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