Stand: 10.09.2012 16:15 Uhr

Kokain im Kindersaft

von Hanna Möllers, Panorama 3
Eine anonymisierte Aufnahme von Laura (Name von der Redaktion geändert), eine ehemals drogenabhängige Mutter aus Bremen.
Laura* lebt heute in Bremen. Sie möchte ihre Kindern schützen und nicht erkannt werden.

Jahrelang drehte sich Lauras* Alltag nur um den nächsten Schuss Heroin. Ihre Kinder haben dabei nur gestört. Im Interview mit Panorama 3-Reporterin Hanna Möllers berichtet die Mutter aus Bremen, warum sie ihre Kinder mit Drogen fütterte, wie sie die Behörden austrickste - und wie man ihr hätte helfen können.

Hanna Möllers: Laura, Sie waren fünf Jahre drogenabhängig und mussten sich allein um ihre Kindern kümmern. Was hat das für Ihre Kinder bedeutet?

Laura: Ich glaube, für die Kinder war das schon ganz schlimm, weil die von mir als Mutter überhaupt nichts hatten. Mein ganzes Leben, mein ganzer Tagesablauf drehte sich nur um Drogen: Aufstehen, konsumieren, Geld beschaffen. Eigentlich immer dieser Kreislauf.

Sie wurden ja nach einiger Zeit ins Methadonprogramm aufgenommen. War das keine Verbesserung für die Kinder?

Beikonsum:
Als Beikonsum bezeichnet man den weiteren Drogenkonsum von beispielsweise Heroin, Kokain oder anderen Rauschmitteln während der gleichzeitigen Einnahme von  Ersatzdrogen wie Methadon. Denn Patienten im Methadon-Programm dürfen keine anderen Drogen konsumieren. Dies wird durch regelmäßige Tests überprüft.

Laura: Es brachte keine Ruhe rein. Entweder hatte ich das Methadon zur Seite gepackt für die schlechten Zeiten oder ich habe es verkauft und trotzdem meine Drogen konsumiert. Manchmal habe ich beides genommen, das kam auch vor, dass ich erste meine Dosis Methadon genommen habe und dann bin ich los und hab mir meinen Beikonsum besorgt.

Was war im Nachhinein das Schlimmste für die Kinder?

Laura: Wenn ich auf Entzug war, hatte ich keine Geduld und keine Nerven. Und wenn dann zum Beispiel mein kleiner zweijähriger Sohn losgebrüllt hat, konnte ich dieses Schreien nicht aushalten. Ich stand neben dem Kinderbettchen und hatte schon den Impuls, ihm das Kissen aufs Gesicht zu drücken, damit er endlich aufhört zu schreien. In den Momenten hab ich gedacht: Es ist doch gut, wenn ich ihm einfach etwas zum Schlafen gebe. Dann schreit er nicht mehr.

Was haben Sie dann Ihren Kindern gegeben?

Ein Haufen Kokain auf einem Tisch © Imago/Blickwinkel
Kokain, wie hier symbolisch auf einem schwarzen Tisch, rührte Laura ihrer Tochter ins Essen.

Laura: Das waren Beruhigungsmittel, Antidepressiva und das Kokain bei der Tochter. Ich kann mich an eine Situation erinnern, in der ich meiner Tochter Kokain mit ins Glas gegeben habe. Ich kann es gar nicht beschreiben, ich habe damals selber so viele Drogen in mir gehabt, dass ich in einem totalen Film war und nicht darüber nachgedacht habe: Das ist dein Kind, das muss jetzt ins Bett. Ich hatte irgendwie Angst allein zu sein in dem Moment und habe gedacht: Sie darf bloß nicht schlafen, sie muss wach bleiben, sie muss bei mir sitzen.

Was passiert da im Kopf in so einer Situation? Man liebt seine eigenen Kinder doch.

Laura: Wenn ich damals auf Entzug gewesen bin, drehte sich in meinem Kopf alles um die Frage: Wie komme ich an das nächste Zeug? Wo kriege ich Geld her? Und wenn dann die Kinder mit ihren Bedürfnissen kamen, war keine Zeit und keine Geduld dafür. Dann habe ich halt geguckt, dass ich die Kinder irgendwie ruhig stelle oder die zur Seite gepackt werden, damit ich mich um mein Hauptproblem kümmern konnte, weil ich konnte halt nur funktionieren, wenn ich was gekriegt hab.

Seinen Kindern Drogen zu geben - ist das in der Szene üblich?

Laura: Es ist nicht ungewöhnlich.

Wie war das überhaupt möglich? Jeder, der im Methadonprogramm ist wird doch regelmäßig zu Urinkontrollen gebeten. Da hätte ihr Drogenkonsum doch auffallen müssen.

Laura: Ja, aber da konnte ich damals ganz leicht tricksen. Ich war bei mehreren Ärzten, ich bin nicht bei einem geblieben. Bei einem Arzt waren die Urinkontrollen relativ einfach zu Fälschen. Ich habe fremden Urin von Bekannten mitgebracht und dann ausgetauscht. Das hatte ich ziemlich schnell raus.

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Symbolbild: Kinderteller mit Drogenbesteck. © Radio Bremen

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Was hätten Haartests in Ihrer damaligen Situation gebracht?

Laura: Da wäre ich sicherlich schnell aufgeflogen. Bei Haartests hätte ich nicht derart rumtricksen können. Da wäre viel eher auf den Tisch gekommen, was eigentlich Sache ist.

Ein Argument gegen Haartests ist vor allem, dass man das Vertrauensverhältnis zu den Substituierenden nicht zerstören möchte. Können Sie das nachvollziehen?

Laura: Ich weiß nicht, ob man da von Vertrauen sprechen kann. Also, ich habe damals gelogen wie gedruckt, weil ich halt immer nur verstecken, verstecken, verstecken wollte. Ich denke, das tut jeder, der drogenabhängig ist. Man kann einem Drogenabhängigen, der nur guckt, wie er an sein nächstes Zeug kommt, einfach nicht vertrauen kann. Das kann nur über Kontrollen funktionieren, nicht über Vertrauen.

Was bringen strenge Kontrollen?

Laura: Wäre ich damals öfter kontrolliert worden, dann hätte das auch mehr Druck auf mich ausgeübt. Und dann hätte ich vielleicht schon eher irgendwie die Kurve gekriegt, nicht erst so spät, ja fast zu spät. Aber da ich ja in Ruhe gelassen wurde und alles so einfach war, hab ich einfach weitergemacht.

Mittlerweile sind Sie seit fünf Jahren clean. Wie haben Sie es letztlich geschafft, von den Drogen loszukommen?

Laura: Man hat mir damals Druck gemacht: Entweder in Therapie gehen oder ich verliere meine Kinder. Meine Tochter hatten Sie schon in die Kurzzeitpflege genommen. Dann sollte ich auch meinen Sohn abgeben. Ich hatte die Wahl: Meine Kinder oder die Drogen. Ich habe die Therapie gemacht. Denn für mich war klar: Ohne meine Kinder kann ich nicht leben.

*Name von der Redaktion geändert

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 11.09.2012 | 21:15 Uhr

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