Stand: 10.09.2012 16:15 Uhr

Wer kontrolliert Drogen-Familien?

von Jasmin Klofta, Jan Liebold & Hanna Möllers

Was Laura* getan hat, versteht sie heute selbst nicht mehr. Sie hat ihren Kindern Drogen gegeben: "Ich erinnere mich, dass ich meiner kleinen Tochter Kokain mit ins Glas gegeben habe. Ich habe damals selber so viele unterschiedliche Drogen in mir gehabt, dass ich in einem totalen Film war." Lauras Alltag drehte sich allein um den nächsten Schuss Heroin.

VIDEO: Koks fürs Kind (5 Min)

Ihre zwei Kinder haben dabei nur gestört: "Es gab Situationen, in denen ich mit den Kindern total überfordert war und nicht weiter wusste. Da hab ich denen Antidepressiva verabreicht, damit sie einfach ruhig werden oder schlafen, um das irgendwie mit denen hinzukriegen."

Laura ist offenbar kein Einzelfall. Das haben drei Reihenuntersuchungen von Kinderhaaren aus Bremen, Bremerhaven und Köln ergeben. Das übereinstimmende Ergebnis: Mehr als 70 Prozent aller Kinder aus Drogen-Familien haben selbst Drogen im Körper. Nicht immer sind den Kindern die Drogen verabreicht worden. Manchmal konnte nur ein Umgang mit Drogen nachgewiesen werden. Aber wie gefährlich der ist, zeigt der Hamburger Fall Chantal: Die Elfjährige starb im Januar 2012 an einer Überdosis Methadon. Methadon, das die drogenabhängigen Pflegeeltern achtlos zu Hause rumliegen ließen. Chantal lebte in völlig verwahrlosten Zuständen.

Wer kontrolliert die drogenabhängigen Eltern?

Auf einem Bild steht: Wir trauern um unsere Mitschülerin Chantal © dpa Foto: Markus Scholz, dpa
Mit diesem Bild trauerten Mitschüler damals um die verstorbene Chantal.

Hamburg setzt - auch nach Chantals Tod - vor allem auf Urintests, durchgeführt von Substitutionsärzten. Fast alle drogenabhängigen Eltern nehmen an einem sogenannten Substitutionsprogramm teil. Sie bekommen vom Arzt die Heroin-Ersatzdroge Methadon, sollen dafür aber nicht weiter fixen. Ansonsten - und das ist neu - soll der Arzt bei den Ämtern Alarm schlagen. So will es die neue Kooperationsvereinbarung. Fachleute bezweifeln allerdings, dass diese Urinkontrollen ausreichend sind. Einer von ihnen ist Dr. John Koc, Facharzt für Psychiatrie und Suchtmedizin: "Urinkontrollen sind sehr störungsanfällig, haben eine gewisse Fehlerbreite und können auch manipuliert werden. Die Patienten, die substituiert werden, kennen über kurz oder lang alle Möglichkeiten Urinkontrollen zu fälschen."

Auch Melanie* war drogenabhängig. Ihre zwei Kinder wuchsen zwischen herumliegenden Spritzen, Kokain und Drogenparties auf. Auch sie hat fast nie ihren eigenen Urin abgeben, aufgefallen ist das keinem: "Schwer ist es nicht. In der Szene ist es bekannt, das macht jeder. Man weiß genau, von welchen Leuten man sich das holen kann, wer was nimmt, was drin sein muss."

Fast ein Wunder, dass Melanies Kindern nichts Schlimmeres passiert ist. Denn ein Unfall wie im Fall Chantal ist keine Seltenheit. Es gibt zwar keine Statistik. Doch immer wieder machen tragische Todesfälle auf die Problematik aufmerksam. Nach Recherchen von Panorama 3 gab es in den letzten Jahren bundesweit elf Todesfälle. Experten gehen von einer noch höheren Dunkelziffer aus.

Bremen setzt auf Haartests

Bremen setzt deshalb neben den Urintests auf flächendeckende Haaranalysen, und zwar bei Eltern und  Kindern. Denn Haaranalysen  gelten quasi als fälschungssicher, wie Prof. Bernd Mühlbauer vom Klinikum Bremen Mitte erklärt: "Beim Haartest müssen Sie schon ganz andere Maßnahmen ergreifen, damit er negativ wird – bis hin zum Entfernen des Haares. Darüber hinaus können Sie können über Wochen und Monate nachweisen, ob und wie viel Kontakt oder Konsum ein entsprechender Proband mit Drogen hatte."

Behördensprecher Rico Schmidt © Stadt Hamburg
Für Behördensprecher Rico Schmidt ist es vor allem wichtig, ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern aufzubauen.

Hamburg will die Haartest allenfalls in Einzelfällen einsetzen, wenn die Sozialarbeiter ohnehin schon einen Verdacht haben. Flächendeckende Haaranalysen bei allen Methadonpatienten und ihren Kindern lehnt die Hansestadt ab, sagt Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde: "Es geht darum, diesen Menschen möglichst gut zu helfen. Wir möchten natürlich, dass die Kinder bei ihren Familien aufwachsen können. Es ist ja keine Lösung, Kinder grundsätzlich aus Familien zu nehmen, sondern es geht darum, den Eltern zu helfen. Dazu brauchen wir ein Vertrauensverhältnis."

"Ich habe gelogen wie gedruckt"

Ein Argument bei dem Laura nur mit dem Kopf schütteln kann. Auch sie war in einem Methadonprogramm, auch sie hat weitergefixt und Urinkontrollen gefälscht: "Haartests sind besser. Man kann nicht mehr so viel rumtricksen. Ich habe damals gelogen wie gedruckt. Ich glaube nicht, dass man einem Drogenabhängigen, der nur darauf aus ist, wie er an sein nächstes Zeug kommt, vertrauen kann."

Ans Licht gekommen sind Lauras Tricksereien viel zu spät. Ihre Kinder sind geschädigt: Ihr Sohn hat ADHS, ihre Tochter ist lernbehindert. Erst als die Vernachlässigung der Kinder in der Schule und im Kindergarten auffiel, wurde Laura vom Jugendamt vor die Wahl gestellt: Entzug und Psychotherapie oder Kinder weg. Sie entschied sich für die Kinder. Bis heute lebt sie clean. Wäre ihr Drogenkonsum durch Haartests früher aufgeflogen, hätte das ihr und den Kindern wahrscheinlich viel Elend erspart.

*Namen von der Redaktion geändert

Weitere Informationen
Eine anonymisierte Aufnahme von Laura (Name von der Redaktion geändert), eine ehemals drogenabhängige Mutter aus Bremen.

Kokain im Kindersaft

Im Interview mit der Panorama 3 Reporterin Hanna Möllers berichtet eine Mutter aus Bremen, warum sie ihre Kinder mit Drogen fütterte und wie sie die Behörden austrickste. mehr

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 11.09.2012 | 21:15 Uhr

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