Stand: 22.09.2015 10:19 Uhr

Rätsel um toten Flüchtling in Bremen

von Hanna Möllers

Die Recherche beginnt im Bürgerpark. Dort finden die Journalisten den Rest eines Gürtels. Es ist der Gürtel, mit dem Kahsay Mekonen am Baum hing. Die Polizei hat ihn nicht vollständig entfernt. Frank Passade, dem Sprecher der Staatswanwaltschaft, ist das sichtlich peinlich: "Offenbar ist es von der Polizei versäumt worden, den Riemen hinterher zu sichern", sagt er. Der Gürtel ist ein Symbol für den Rest der Ermittlungsarbeit. Der Fall ist längst abgeschlossen. Dabei sind viele Fragen nie geklärt worden.

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Warum sollte sich ein Mann das Leben nehmen, dessen Asylantrag in den Niederlanden gerade erst stattgegeben wurde? Zudem war Kahsay Mekonen dabei, auch seine Familie nach Utrecht zu holen. Was wollte er in Deutschland?

Die Anwältin zweifelt an Selbstmord

Mekonens niederländische Anwältin Leonie Sinoo
Mekonens niederländische Anwältin Leonie Sinoo erzählt, dass er im niederländischen Flüchtlingsheim bedroht worden sei.

Rund zwei Wochen vor seinem Tod hat sich Kahsay Mekonen in den Niederlanden ein Zugticket nach Berlin gekauft. Erst ist er mit dem Zug nach Berlin, dann nach Braunschweig und schließlich vier Tage später über Hannover nach Bremen gefahren. In Bremen war Kahsay Mekonen zehn Tage. Bis heute weiß keiner, wo. Als man ihn fand, hatte er weder eine Jacke noch eine Tasche bei sich - mitten im Winter. Wieso gab der Flüchtling fast die Hälfte seiner Bezüge für eine Fahrkarte nach Deutschland aus? Er sprach weder deutsch noch englisch.

Aber das ist nicht die einzige Ungereimtheit: "Ein paar Wochen, bevor er gestorben ist, soll Herr Mekonen seinem Freund erzählt haben, dass er Angst hat. Todesangst. Und wenn etwas passiert, dann seien es wohl die zwei Männer vom Flüchtlingsheim gewesen, die ihn bedroht haben", sagt Mekonens niederländische Anwältin Leonie Sinoo.

Bedrohungen im Flüchtlingsheim

Frank Passade, Sprecher der Staatswanwaltschaft
Man sei "nicht zuständig", so Frank Passade, Sprecher der Staatswanwaltschaft, weil die Bedrohung in den Niederlanden stattgefunden habe.

Die Journalisten treffen den Freund. Er bestätigt alles. Er sei nach dem Verschwinden von Herrn Mekonen zur Polizei gegangen und habe von der Bedrohung erzählt. Doch vernommen haben die Ermittler die beschuldigten Männer daraufhin nicht. Warum nicht? "Wir sind nicht zuständig", sagt die niederländische Polizei in Utrecht. Weil Kahsay Mekonen in Deutschland gestorben ist, sei das ein Fall für die deutsche Polizei. Doch auch die deutschen Ermittler fühlen sich nicht in der Pflicht: "Diese Bedrohung hat ja in den Niederlanden stattgefunden. Wir sind da schlichtweg nicht zuständig", sagt Frank Passade. Deshalb hat die deutsche Polizei dies auch nicht bei den Ermittlungen berücksichtigt.

Einfluss des eritreischen Regimes reicht bis nach Europa

Hier gestorben, dort bedroht. Und schon fragt die Polizei nicht mehr nach? Dabei kann gerade ein Streit zwischen Eritreern einen ernstzunehmenden Hintergrund haben, sagt die Eritrea-Spezialistin von der Universität Tillburg, Mirjam van Reisen: "Das eritreische Regime hat einen langen Arm, auch in Europa, mit einem riesigen Netzwerk von Informanten. Menschen hier in Europa werden auch in Angst und Schrecken versetzt, wenn sie nicht die Forderungen erfüllen."

Und es gibt noch eine zweite Spur: Mitarbeiter aus dem Flüchtlingsheim vermuten, Kahsay Mekonen habe mit einem Menschenschleuser- und Organhändlerring zu tun gehabt. Er besaß einen Rucksack, den Flüchtlinge als Erkennungszeichen tragen. Diese Information gab die Anwältin Sinoo an die Staatsanwaltschaft weiter. Allerdings hat die niederländische Polizei das nicht an die deutschen Behörden gemeldet. Und deshalb haben die deutschen Ermittler auch diese Spur nicht weiterverfolgt.

Frische Einstichstellen und atypische Körperhaltung

Der eritreische Pass von Kahsay Mekonen
Je länger die Recherche dauert, desto größer werden die Zweifel an einem Suizid von Kahsay Mekonen.

Dabei verdichtet sich diese Spur, als der Gerichtsmediziner eine frische Einstichstelle am Arm von Mekonen entdeckt. Wurde in Deutschland das Blut des Eritreers getestet? Sollte er womöglich mit einem Organ für seine Flucht bezahlen? All das wurde nie geprüft.

Die Staatsanwaltschaft hält sich an das rechtsmedizinische Gutachten. Demnach ist ein Fremdverschulden nicht feststellbar. Diesen Schluss lässt das Gutachten zu. Allerdings sei es unsauber formuliert, meint Frank van de Goot, ein renommierter Gerichtsmediziner aus den Niederlanden. Er entdeckte mehrere Indizien, wie eine atypische Köperhaltung des Toten und ein stark vergrößertes Gehirn. Beides lasse auch einen anderen Schluss zu: "Es gibt noch andere Möglichkeiten. Vielleicht ist es besser anzugeben: Todesursache nicht sicher. Erhängen ist eine sehr gute Möglichkeit, andere Ursachen sind bisher noch nicht ausgeschlossen."

Nach eineinhalb Jahren Recherche bleibt unklar, warum und wie Kahsay Mekonen gestorben ist. Sicher ist aber, dass die Polizei entscheidende Fragen nicht beantwortet hat.

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Panorama 3 | 22.09.2015 | 21:15 Uhr

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