Stand: 23.01.2017 16:12 Uhr

Karies bei Kindern auf dem Vormarsch

von Ute Jurkovics

Wer schlechte Zähne hat, hat schlechte Karten. Denn schwarze Zahnstummel sind ein Makel. Umso schlimmer, dass Karies ausgerechnet bei Kleinkindern auf dem Vormarsch ist. Rund 15 Prozent der Null- bis Dreijährigen leiden daran. Damit ist Karies die häufigste chronische Erkrankung bei Kleinkindern. Und sie trifft vor allem arme Kinder: "Kinder aus Familien mit geringem Sozialstatus, oft mit Migrationshintergrund", weiß die Hamburger Kinderzahnärztin Dr. Tania Roloff aus ihrer Praxis. Jeden Tag sieht sie tief zerstörte Milchzähne und Kindergebisse mit schlimmen Entzündungen. Oft haben die Kinder eine jahrelange Leidensgeschichte mit Schmerzen und Schlafproblemen hinter sich. Studien zeigen: Kinder mit Karies sind oft fehlernährt und schlecht in der Schule, weil sie sich nicht konzentrieren können.

VIDEO: Karies bei Kindern auf dem Vormarsch (8 Min)

Kinder müssen frühzeitig zahnärztlich untersucht werden

Das müsste nicht sein, wenn alle Kinder frühzeitig und regelmäßig von Zahnärzten untersucht werden würden. So, wie es das Sozialgesetzbuch V, §21 zur Verhütung von Zahnerkrankungen bereits seit 1988 vorschreibt. Danach sollen in Deutschland Kinder unter zwölf Jahren flächendeckend zahnärztlich untersucht werden - etwa in Kindergärten, Schulen und Behinderteneinrichtungen. Nur so werden auch jene Kinder versorgt, deren Eltern sich um die Zahngesundheit nicht ausreichend kümmern.

Bremen: Keine Zahnarztbesuche in Kitas

Zuständig für die zahnärztliche Vorsorge sind die Krankenkassen in Zusammenarbeit mit den Zahnärztekammern und dem öffentlichen Gesundheitsdienst. Gemeinsam sollen sie dafür sorgen, dass frühkindliche Karies rechtzeitig entdeckt und behandelt wird. Doch diesem Auftrag kommen sie seit Jahren nur unzureichend nach.

Nach Erhebungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e.V. wurden in Mecklenburg-Vorpommern im Schuljahr 2014/15 nur etwa 62 Prozent der Kita-Kinder zahnärztlich untersucht. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein war es nur rund 50 Prozent. In Hamburg wurde gerade einmal jedes fünfte Kita-Kind zahnärztlich untersucht. Und in Bremen finden überhaupt keine zahnärztlichen Besuche in Kindertagesstätten statt.

Einkommensschwache Familien müssen gefördert werden

Kind auf dem Zahnarztstuhl.
Viele Kleinkinder leiden an Karies. Besonders betroffen sind Kinder aus einkommensschwachen Familien.

Wohin das führt, zeigt eine aktuelle Studie des Bremer Gesundheitsamts. Danach ist im Schnitt das Gebiss jedes dritten Erstklässlers in der Hansestadt behandlungsbedürftig. Und die sozialen Unterschiede sind gravierend: An einer Grundschule in einem Stadtteil mit hohem sozioökonomischen Status haben rund neun von zehn Erstklässlern ein gesundes Gebiss. An einer Schule mit vielen Kindern aus einkommensschwachen Familien ist die Situation hingegen genau umgekehrt: Dort haben neun von zehn Erstklässlern Karies.

Senatorin sieht keinen Handlungsbedarf

Der Befund der Studie ist eindeutig: "Die Ergebnisse […] machen deutlich, dass das neue, weiter gesteckte Ziel der Weltgesundheitsorganisation, wonach bis zum Jahr 2020 bei mindestens 80 Prozent der Sechsjährigen das Gebiss kariesfrei sein soll, eine erhebliche Herausforderung darstellt und wesentlich mehr Aktivitäten erfordert." Die Bremer Gesundheitssenatorin sieht auf Nachfrage von Panorama 3 trotzdem keinen Anlass, zahnärztliche Kontrolluntersuchungen in Bremer Kitas einzuführen. Man setze auf die Arbeit der Prophylaxe-Fachkräfte, die den Kindern das richtige Zähneputzen zeigen.

Doch das allein reiche einfach nicht aus, sagt Kinderzahnärztin Dr. Tania Roloff: "Wir brauchen eine bessere zahnärztliche Vorsorge für Kleinkinder. Denn Karies stigmatisiert und zerstört nicht nur die Zähne, sondern auch Lebenschancen."

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 24.01.2017 | 21:15 Uhr

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