Häusliche Gewalt: Verschärfte Situation wegen der Corona-Krise

Stand: 20.04.2021 11:11 Uhr

Die Anzahl der Gewalttaten gegen Frauen steigt in Deutschland seit Jahren und Corona verschärft das Problem. Viele Frauenhäuser sind überlastet und können wegen der Hygieneregeln noch weniger Frauen aufnehmen.

von Simona Dürnberg

Eva* ist sehr nervös. Immer wieder rückt sie ihre Perücke zurecht und fragt die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses, ob man sie auch wirklich nicht erkennen könne. Denn Evas Mann darf nicht erfahren, wo genau sie sich aufhält.

Ein Frau, die unerkannt bleiben möchte, in einer Interviewsituation © NDR Foto: Screenshot
Eva* war jahrelang der Gewalt ihres Mannes ausgesetzt. Während des Lockdowns verschärfte sich die Situation zusätzlich.

Über viele Jahre erträgt Eva die Gewalt ihres Mannes, aber aus Angst bleibt sie bei ihm: "Er sagte immer: Ohne ihn würde ich es nicht schaffen. Und ich habe gedacht, wenn ich meinen Kindern den Vater nehme, dann ist das nicht gut".

Während des Lockdowns sind dann ständig alle zu Hause. Evas Mann rastet jetzt noch schneller aus als sonst, schließlich eskaliert die Situation: Es reichte ein vermeintlich falscher Blick von Eva und ihr Mann ging auf sie los. Doch er schlug dieses Mal nicht nur seine Frau, sondern auch den älteren Sohn. Eva ruft die Polizei. Zunächst geht Eva mit den drei gemeinsamen Kindern in eine Notunterkunft, dann bekommt sie endlich einen Frauenhausplatz.

Zu wenige Frauenhausplätze

Hierzulande fehlen immer noch über 14.600 Frauenhausplätze, obwohl sich Deutschland bereits Anfang 2018 dazu verpflichtet hat, genügend Platz zu schaffen. Ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarats - die Istanbul-Konvention - verpflichtet die Vertragsstaaten für ein Schutzsystem zu sorgen, das allen von Gewalt betroffenen Frauen zugänglich ist und das Hilfe sofort und in ausreichendem Maße bereithält.

Der Europarat empfiehlt, dass es pro 7.500 EinwohnerInnen einen Frauenhausplatz gibt. Im Norden erreicht dies nur Bremen. Alle anderen norddeutschen Bundesländer können dieser Empfehlung nicht nachkommen. Des Weiteren werden auch in Norddeutschland viele Frauenhäuser lückenhaft bzw. einzelfallabhängig finanziert. Das heißt, dass die Finanzierung für jede Bewohnerin neu beantragt werden muss.

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Esther Bierbaum © NDR Foto: Screenshot
Esther Bierbaum arbeitet im autonomen Frauenhaus in Osnabrück. Corona hat dort die Aufnahme von Frauen und Familien erschwert.

Doch "wir müssen immer wieder Frauen ablehnen", sagt Esther Bierbaum vom autonomen Frauenhaus in Osnabrück. Vor allem für Frauen mit Kindern sei es deshalb schwer, kurzfristig einen Frauenhausplatz zu erhalten. Laut Bierbaum verschärfe Corona die Situation. Denn um die Hygienemaßnahmen einzuhalten, schlafe in Osnabrück in jedem Zimmer nur noch eine Familie. Deshalb habe man zwar keine hundertprozentige Auslastung, könne aber auch keine weitere Frau oder Familie mehr aufnehmen. "Und das schon seit relativ langer Zeit", so Bierbaum.

Lückenhafte Finanzierung von Frauenhäusern und Wohngruppen

Dass es in deutschen Frauenhäusern immer noch zu wenige Plätze gibt, weiß auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Als Folge der Istanbul-Konvention hatte sie ein Bundesinvestitionsprogramm gestartet: Über vier Jahre verteilt werden den Bundesländern 120 Millionen Euro für die Errichtung und den Ausbau der Hilfeeinrichtungen zur Verfügung gestellt.

Elisabeth Oberthür © NDR Foto: Screenshot
Elisabeth Oberthür vom Verein Frauenhauskoordinierung e.V. verweist auf die begrenzten finanziellen Spielräume, in denen Fördergelder derzeit eingesetzt werden können.

Elisabeth Oberthür vom Verein Frauenhauskoordinierung e.V. begrüßt das Programm, zweifelt aber an der Wirksamkeit: "Es gibt Beschränkungen, wofür das verwendet werden darf. Unter anderem kann es nicht genutzt werden, um Personalkosten zu decken. Für manche Häuser lohnt es sich überhaupt nicht, solche Förderung zu beantragen, weil sie nicht das Personal hätten, um mehr Frauen zu betreuen."

Elisabeth Oberthür macht darauf aufmerksam, dass immer noch viele Frauenhäuser über freiwillige Leistungen finanziert werden: "Das heißt, es kann jedes Jahr so sein, dass es einfach in der Kommune keine Gelder mehr übrig sind und dann wars das", so Oberthür. Andere Frauenhäuser würden über die Sozialleistungsansprüche der Frauen finanziert - wenn die Studentin oder Rentnerin allerdings nicht sozialleistungsberechtig ist, müsse sie ihren Aufenthalt im Frauenhaus selbst bezahlen.  

Auf unsere Nachfrage beim Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) sagt man, man wisse, dass das Hilfesystem für Frauen mit Gewalterfahrungen noch lückenhaft sei. Man berate noch über Verbesserungen.

Corona verschärft Situation

Die Gewalt gegen Frauen nimmt in Deutschland seit Jahren zu. Und Corona wirkt hier wie ein Brandbeschleuniger. Denn vielerorts hat die Gewalt gegen Frauen und Mädchen während der Pandemie zugenommen: Im Vergleich zum Vorjahr hat die Polizei in Hamburg in den Monaten Januar bis Juni 2020 eine höhere Zahl an Delikten im Bereich der Beziehungsgewalt verzeichnet. Auch in Mecklenburg-Vorpommern erfasste die Polizei in den Monaten März bis Mai 2020 deutlich mehr Vorgänge und Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt. In Bremen hat sich das Anzeigeverhalten nicht stark verändert, allerdings nahm die Nachfrage an Frauenhausplätzen stark zu - dies führte zu einer über hundertprozentigen Auslastung der Plätze.

Einige Bundesländer können keinen Anstieg oder sogar einen Rückgang des Anzeigeverhaltens feststellen. Das Innenministerium in Schleswig-Holstein weist allerdings darauf hin, dass die Pandemie das Anzeigeverhalten stark beeinflusse - es gebe viel weniger Sozialkontrolle durch Schule, Arbeit oder Verwandte. In Zeiten des Lockdowns haben viele Frauen und Mädchen weniger die Möglichkeit, sich Hilfe zu suchen.

* Name von Redaktion geändert

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 20.04.2021 | 21:15 Uhr

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Frauenpolitik