Falsche Flächenpolitik: Der zugebaute Norden

Stand: 19.01.2021 19:11 Uhr

Deutschland wandelt jeden Tag etwa 60 Hektar grüne Wiese in sogenannte Verkehrs- und Siedlungsfläche um. Ein großes ökologisches Problem, weil Flächen, die für die Artenvielfalt sorgen, zerschnitten werden oder ganz verloren gehen.

von Jan Körner

Am südöstlichen Stadtrand hat Buchholz in der Nordheide Großes vor: Ein Neubaugebiet soll dort auf der grünen Wiese entstehen - wo Weiden und Wiesen noch fast bis an den Stadtkern heranreichen. "Buchholz 2025plus" sieht 1.500 Wohneinheiten für etwa 4.500 neue Bewohnerinnen und Bewohner vor. 50 Hektar Land benötigt das Projekt. Dafür hätte die Stadt nach der Fertigstellung ihre Einwohnerzahl um zehn Prozent erhöht.

Widerstand gegen geplantes Bauprojekt

Grit Weiland © NDR Foto: Screenshot
Grit Weiland setzt sich für den Schutz und Erhalt der Natur ein - und kritisiert das geplante Projekt "Buchholz 2025plus".

Doch gegen die Neubaupläne formiert sich Widerstand vor Ort. Grit Weiland und Elisabeth Bischoff engagieren sich im Naturschutz. Ursprünglich kämpften sie dagegen, dass im Osten der Stadt eine geplante Umgehungsstraße die dortigen Grünflächen durchschneiden sollte. Seit dieses Straßenbauprojekt um das große Neubaugebiet erweitert worden ist, sammeln sie auch dagegen Argumente. Ihrer Meinung nach müssten die Flächen erhalten bleiben. "Dass der Mensch immer weiter in den Lebensraum der Tiere und Pflanzen eindringt", so Grit Weiland, "dass wir einfach immer mehr versiegeln. Das ist der Hauptfaktor dafür, das Arten bedroht sind."

Bundesrepublik verfehlt Reduzierungsziel

Dass Projekte wie das in Buchholz ein größeres ökologisches Problem sein könnten, hat auch die Bundesregierung längst erkannt. Denn Deutschland wandelt derzeit täglich durchschnittlich 56 Hektar Land in Verkehrs- oder Siedlungsfläche um. Das entspricht rund 75 Fußballfeldern, macht 27.375 Fußballfelder im Jahr. In vergleichbarer Größenordnung ist das etwa die Stadtfläche von Hannover. Und das, obwohl die Bevölkerung gar nicht wächst. So hat die Bundesregierung bereits im Jahr 2002 das Ziel formuliert, bis 2020 die Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Vor vier Jahren wurde das Ziel dann um zehn Jahre verschoben - auf 2030. Es müsste also ein Umdenken einsetzen, wie man landesweit die zur Verfügung stehenden Flächen nutzen will. Umsetzen müssten das die Länder und Kommunen.

Wo soll in Buchholz gebaut werden?

Elisabeth Bischoff © NDR Foto: Screenshot
Elisabeth Bischoff verweist auf die Flächen innerhalb der Stadt, die zur Bebauung geeignet sind.

Die Frage stellt sich auch in der Nordheide. Denn Buchholz braucht dringend Wohnraum, vor allem Sozialwohnungen. Die Naturschützerin Elisabeth Bischoff lehnt Wohnungsbau nicht grundsätzlich ab. Sie sagt: "Wir sehen hier innerhalb der Stadt noch gute Möglichkeiten, wo nachverdichtet werden kann. Es gibt noch große Flächen, die zu einer Bebauung geeignet sind." Tatsächlich liegt direkt am Buchholzer Bahnhof eine knapp 16 Hektar große Fläche brach. Und das seit 35 Jahren. Teile des Bodens sind mit Teeröl kontaminiert und müssten ausgetauscht werden. Ein Sanierungsplan kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass anschließend zwischen 90 und 95 Prozent der Fläche für eine Wohnbebauung geeignet wäre.

Jan-Hendrik Röhse © NDR Foto: Screenshot
Jan-Hendrik Röhse (CDU) ist seit 2014 Bürgermeister von Buchholz in der Nordheide.

Warum wird nicht erst eine solche Fläche bebaut und stattdessen auf der grünen Wiese ein Neubaugebiet geplant? Bürgermeister Jan-Hendrik Röhse sieht die Verantwortung nicht bei der Stadt. "Das lag an den Eigentümern", so Röhse. "Jetzt ist das verkauft worden an eine Gesellschaft. Und die hat das erworben um es zu sanieren und einer Nutzung zuzuführen." Bei dem geplanten Neubaugebiet könne man deutlich schneller bauen, als auf der innerstädtischen Brachfläche.

"Da stehen die Interessen der Gemeinschaft dagegen"

Professor Dirk Löhr sieht die Entwicklung von Baugebieten in vielen Städten und Gemeinden kritisch. Er unterrichtet an der Hochschule Trier Umweltwirtschaft. Und berät den Bundestag, wenn es um nachhaltigen Flächenverbrauch geht. "Wenn jeder diesen Traum, das alleinstehende Einfamilienhaus im Grünen, wirklich realisieren möchte, dann ist ganz Deutschland zugepflastert mit alleinstehenden Einfamilienhäusern im Grünen, das geht nicht. Da stehen die Interessen der Gemeinschaft dagegen", so Löhr. Er glaubt nicht, dass ausreichend politische Impulse gesetzt würden, um das Ziel für 2030 zu erreichen.

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies ist da optimistischer als der Wirtschaftswissenschaftler Löhr. "Ich glaube, in Niedersachsen sind wir auf einem guten Weg", so Lies. "Wenn ich in Niedersachsen 2000 bei 17 Hektar war, bin heute bei sieben, dann weiß ich auch, ich schaffe 2030 die drei."

Für dieses Ziel müssten Lies und seine Kollegen in den übrigen Bundesländern allerdings viel Überzeugungsarbeit leisten. Nämlich ihren Städten und Gemeinden gegenüber. Solange diese Neubaugebiete am Stadtrand ausweisen, anstatt die Ortskerne erst zu verdichten, wird es schwierig werden, das angestrebte Ziel von 30 Hektar pro Tag zu erreichen.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 19.01.2021 | 21:35 Uhr

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