Stand: 11.11.2019 14:41 Uhr

Energiewende verstärkt soziale Ungleichheit

von Lea Busch

Wenn es in Berlin-Lichtenberg dämmert, greift Ilona Franke zum Feuerzeug, zündet Kerze für Kerze in ihrer kleinen zwei Zimmerwohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses an. Auf den Lichtschalter drückt sie kaum. Die Frührentnerin muss sparen, auch beim Strom. Der wurde ihr gerade wieder erhöht, im letzten Jahr auch die Miete. "Man hört nur teurer, teurer, teurer", seufzt sie.

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"Irgendwo muss doch mal eine Grenze sein"

Ilona Franke © NDR Foto: Screenshot
Rentnerin Ilona Franke leidet unter dem Druck, immer sparen zu müssen.

Ilona Franke bekommt 1.000 Euro Rente im Monat. Eigentlich genug zum Leben, aber jede Preiserhöhung muss sie durch sparen ausgleichen. Nachbarn hätten sie schon mal gefragt, ob sie abends nie zu Hause ist, es sei ja immer so dunkel bei ihr, sagt sie. Waschen tue sie nur einmal die Woche. Sie verbraucht damit ein Drittel weniger als ein vergleichbarer Haushalt, zahlt 36 Euro für Strom im Monat. Weniger geht nicht, sagt sie, auch weil ihr das Geld für energiesparendere Geräte fehlt. Sie ist froh, wenn die Geräte funktionieren. Eine neue Waschmaschine etwa sei momentan gar nicht drin. Früher hat sie eine Zeit lang Grundsicherung bekommen, das wolle sie nie wieder, sagt sie. Und so versucht sie sich irgendwie zu arrangieren, die Seniorenhilfe Lichtblick unterstützt sie dabei. Der Druck, immer sparen zu müssen, macht sie auch nachdenklich, "irgendwo muss doch mal eine Grenze sein, eine Obergrenze. Die Leute können das doch bald gar nicht mehr abfangen."

Preisverdopplung seit 2000

Manuel Frondel © NDR Foto: Screenshot
Manuel Frondel befürchtet, dass die Energiewende in der derzeitigen Form an gesellschaftlicher Akzeptanz verliert.

Doch diese Obergrenze, zumindest beim Strompreis, scheint noch lange nicht erreicht. Seit dem Jahr 2000 haben sich die Strompreise in Deutschland mehr als verdoppelt. "Wir zahlen als deutsche Haushalte im Durchschnitt die höchsten Strompreise in Europa" sagt der Ökonom Manuel Frondel. Diese Preisexplosion beim Strom hänge mit der Förderung der erneuerbaren Energien, der sogenannte EEG-Umlage zusammen. Die macht etwa ein Fünftel des Strompreises aus und hat sich in den letzten zehn Jahren sogar mehr als verdreifacht. Zahlen müssen das letztendlich die Verbraucher. Das Problem: Unter den hohen Strompreisen leiden insbesondere Haushalte, die ohnehin armutsgefährdet sind, so Frondel. Menschen mit einem hohen Einkommen hingegen machen die Mehrkosten kaum zu schaffen. Mehr noch, sie profitieren sogar von Anreizen für Klimaschutz. "Langfristig bedeutet das, dass wir immer mehr Verlierer produzieren mit der Energiewende." Und das so das wichtige Projekt, mit dem wir unsere Klimaziele 2030 erreichen wollen, an Akzeptanz verliert.

Eine (teure) Alternative: Die Brennstoffzelle

Stefan Jung © NDR Foto: Screenshot
Stefan Jung ist Besitzer einer Brennstoffzelle. Er hofft, die Kosten seiner Investition in den nächsten zehn Jahren wieder reingeholt zu haben.

"Kommen Sie rein", Stefan Jung öffnet die weiße Tür seines Einfamilienhauses in der Gemeinde Bönningstedt in Schleswig-Holstein und gibt eine kleine Tour: 200 Quadratmeter mit Fußbodenheizung, dreifach verglaste Fenster, alles top gedämmt. Jung ist Energie sparen wichtig, auch bei seinen Haushaltsgeräten achtet er auf maximale Energieeffizienz. Im Sommer dieses Jahres hat er eine Brennstoffzelle gekauft, die steht jetzt fröhlich vor sich hinblickend im Keller und produziert den Strom für Jung und seine Familie. Die Anlage kostet 35.000 Euro. Jung geht davon aus, etwa die Hälfte durch staatliche Förderung und steuerliche Geltendmachung zurückzubekommen. In sieben bis zehn Jahren schätzt er, hat er die Investition sogar wieder raus, auch weil die Strompreise so steigen. Dabei hält er seine eigenen Privilegien nicht für unproblematisch: "Die Mehrkosten, die durch die Energiewende entstehen, werden durch alle getragen, aber die Vorteile, die können nur die nutzen, die das Startkapital haben."

"Ich habe Angst, ob ich das dann noch schaffe"

Stephanie Timm © NDR Foto: Screenshot
Stephanie Timm ist alleinerziehend und bekommt Hartz IV. Sie fürchtet noch höher steigende Strompreise.

20 Kilometer weiter in Hamburg Jenfeld öffnet auch Stephanie Timm die Haustür und führt durch ihre Wohnung. Sie wohnt hier mit ihren drei Kindern zur Miete. Timm ist alleinerziehend und bekommt Hartz IV. Davon muss sie auch ihre Stromrechnung begleichen, doch das wird für sie zunehmend schwieriger, sagt sie. "Ich habe Angst, wenn ich das nächste Jahr sehe, was dann an Strompreisen auf uns zukommen, ob ich das dann noch schaffe." Das Problem: Die Strompreise sind stärker gestiegen als der Anteil dafür im Regelsatz. Von 2008 bis 2018 laut Monitoringbericht 2018 der Bundesnetzagentur um knapp 40 Prozent. Der Anteil für Stromkosten bei Hartz IV hat sich im selben Zeitraum nur um 27 Prozent erhöht. Jahr für Jahr bekommt Timm höhere Nachzahlungen beim Strom. Gerade kam wieder eine über 110 Euro. Die stottert sie jetzt in Raten ab. Wenn das nicht geht, muss sie sich Geld leihen und bei Lebensmitteln und Kleidung Abstriche machen. Für ihre Kinder versucht sie trotzdem alles möglich zu machen und sie mit einzubeziehen, um Strom zu sparen: Immer das Licht aus, wenn sie aus einem Zimmer gehen und beim Spielen nur die nötigsten Geräte an. Einmal hatte Timm eine Stromrechnung nicht beglichen, das sei innerlicher Stress pur gewesen, sagt sie. "Ich habe dann gedacht, wenn ich das jetzt nicht langsam bezahle, dass ich wieder auf dem grünen Zweig bin, irgendwann kommen sie. Und dann gibt es eine Stromsperre."

Reagiert die Bundesregierung auf das Problem?

Die Zahl der Stromsperren wird seit 2011 bundesweit erhoben und schwankt seitdem zwischen rund 300.000 und 350.000. Ein Großteil der Betroffenen bezieht laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung Grundsicherung. Der Ökonom Manuel Frondel fordert deshalb, die Bundesregierung müsse endlich reagieren, damit diese Haushalte nicht zu den Verlierern der Klimawende werden und Förderungen beim Klimaschutz von allen in Anspruch genommen werden. Und tatsächlich verspricht Bundesumweltministerin Svenja Schulze am Rande der Pressekonferenz des Klimakabinetts, man habe an diese Menschen gedacht und werde dort, wo das Geld knapp ist auch besonders helfen. Auf Nachfrage, welche Förderung diese Haushalte denn jetzt genau bekommen, heißt es dann schriftlich recht pauschal: "Die Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung richten sich gleichermaßen an alle Verbraucherinnen und Verbraucher."

Und so ist zwar bei vielen Verbrauchern der Wille da: mehr tun für den Klimaschutz. Aber damit alle diesen Weg mitgehen können, müssten auch die Förderungen alle erreichen.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 12.11.2019 | 21:15 Uhr

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