Die Wendezeit aus Sicht vietnamesischer Gastarbeiter

Stand: 29.09.2020 06:00 Uhr

Die DDR warb ausländische Vertragsarbeiter an, um die Wirtschaft anzukurbeln. Auch aus Vietnam. Doch nach der Wende bangten die rund 70.000 Vietnames*innen um Arbeitsplätze, Wohnung und Asyl.

von Nadja Mitzkat, Anne Ruprecht

Während die unmittelbare Nachwendezeit für Ost- und Westdeutsche eine Zeit der Euphorie war, beginnt für die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen eine Zeit existentieller Unsicherheit. Sie werden nicht nur massenhaft entlassen und müssen aus den Wohnheimen raus. Auch ihr Aufenthaltsstatus ist mit der Wende völlig unklar. Wir haben zwei ehemalige Vertragsarbeiter getroffen, die uns von dieser Zeit erzählen.

70.000 vietnamesische Gastarbeiter*innen in der DDR

Herr Thai
Herr Thai ist einer von knapp 70.000 vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in der DDR.

"Hier habe ich gearbeitet, früher. Da kommen immer Züge und wir beladen die Züge und entladen. Bananen aus Kuba oder aus Angola, Orangen oder Zement und Kaffee." Herr Thai steht auf dem Gelände des Rostocker Seehafens und zeigt auf eine der großen Hallen. Für ihn begann hier 1984 mit 21 Jahren seine Zeit in der DDR. Insgesamt kamen bis 1989 knapp 70.000 vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in die DDR. Die Deutsche Demokratische Republik braucht dringend Arbeitskräfte für ihre Industrie.

Die Arbeit als Umschlagarbeiter ist hart. Er erzählt, dass er 12 bis 15 Tonnen Güter pro Schicht verladen musste und dabei bringt er damals gerade einmal 51 Kilogramm auf die Waage. Trotzdem erscheint die DDR Herrn Thai wie ein Paradies. Er staunt über die Fahrstühle, die vielen Trabis und Straßenbahnen.

Vom einfachen Hafenarbeiter schafft er es bis zum Dolmetscher. Doch wie die meisten Vertragsarbeiter*innen wird auch er 1990 arbeitslos. Doch er bleibt zuversichtlich. Weil er schon sechs Jahre in der DDR gelebt hat, erhält er, anders als die meisten seiner Landsleute, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Mit viel Fleiß und Durchhaltevermögen arbeitet er sich von Neuem nach oben. Heute betreibt er mit seiner Frau einen Sushi-Shop in Rostock.

"Das ist ein Garten, das ist kein Wald"

Herr Phuong erlebt die Nachwendejahre anders. Ihm macht der Umbruch Angst. Dabei hatte alles so gut angefangen: 1987, mit 22 Jahren, kommt er als Vertragsarbeiter in die DDR. Und landet mitten im deutschen Wald, wo er zum Forstfacharbeiter ausgebildet wird. Er wundert sich über die akkurat gepflanzten Baumreihen. "Das war eine Überraschung für mich. Bei uns wächst die Bäume durcheinander. Und wir steht im Wald in der DDR und wir denken, das ist ein Garten. Das ist kein Wald."

Eine gute Phase in seinem Leben. Er lernt eine neue Kultur und viele neue Menschen kennen. Umso härter trifft ihn die Wende. Während andere die deutsche Einheit feiern, steht Herr Phoung nicht nur ohne Job da. Auch das Wohnheim, indem er bisher gelebt hat, muss er verlassen.

"Die Deutschen mögen uns nicht mehr"

Und mehr noch. Wie die meisten Vietnames*innen aus der ehemaligen DDR hat Herrn Phoung quasi über Nacht keinen gültigen Aufenthaltstitel mehr. Niemand hatte daran gedacht, im Einheitsvertrag den Status der Vertragsarbeiter zu regeln. Herr Phuong erlebt das als Zurückweisung. "Hab ich den Gefühl, dass die neue Deutschland mögen uns nicht mehr. Wollen uns mal schnell schnell wieder raus."

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3.000 D-Mark Abfindung und ein Rückflugticket bietet die Bundesregierung damals jeder und jedem Rückkehrwilligen. Viele nehmen das Angebot an. Von den einstmals fast 70.000 vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in der DDR kehrten bis 1995 drei Viertel in ihre Heimat zurück.

Herr Phuong bleibt. Er ist in Berlin als er von den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen erfährt. Das seien Einzelfälle gewesen, meint er heute. Die Medien hätten das aufgeblasen und den Vietnames*innen so Angst gemacht. Doch er erzählt auch, wie er nach den Ausschreitungen ein Jahr lang nur in Gruppen zur Arbeit gegangen ist. Für Feiern habe man sich verabredet, Busse und Bahn gemieden.

"Ich bin Ossi und bleib immer Ossi"

In seiner Erinnerung ist anderes präsenter: Wie er immer wieder neue Duldungen beantragen musste, sich von Job zu Job hangelte. Und wie er sich schließlich mit seiner Frau mit einem Asia-Imbiss selbständig gemacht hat.

Herr Phuong
Herr Phuong ist mittlerweile froh über die Deutsche Einheit und hat sich mit einem Asia-Imbiss selbstständig gemacht.

1997 dann endlich die Erlösung. Die Bundesregierung beschließt eine Neuregelung des Bleiberechts.Die noch verbliebenen Vertragsarbeiter*innen bekommen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Mittlerweile hat Herr Phuong seinen Frieden mit dem wiedervereinigten Deutschland gemacht. Er schätzt den höheren Lebensstandard, die Reisefreiheit und die freie Meinungsäußerung. Trotzdem hat er nie vergessen, dass der Westen ihn damals nicht wollte. Bis heute sagt er von sich: "Ich bin Ossi und bleib immer Ossi."

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 29.09.2020 | 21:15 Uhr

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