Eine geflüchtete Familie kommt am Flughafen in Hannover an. © picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte

Traumatherapie in Hamburg soll jungen Geflüchteten helfen

Stand: 22.01.2022 06:00 Uhr

Gewalt, Hunger oder sogar Tod - viele Geflüchtete haben traumatische Erfahrungen gemacht. Die Flüchtlingsambulanz an der Uniklinik Hamburg hilft betroffenen Jugendlichen mit einer Kurzzeittherapie.

Auf dem Flughafen Kassel-Calden werden Geflüchtete aus den griechischen Lagern in Busse gebracht, im Hintergrund ist das Heck eines Passagierflugzeugs zu sehen. © dpa/picture-alliance Foto: Swen Pförtner
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von Anina Pommerenke

Den aktuellen Zahlen des Ausländerzentralregisters zufolge leben in Deutschland fast 1,9 Millionen geflüchtete Menschen. Die meisten kommen aus Kriegs- und Krisengebieten und haben in ihrer Heimat und auf der Flucht Krieg, Verfolgung und Gewalt erlebt. Erfahrungen, die Spuren hinterlassen haben. Nach verschiedenen Studien leiden zwischen 30 und 50 Prozent der schutzsuchenden Menschen unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Aber gerade junge Geflüchtete fallen in eine Versorgungslücke. Es fehlt an speziell ausgebildeten Trauma-Therapeuten und dolmetschergestützten Therapieangeboten.

Die Flüchtlingsambulanz der Universitätsklinik in Hamburg testet derzeit in einer Studie der Uni Bielefeld die Kurzzeitherapie KidNET für Kinder und Jugendliche, wie Psychologin Linda Gogolin erklärt: "Wir wissen schon aus dem Erwachsenenbereich, dass die NET-Therapie eine sehr hohe Wirksamkeit hat. Wir gucken nun, ob das für den Kinderbereich auch gilt." Das Konzept werde für die jüngeren Menschen angepasst.

Auf dem Flughafen Kassel-Calden werden Geflüchtete aus den griechischen Lagern in Busse gebracht, im Hintergrund ist das Heck eines Passagierflugzeugs zu sehen. © dpa/picture-alliance Foto: Swen Pförtner
AUDIO: Traumatherapie in Hamburg soll jungen Geflüchteten helfen (5 Min)

Behandlung von Kindern ist besondere Herausforderung

Zurzeit wird die Methode mit 80 Probandinnen und Probanden an vier Standorten in Deutschland getestet. Doch nicht alle traumatisierten Geflüchteten kommen dafür infrage. Sie müssen zwischen zehn und 18 Jahren alt sein. Es darf außerdem keine Selbstmordgefahr bestehen. Hinzu kommen besondere Herausforderungen bei der Arbeit mit jungen Betroffenen. "Bei Kindern ist es ja so, dass viele Traumata in den vorsprachlichen Bereich fallen. Das heißt, es gab noch keine Worte, um das Erlebte zu beschreiben", sagt Psychologin Gogolin. In solchen Fällen nutzen die Therapeutinnen und Therapeuten kreative Möglichkeiten. Das Erlebte wird aufgemalt oder mit Spielfiguren nachgestellt.

Der Eingang des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. © picture alliance / dpa
Neben dem UKE erproben noch weitere Kliniken den neuen Therapie-Ansatz.
Traumata belasten Psyche, Körper und Alltag

Die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen kann häufig Jahre dauern. Am UKE hofft man aber, dank des neuen Ansatzes mit nur zehn Sitzungen auszukommen. Außerdem, so die Hoffnung, sollen auch geschulte Laien die neue Art der Therapie durchführen können.

Die Aufarbeitung von traumatischen Erlebnissen ist wichtig, betont Gogolin. Betroffene ohne Therapie litten oft unter Schlafstörungen und Angstzuständen, weil das Erlebte in Form von Flashbacks immer wiederkehre: "So nennen wir diese einschießenden Erinnerungen, in denen die Menschen dann quasi wie gefangen sind und alles noch mal erleben. Auch wenn die Situation vorbei ist und vielleicht sogar schon Jahre zurückliegt, wird sie erlebt, als wenn sie jetzt gerade stattfindet. Das produziert natürlich einen unheimlichen Stress", so die Psychologin.

Mann mit depressiven Zügen. © colourbox Foto: marqs
Traumatische Erlebnisse bereiten den Betroffenen oft noch Jahre später Probleme.
Erlebnisse aus Moria wirken bis heute nach

Eine Erfahrung, die ein junger Patient bestätigt. Der 18-Jährige ist vor politischer Verfolgung aus seiner Heimat geflüchtet und hat eine Zeit im Flüchtlingslager Moria in Griechenland verbringen müssen. Einzelheiten zu seiner Identität möchte er nicht nennen, aber Therapeutin Gogolin zitiert aus einem Bericht zu seinen Erlebnissen: "Als ich an der Tür des Krankenwagens ankam, sah ich einen verbrannten Körper in einer durchsichtigen Tüte auf der Pritsche liegen. Ich erinnere mich, dass es nach verbranntem Menschenfleisch roch. Ich kannte den Geruch von der Bombardierung in meiner Heimatstadt."

Der seelische Stress kann langfristig auch zu körperlichen Erkrankungen führen. Außerdem leide die Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit, erklärt Gogolin. Eine neue Sprache zu lernen und sich zu integrieren sei unter diesen Bedingungen für Geflüchtete so gut wie unmöglich. Welche Wirkung die Kurzzeittherapie auf die 80 Betroffenen hat und ob sich der neue Ansatz bewährt, wird die Auswertung der Studie zeigen müssen.

Psychologin Linda Gogolin im Gespräch bei der Hamburger Flüchtlingsambulanz. © NDR Foto: Anina Pommerenke/NDR
Bei den Gesprächen in der Hamburger Flüchtlingsambulanz sind oft Dolmetscher nötig.

Der junge Patient in der Flüchtlingsambulanz am UKE spürt zumindest schon erste Verbesserungen: "Die Therapie ist für mich äußerst wichtig. Bevor ich hierher kam, ging es mir schlecht. Ich konnte nicht zur Schule gehen oder sonst irgendwas machen. Ich war sehr traurig. Seitdem ich am UKE bin spüre ich, dass es mir nach jeder Sitzung besser geht."

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Illustration: Zwei Hände umfassen eine Glühbirne © NDR

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