Die Genderforscherin Stevie Schmiedel © Stevie Schmiedel Foto: Miguel Ferraz
Die Genderforscherin Stevie Schmiedel © Stevie Schmiedel Foto: Miguel Ferraz
Die Genderforscherin Stevie Schmiedel © Stevie Schmiedel Foto: Miguel Ferraz
AUDIO: Gott und die Welt mit Stevie Schmiedel (9 Min)

Stevie Schmiedel: "Feminismus ist nicht nur für Frauen da"

Stand: 24.05.2023 12:00 Uhr

Stevie Schmiedel ist Genderforscherin, Autorin und Gründerin von Pinkstinks, einer Bildungs- und Protestorganisation gegen Sexismus. Sie sagt: Wir brauchen einen "Feminismus mit Liebe."

Warum hat Sie das Thema Feminismus gereizt?

Stevie Schmiedel: Ich bin in den Achtzigern groß geworden, und habe schon als Jugendliche oft gedacht: Meine Güte, die Männer reden viel über Politik. Und wir Frauen stehen in der Küche und machen das Essen, oder uns für sie schön. Für mich war das nicht in Ordnung. Aber es gab in meiner Jugend noch keine wirkliche Sprache dafür. Feminismus war etwas, dass man absolut nicht gut fand, dass abgetan wurde. Erst sehr viel später wurde Feminismus en vogue. Insofern war ich damals noch ein bisschen allein mit meinen Gedanken. Im Studium merkte ich, das beschäftigt auch andere. Hier kann man etwas bewegen, und deshalb habe ich mich auf diese Themen gestürzt.

"Feminismus mit Liebe" steht auf ihrer Internetseite. Worauf zielt das "mit Liebe"?

Schmiedel: Feminismus macht viele Leute wütend: Auf der einen Seite die Feministinnen oder auch Männer, die sagen, es muss sich dringend etwas bewegen. Und denen alles nicht schnell genug geht. Auf der anderen Seite diejenigen, die noch gar nicht wissen, was Gendersprache soll. Warum treten in dieser Debatte viele so vehement auf? Und genau dazwischen wollte ich mich stellen und mit etwas mehr Ruhe und mit viel Humor erklären. Ich mache mich teilweise über meine eigenen Jugendsünden lustig, aber auch über meine Schrullen als älterwerdende Frau. Und ich denke, wenn alle ein bisschen ihr Fett wegbekommen und man gemeinsam lachen kann, dann ist es möglich, eher über diese Themen zu sprechen, wenn sie nicht ganz so verbittert daherkommen. Und das ist mein Anliegen. Deshalb nenne ich meine Seite auch "Feminismus mit Liebe".

"Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne. Warum uns ein bisschen Genderwahn gut tut", so heißt ihr neues Buch. Da sprechen sie auch ein bisschen ironisch von Genderwahn. Würden Sie das selbst so bezeichnen? Ist das wahnsinnig?

Schmiedel: Auf jeden Fall sollte man mit viel Selbstironie an das Thema herangehen. Für Pinkstinks habe ich vor vielen Jahren ein Plakat entwerfen lassen, auf dem Stand: Nervt dich der Gender-Wahnsinn auch so sehr? Gerade um Leute anzusprechen, die so genervt davon sind, habe ich mit viel Ironie verschiedene Möglichkeiten gegeben, wie man sich dem Thema nähern kann. Und ich denke, gerade mit Humor erreicht man die Leute am besten. Ich selber gendere, wenn ich spreche. Und ich finde viele der Anliegen berechtigt. Aber ich finde es auch völlig legitim, hier und da mal darüber zu lachen. Auch mit der Inbrunst, mit der wir alle vorangehen, um die Gegenseite mal atmen zu lassen und ganz freundlich zu erklären, was wir eigentlich wollen.

Wofür haben Sie Verständnis?

Schmiedel: Viele Leute sind instinktiv völlig gereizt von dem Thema - und das ist völlig verständlich. Wir sind Menschen, und wir sind von Geburt an auf zwei Geschlechter getrimmt. Identität ist etwas ganz Prekäres. Und gerade das Thema Geschlecht ist das, mit dem wir uns am ehesten identifizieren, noch vor Hautfarbe, Nationalität, Klasse oder Religion. Und deshalb ist es Leuten sehr wichtig. Wenn jetzt Menschen kommen und sagen, es gibt mehr als zwei Geschlechter oder etwas durcheinanderbringen, dann sind diese Leute erstmal wütend. Und diese Leute müssen wir mit viel Freundlichkeit mitnehmen.

Und warum ist es trotzdem wichtig? Also warum gendern wir dann? Sie zeigen jetzt sehr viel Mitgefühl mit denjenigen, die genervt sind. Aber trotzdem sagen Sie ja, es ist wichtig …

Schmiedel: Wenn man erst einmal an diese Wut herankommt und es schafft, Menschen zu erklären, dass sie überhaupt nicht bedroht werden. Es geht nicht darum etwas wegzunehmen, sondern mehr dazuzufügen. Dann haben sie die Möglichkeit zu schauen, was in dieser ganzen Gender-Debatte für sie drin ist. Zum Beispiel können Männer darüber nachdenken, wie die starke Identifizierung mit dem starken männlichen Geschlecht ihnen auch manchmal verweigert zu weinen, wenn sie es wollen, sich Hilfe zu holen, von ihren Gefühlen zu sprechen oder einfach mal in den Arm genommen zu werden. Das sind alles Themen, die die Genderforschung und auch der Feminismus anbieten. Und die aber nicht sagen, dass ein Mann nicht kein kerniger Mann sein darf und eine Frau nicht so weiblich sein darf, wie sie möchte.

Also was bedeutet es für Sie, Feministin zu sein?

Schmiedel: Für mich bedeutet Feministin sein, dass ich die Ungleichberechtigung, die absolut noch existiert, noch angehen möchte. Es bedeutet auch, dass ich das Patriarchat oder die patriarchale Matrix - das heißt der Zustand, dass Männer nach wie vor hauptsächlich das Sagen haben - versuche zu verstehen, woher das kommt. Ich versuche, Lösungen aufzuzeigen. Dadurch, dass Frauen diese Zustände als Erstes beschrieben haben, nennen wir das Ganze Feminismus. Was nicht heißt, dass Feminismus nur für Frauen da ist.

Wovon grenzen sie sich ab?

Die Genderforscherin Stevie Schmiedel © Stevie Schmiedel Foto: Yvonne Schmedemann
Stevie Schmiedel versteht sich als Mittlerin - sie möchte zwischen älteren und jüngeren Positionen des Feminismus vermitteln.

Schmiedel: Ich grenze mich ab von radikalen, wütenden Positionen, was nicht heißt, dass es die nicht geben darf oder auch muss. Ich glaube nur, dass es Menschen geben muss, die in der Mitte stehen. Die vermitteln und übersetzen. Und auch die Gegenseite zu Wort kommen lassen, ihre Ängste wahrnimmt und freundlich auf sie zugeht.

In der Theologie gibt es ja einen ganz eigenen Forschungsbereich: feministische Theologie. Dazu gehört auch die Bibel in gerechter Sprache. Haben sie einen Zugang zu Glaubensthemen oder zur Religion?

Schmiedel: Ich bin Christin, evangelisch getauft. Ich war eine der ersten Genderbeauftragten einer Hamburger Kirchengemeinde und habe Vorträge zu Gender und Kirche gegeben. Und ich habe auch im Rauhen Haus, einer Evangelischen Hochschule, in Hamburg zu Gender und Kirche unterrichtet. Außerdem habe ich ein Buch herausgegeben mit vielen tollen Theologinnen in Hamburg und Deutschland. Das heißt "Gott ist kein Mann". Insofern bin ich diesen Themen sehr, sehr nah. Ich liebe die Bibel in gerechter Sprache, kann aber auch akzeptieren, wenn Menschen die Lutherbibel so sehr lieben, dass sie diese auch weiter benutzen möchten. Ich finde es großartig, was in der Nordkirche an Dialogen entsteht - an Fortschritt und an Möglichkeiten, Gott auch vielfältiger zu sehen als eher männlich in der populärwissenschaftlichen oder populären Darstellung.

Geht es Ihnen um die Vielzahl von Gottesnamen, die in der Bibel in der gerechten Sprache angeboten werden?

Schmiedel: Auf jeden Fall. Ich finde, in der Bibel in gerechter Sprache ist es unglaublich gut gelöst, wie sich jede und jeder eine Bezeichnung für Gott wählen kann, mit durchlaufenden Vorschlägen, die oben auf der Seite gemacht werden. Ich finde der Ansatz ganz gelungen, antisemitische Lesarten Luthers herauszulöschen und neue Sichtweisen einzufügen. Und es gibt eben allein schon dadurch einen Diskurs in den Kirchengemeinden - und die sind ganz wichtig. Denn wie oft sprechen wir schon in großen Unternehmen über MeToo oder Sexismus am Arbeitsplatz. Wir debattieren in den Großstädten, in Behörden, aber in den Kirchengemeinden wird noch ganz wenig über Gender gesprochen. Und die Bibel in gerechter Sprache ist eine wunderbare Möglichkeit, sich zu streiten und darüber ins Gespräch zu kommen.

Was ist Ihre Hoffnung?

Schmiedel: Meine Hoffnung ist, dass wir sehen, dass wir schon sehr weit gekommen sind im Feminismus. Aber dass wir noch viel vor uns haben. Die Frage ist, wie wir jetzt weitergehen. Ich habe die Befürchtung, dass die Radikalität und die Stärke, mit der wir gerade voranpreschen, zu viel Antifeminismus bewirkt, und dass wir stehenbleiben. Und gerade deshalb ist meine Hoffnung, dass mein Buch vielleicht ein Anstoß sein kann, zu einer besseren Verständigung zwischen den Welten, zwischen woke und konservativ, zwischen Älteren und Jüngeren. Damit wir gemeinsam Wege finden, wie wir vielleicht etwas langsamer, aber trotzdem stetig in die Richtung gehen können, mehr Gleichberechtigung im Land zu erreichen.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Gott und die Welt - der Podcast | 27.05.2023 | 07:45 Uhr

Info

Die Evangelische und Katholische "Kirche im NDR" ist verantwortlich für dieses Onlineangebot und für die kirchlichen Beiträge auf allen Wellen des NDR.