Jochen Gutsch: "Ein Tier ist einfach da und das ist tröstlich"
Eine Katze kann Leben retten. Zumindest der Kater Frankie von Jochen Gutsch und Maxim Leo im gleichnamigen Roman. Frankie weiß viel über Gott und die Welt. Und wie geht es Jochen Gutsch mit dem Thema Kirche und Glauben?
Was charakterisiert den Kater Frankie?
Jochen Gutsch: Frankie hat kein Mitleid. Frankie nimmt keine Rücksicht, er ist nicht höflich, er ist nicht politisch korrekt. Und er schaut auf uns Menschen quasi so unbefangen wie ein Kind. Und ich glaube auch, dass diese Art natürlich einem depressiven Menschen wie Gold ganz gutsteht und er gut damit zurechtkommt. Ich hatte selbst mal Depressionen und fand es oft anstrengend, mich anderen Menschen erklären zu müssen. Und ich glaube, ein Tier bewertet nicht. Ja. Es ist einfach nur da, und das fand ich immer sehr tröstlich.
Sie haben mal gesagt, dass es Ihnen auch darum gegangen ist, dass weniger tabulos mit dem Thema Depressionen umgegangen wird. Haben Sie das so erlebt, dass es da so eine große Scham gibt, mit jemandem darüber ins Gespräch zu kommen?
Gutsch: Ich persönlich habe die Scham ehrlich gesagt nie empfunden, weil ich es einfach gar nicht einsah, worum ich jetzt über Depression anders reden soll als über einen Herzinfarkt oder einen Beinbruch. Aber ich habe schon gemerkt, dass Leute ein bisschen komisch darauf reagieren, wenn man so offen damit umgeht. Ich glaube, es hat sich gebessert. Und aus eigener Erfahrung kann ich auch sagen, wenn man es tut, plötzlich ganz viele Leute auch von ihren eigenen Problemen erzählen. Und, dass sie so etwas schon auch mal ähnlich erlebt haben.
Ich möchte jetzt nicht so viel von dem Roman verraten, aber man kann vielleicht sagen, Frankie der Kater und der Mann Gold werden Freunde. Sie besprechen auch die ganz großen Lebensthemen, unter anderem auch die Frage nach Sinn. Mögen Sie mal erzählen, was für eine Position Gold da einnimmt, der eigentlich mit seinem Leben Schluss machen möchte, und der Kater Frankie?
Gutsch: Gold ist natürlich ein Mensch und ein Schriftsteller, der ständig auf Sinnsuche ist - und jetzt ganz besonders, weil er in einer steckt. Und für Frankie ist die Frage nach dem Sinn völlig neu. Also prallen Welten aufeinander. Frankie braucht zum Leben nur drei Sachen: Er muss schlafen, er muss fressen und er muss spielen. Das ist sein Lebenssinn. Insofern haben wir dann eine philosophische Diskussion, die ganz spannend ist, weil die beiden ein sehr ungleiches Paar sind.
Trotzdem kommen die beiden auch auf die Frage: Gibt es eine Seele? Und Frankie kann durchaus nachvollziehen, dass diese Frage Sinn macht. Also sie kommen dann auch auf die Frage nach Gott und Religion. Und der Kater fragt: Ist religiös so etwas wie kastriert? Da habe ich als Theologin natürlich sehr gelacht. Was würden Sie sagen, wie viel Religionskritik steckt in "Frankie"?
Gutsch: Also ich glaube ehrlich gesagt, gar keine. Er ist ja ein unbeholfenes Wesen und so spricht er auch, was natürlich auch eine gewisse Komik erzeugt. Aber es ist eigentlich eher eine Kritik an so Heilsfiguren, die es gibt. Und da fielen mir eigentlich immer eher Diktatoren ein: Stalin, Hitler - all diese diktatorischen Figuren. Religionskritik ist da, glaube ich, kaum versteckt.
Es gibt nicht mehr so klassische Zuschreibungen - Agnostiker und Atheisten werden ja auch so ein bisschen auf die Schippe genommen. Würden Sie sagen, das ist was Typisches für unsere Zeit, dass es nicht mehr so ganz klare Zuschreibungen gibt?
Gutsch: Das glaube ich schon. Also ich würde es auch an mir selbst beschreiben. Ich bin Christ. Ich bin Mitglied der evangelischen Kirche, und würde man mich fragen, ob ich an Gott glaube, würde ich schon sehr ins Straucheln geraten. Ich glaube vielmehr, als einer der wenigen, an die Institution evangelische Kirche als an Gott. Komischerweise. Also, da habe ich schon Probleme. Und ich glaube, es geht ehrlich gesagt ganz vielen so, dass Glaube etwas ist, was heute viel schwerer zu definieren ist für jeden Einzelnen, weil diese komplette Reinheit fehlt, so wie es wahrscheinlich noch vor einem Jahrhundert war, wo die Positionierungen ganz klar waren.
Man kann auch sagen, es gibt mehr Freiheit …
Gutsch: Auch das, vielleicht hängt auch mit mehr Freiheit zusammen, ganz klar. Es gibt auch mehr wissenschaftliche Erkenntnisse. Ich glaube, das ist dem Glauben immer abträglich.
Aber Sie sagen, Sie glauben an die Institution Kirche …
Gutsch: Also ich bezahle wirklich gerne meine Kirchensteuer, weil ich das immer toll finde, dass es Kirchen gibt. Ich mag den seelsorgerischen Aspekt der Kirche. Ich finde, wie sich um Alte gekümmert wird, wie überhaupt ein Angebot gemacht wird, jeder kann zu uns kommen, ist relativ einmalig. Und ich glaube selbst, wenn ich nicht glaube, wäre für mich eine Kirche immer ein Ort, wo ich das Gefühl hätte, zur Not kann ich da Hilfe finden.
Das ist interessant. Ich glaube, dass liegt auch ganz stark an der Definition von Glauben, wenn Sie sagen, ich glaube nicht. An was glauben Sie nicht?
Gutsch: Ich kann mir mit der Figur, Figur ist vielleicht auch ein falsches Wort, aber mit Gott wenig vorstellen. Vielleicht ist es auch einen Konflikt aus meiner Kindheit. Ich in der DDR aufgewachsen - da gab es ständig Heilsfiguren in der Schule: Lenin und Ernst Thälmann; den Sozialismus, an dem man glauben sollte, in der Kirche, dann im Christentum, und Gott und Jesus. Das hat mich immer überfordert. Und ich fand die Reinheit dieser Figuren immer schwierig und Gott vor allem so abstrakt. Es ist bis heute so geblieben, und insofern glaube ich vielleicht tief im Inneren. Aber für mich ist Kirche als Ort oder als Gemeinde viel greifbarer als Gott.
Also, ich habe mir die Frage gestellt, ob der Roman vor 20 Jahren schon so hätte geschrieben werden können. Oder hat sich etwas verändert, also an der Frage nach Sinn bei uns?
Gutsch: Ich glaube, Sinn ist so ein Riesenthema geworden. Man geht eine Buchhandlung und wird erschlagen von Büchern, die sich alle mit Sinn beschäftigen oder mit Glück, was ja auch eine Form von Sinn ist. Und ich glaube, es hat natürlich damit zu tun, dass die Kirche als Sinnstifter heute auch nicht mehr so präsent ist, wie es noch vor 20, 30 oder 50 Jahren. Und gleichzeitig der Drang nach Optimierung. Also glücklich sein. Man muss immer sehr, sehr glücklich sein und überhaupt, unglücklich zu sein, ist er schon Vorwurf, da macht man irgendetwas falsch. Und insofern finde ich schon, dass Frankie auch eine gute Figur ist, weil er mit so wenig zufrieden ist: schlafen, fressen, spielen. Ich glaube, wenn sich der Mensch auch auf diesen Dreiklang reduzieren würde, wäre er sehr viel glücklicher oder sinnvoller im Leben.
Sie haben gesagt, dass die Frage von Sinn nicht mehr allein in der Kirche verortet wird. Würden Sie die Frage nach Sinn von Leben irgendwie in der Institution Kirche verorten?
Gutsch: Für mich ist Kirche ein großer Ort, ich kann es auch wirklich schwer beschreiben, warum und wieso, von einer seltsamen Geborgenheit. Sinn weniger, aber Geborgenheit trifft es für mich viel besser.
Die Frage ist immer wieder, also nicht nur wie definieren wir Glauben, sondern wie definieren wir Sinn? Können Sie spontan sagen, was sie mit Sinn in Verbindung bringen?
Gutsch: Wahrscheinlich eine sinnstiftende Tätigkeit. Also etwas, was ich tue und für mich sage, irgendwie damit würde ich gern mein Leben verbringen oder zumindest ein paar Stunden am Tag. Das wäre für mich auch Sinn.
In "Frankie" wird ja auch die Frage nach dem Himmel diskutiert. Selbst der selbst erklärte Atheist Gold sagt, dass es so etwas gibt wie eine unsterbliche Seele. Wo positionieren Sie sich da?
Gutsch: Ich finde, es ist ein sehr schönes, auch sehr tröstendes Bild. Ich mag das sehr. Und meine Eltern sind schon sehr alt. Und wenn mir vorstelle, sie würden denn irgendwann unsterbliche Seelen finden, finde ich das sehr schön. Es ist nichts, woran ich jetzt intellektuell so festhalten kann.
Können Sie sagen was macht Ihnen Hoffnung?
Gutsch: Ich glaube ehrlich gesagt, dass mir Menschen Hoffnungen machen. Also ich möchte ganz stark daran glauben. Insofern ist mein Glaube an Menschen fast noch größer als der an Gott. Dass es da eine gute Seite gibt und dass Menschen bereit sind zu lernen. Und alles andere würde mich bitter oder zynisch machen, und das möchte ich auf gar keinen Fall. Insofern kann man schon auch was von Frankie lernen. Er nimmt die Menschen, wie sie sind. Und Menschen sind für mich Hoffnungsträger.
Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR
