Holocaust in Lettland: "Jetzt habe ich die Bilder im Kopf"
1941 begann der Holocaust an den lettischen Juden. Fast 30.000 Menschen lebten im Ghetto von Riga - die meisten erschossen die Nazis im Wald von Rambula. Anschließend internierten sie dort deutsche, österreichische und tschechische Juden.
Auf unseren Urlaubswegen in diesem Sommer sind wir im Baltikum unterwegs. Lettland und Estland mit Riga und Tallinn, wunderschöne Städte mit hanseatischem Flair, in Architektur und Geschichte. In Riga besuchen wir auch das jüdische Ghetto. Was ich dort erlebe, trifft mich wie ein Schlag. Mir war das vorher nicht klar: Die Ermordung der Juden durch die Nazis begann in Riga, noch vor Auschwitz und den anderen Vernichtungslagern. Aus ganz Europa wurden jüdische Menschen dorthin geschafft.
27.000 jüdische Menschen sterben in den Wäldern rund um Riga
Bekannte Städtenamen sind auf dem alten Eisenbahnwaggon in der Mitte des Ghettos zu lesen: Kassel, Münster, Leipzig, Hamburg. 1941 wurden in die Wälder Rigas und in die Dünen der Ostsee innerhalb weniger Tage 27.000 jüdische Menschen ermordet. Auf verwaschenen Fotos sieht man einige von ihnen. Ganz normale Leute, wie du und ich, unter ihnen auch viele prominente Künstler und Wissenschaftler. Junge, Alte, Männer, viele Frauen und Kinder. Sie mussten sich ausziehen und wurden erschossen.
Was geschieht im Inneren eines Menschen, der so etwas erlebt? Damals wurde offiziell nur die Seite der Täter bedacht: Weil die "Handarbeit" des Erschießens den Soldaten nicht weiter "zugemutet" werden sollte, entstanden dann die Vernichtungslager zur sogenannten Endlösung der Judenfrage. Was für Abgründe! Wir nahmen sie mit auf die weitere Reise.
Auch deutsche Juden wurden in Lettland ermordet
Bei allem Schönen, was noch kam, tauchte der Schatten des Erlebten immer wieder auf, in unseren Gesprächen, in unseren Träumen, und als ich zurückkam, auch in meiner ersten Predigt. Als ich von meinem Erlebnis im Rigaer Ghetto erzähle, unterbricht mich eine alte Dame aus unserer Gemeinde. "Wusstest du", sagte sie laut, "dass auf den meisten Stolpersteinen hier bei uns im Viertel steht: Ermordet in Riga?" Ja, ich wusste es und ich wusste es auch nicht. Aber jetzt ist es anders. Jetzt habe ich die Bilder im Kopf. Alles hängt mit allem zusammen. Auch wir hier mit Riga und den Wäldern. Möge Gott sich aller Ermordeten erbarmen. Und wir hier wachsam bleiben.
