Michael Gwosdz: "Ich brauche spirituellen Ausgleich zur Politik"
Michael Gwosdz ist Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft. Seine Spezialgebiete sind Religionspolitik und Flucht. Zwei Themen, die sehr oft emotional diskutiert werden.
Wie begegnen Sie diesen Themen?
Michael Gwosdz: Den zwei Themen mit großer Aufgeregtheit begegne ich mit möglichst viel Gelassenheit und Ruhe. Ich versuche die beiden Themen auf die Sachebene zurückzuführen und Chancen zu veranschaulichen. Es ist mir wichtig, mich nicht von der aufgeregten Debatte anstecken zu lassen. Und ich glaube auch, dass es wichtig, dass die Leute merken, in der Politik gibt es durchaus Menschen mit einem klaren Kompass, die sich nicht von tagesaktueller Hektik anstecken lassen.
Was für Chancen stecken da drin?
Gwosdz: Die Themen Religionspolitik und auch Flucht bieten sehr viel Chancen. Es geht darum, die Vielfalt unserer Stadtgesellschaft deutlich zu machen. Wir können unterschiedliche Menschen sein, von unterschiedlichster Herkunft oder eben auch unterschiedlichen Glaubens - und können jeweils unsere unterschiedlichen Perspektiven in die Stadtgesellschaft einbringen. Und es bereichert uns, wenn wir nicht alle das Gleiche denken.
Was wünschen sie sich für unsere Debatten?
Gwosdz: Für unsere Debatten wünsche ich mir mehr Faktenorientierung und ein mehr Gelassenheit, und vor allem auch ein großes Stück mehr Ambiguitäts-Toleranz. Ein kompliziertes Wort, ich weiß.
Erklären Sie mal …
Gwosdz: Für mich bedeutet Ambiguitäts-Toleranz vor allem Unterschiede anzuerkennen und auszuhalten.
Was braucht es dafür?
Gwosdz: Toleranz, Gelassenheit und die Feststellung, auch wenn jemand eine andere Überzeugung und Wertvorstellungen hat, dass das nicht für mich persönlich zwangsläufig eine Bedrohung ist.
Aber wahrscheinlich eine Verunsicherung. Ist das die Ursache oder wie sehen Sie das?
Gwosdz: Die Debatten werden bei uns auch von Populisten genutzt. Der Glaube der Muslime, also der Islam, wird beispielweise immer so dargestellt wird, als würde er uns in unserem jeweiligen, individuellen Umfeld bedrohen, nur weil jemand ein Kopftuch trägt oder fünfmal täglich bieten will. Aber das ist natürlich Quatsch. Also wenn jemand die Überzeugung hat, fünfmal täglich beten zu müssen, tangiert mich das nicht in meinem persönlichen Lebensstil.
Haben Sie einen Tipp für Menschen, die sich damit fremd fühlen?
Gwosdz: Mein Tipp wäre immer in Kontakt mit anderen Menschen zu treten. Das kann, der Besuch von Einrichtungen anderer Glaubensgemeinschaften sein, wie eine Moschee oder eine Synagoge.
Sie sind als Kind und Jugendlicher in der evangelischen Jugend tätig gewesen. Hat sie das geprägt, in die Politik zu gehen?
Gwosdz: Es hat mich auf jeden Fall geprägt, politisch zu denken und zu arbeiten. Gerade dieses Thema, auch Gegensätze auszuhalten und miteinander in Einklang zu bringen, Kompromisse zu suchen. Dazu habe ich viel schon in der evangelischen Jugend gelernt. Und es hat auch meinen Stil geprägt, wie ich Politik mache.
Was wünschen Sie sich von der Kirche?
Gwosdz: Ich wünsche mir, dass Kirche eine Rolle in der Gesellschaft findet, die mehr Leute dazu bringt zu sagen: Was bringt Kirche mir? Ich finde die ganze Fürsorgearbeit und die christliche Nächstenliebe wichtig. Das wird von vielen Leuten anerkannt. Aber ich vermisse die Erkenntnis, ein Ort der Spiritualität, Einkehr und Besinnung zu sein - was vielen Menschen in der sehr hektischen Welt fehlt.
Ist das für sie persönlich auch wichtig?
Gwosdz: Ja. Ich finde es auch wichtig, wenn Kirche politisch Position zu gesellschaftlichen Debatten bezieht. Aber ich merke eben auch selbst, dass ich spirituellen Ausgleich brauche.
Wo können Sie das finden?
Gwosdz: Ich finde das in Meditation. Und manchmal gehe ich in ein offenes Kirchengebäude hinein. Ich liebe die alten Kirchen in Hamburg und die Vorstellung, da saß vielleicht jemand auch schon vor 500 Jahren in einer gleichen Situation - und hat über ein existenzielles Problem nachgedacht.
Was ist Ihr Trost und ihre Hoffnung?
Gwosdz: Mein Trost ist, dass die Menschheit eigentlich grundsätzlich das Gute will. Das ist auch gleichzeitig Hoffnung, dass wir uns darauf verständigen können, wie wir politisch und gesellschaftlich dafür sorgen können, dass das Leben gut ist.
Das Interview führte Susanne Richter. Es wurde für die schriftliche Version gekürzt und redigiert. Redaktion: NDR
