Katharina Fegebank: "Kirchen sollen auch Brückenbauer sein"
Mein Glaube ist mein Kompass, sagt Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin von Hamburg. Der Kontakt mit Gott ist für sie aber sehr unterschiedlich: mal intensiv, manchmal aber auch distanziert.
Was ist der Grund, dass Sie in die Politik gegangen sind?
Katharina Fegebank: Das klingt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber ich hatte einen Erweckungsmoment. Ich habe für ein Politikberatungsinstitut in Berlin gearbeitet, und war mit dem sowohl in der Slowakei und auch in Bosnien-Herzegowina im Einsatz. Das war Anfang der 2000er-Jahre, also wenige Jahre nach dem Bosnienkrieg. Da stand ich mit meinen Projektpartnern im Jahr 2004 in Sarajevo auf dem Marktplatz und habe mich unterhalten. Und plötzlich wurde es ganz still um mich herum. Und dann habe ich gefragt, was ist mit euch? Was beschäftigt euch gerade? Und dann sagten sie, guck dich mal um: Sarajevo liegt in so einer Kessellage und ist von Gebirge, Hügeln, Wald umgeben. Sage ich: ja, so wunderschön. Ihr habt eine tolle Stadt und Heimat. Da haben wir als Kinder und als Jugendliche gespielt, und dann werden wir nie wieder hingehen können, weil dort alles vermint ist. Unsere Kinder und Enkelkinder werden dort nicht spielen können. Und dann sagten sie, ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es habt, dass ihr in einer Europäischen Union in Freiheit und Sicherheit leben könnt. Das wollen wir auch. Wir wollen irgendwann auch Teil dieses Friedens- und Freiheitsprojekt Europas werden.
Das hat mich tiefbewegt - ich war immer ein politischer Mensch, war aber nie parteipolitisch engagiert. 2004, ein paar Monate später waren Europawahlen, habe ich Nägel mit Köpfen gemacht und habe in Berlin geguckt nach einem Kreisverband um die Ecke und habe gesagt: Ich bin hier, ich will mitmachen.
Kommen sie auch aus einer politischen Familie?
Fegebank: Nicht parteipolitisch. Aber ich bin in einer sehr politischen Familie - im Lehrerhaushalt - aufgewachsen. Da ist am Abendbrotstisch immer viel gesprochen worden, über die weltpolitische Lage, über Themen, die in den Neunzigern aktuell waren. Ich bin 1977 geboren. Das heißt, mit 13, 14 ging das so richtig los. Meine Eltern haben mir auch immer mit auf den Weg gegeben 'geh deinen Weg, aber bleibt dir selbst treu'. Das ist das Allerwichtigste. Und mein Vater, das ist mir erst im Nachhinein bewusst geworden, wie prägend das gewesen ist, hat vor allem dieses Thema Frauen bewusst gemacht: geh deinen Weg, trifft eine Entscheidung für dich und lass dir von niemandem einreden, dass bestimmte Dinge nichts für dich sind oder du bestimmte Dinge nicht erreichen kannst.
Sie haben in Interviews gesagt, dass ihre Familie von christlichen Werten geprägt gewesen ist …
Fegebank: Ich habe das so wahrgenommen. Also das, universale Werte wie Menschenliebe und Nächstenliebe bei uns sehr hochgehalten worden sind. Und die haben wir als Kinder auch mitbekommen, als Richtschnur.
Aber es gab keine christlichen Rituale?

Fegebank: Der Klassiker, dass man zu bestimmten Feiertagen - gerade Weihnachten - einen Bezug und auch eine Nähe aufbaut. Ich habe das für mich so definiert, dass da eine Fernbeziehung zwischen mir und Gott ist. Ich nehme mir dann immer was, wenn ich es brauche. Und dann sind wir uns auch nah. Aber dann ist das auch eine ganze Zeit lang so, dass man sich nicht sieht. Also zwar eine Verbindung irgendwie hat wie bei einer Fernbeziehung, aber sich länger nicht sieht. Und gerade an Weihnachten, wenn viele Emotionen zusammenkommen, weil dann auch die Familie zusammenkommt und man ja unglaubliche Erwartungen in diese Tage hineinlegt, die dann ja besonders schön und besonders harmonisch und ja besonders nah für alle sein sollen, dann denke ich noch mal anders darüber nach, auch über diese ganzen Fragestellungen, die damit die damit einhergehen.
Würden Sie sagen, dass es einen Bezug zwischen den christlichen Werten und ihrer Arbeit als Politikerin gibt?
Fegebank: Ja, das ist für mich auch immer eine Richtschnur. Also gerade das Thema Nächstenliebe, Respekt und Toleranz, auch die Frage nach Gerechtigkeit und die Suche nach Frieden.
Was können aus Ihrer Meinung nach die Kirche und auch andere Religionsgemeinschaften tun, um die Gesellschaft positiv zu prägen, vielleicht auch gerechter zu machen?
Fegebank: Ich sehe da bei den Religionsgemeinschaften und natürlich auch den Kirchen eine große Rolle. Ich habe auch ehrlicherweise eine große Erwartung an sie. Ich wünsche mir, dass in einer Gesellschaft, die viele als emotional aufgeheizt und am Anschlag erleben, die gespalten ist, in denen politische Kräfte Ängste schüren, es Orte, Menschen und Begegnungsräume braucht, wo man zusammenkommt und so sein kann, wie man ist, man aufgefangen wird, Unterstützung bekommt und auch Trost gespendet wird. Und das sind für mich die Kirchen. Das sind für mich Orte der Einkehr. Das sind Orte, bei denen man sich ja auf das besinnen kann, was wirklich wichtig ist. Und es sollen für mich auch Brückenbauer sein. Und das sehe ich sowohl für die Kirchen als auch für die anderen Religionsgemeinschaften.
Gerade hier bei uns in Hamburg, wo Menschen aus vielen verschiedenen Ländern mit verschiedenen Glaubensrichtungen leben, soll der Glaube nicht trennen, sondern vereinen und verbinden. Und die Vielfalt in meinen Augen ist eine ganz große Chance, unser Zusammenleben zu bereichern. Und das ist eine Hoffnung und eine Erwartung, dass Kirche das ausfüllt. Auch, weil ich schon merke, viele sind auf der Suche nach Orientierung, nach Nähe, nach Antworten, nach Wärme, einem Gefühl von Heimat, und vielleicht auch Ankommen. Und das ist etwas, was ich mir sehr stark von unserer Kirche wünsche.
Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR
