Die Autorin Tamar Noort © Tamar Noort Foto: ALI GHANDTSCHI

Noort: "Ewigkeit ist kein Ort, sondern eine zeitliche Angabe"

Stand: 16.11.2022 14:20 Uhr

Die junge Pastorin Elke hat das Vaterunser vergessen und den Text sämtlicher Gebete. Leidet sie etwa an Gottdemenz? Tamar Noort begibt sich im Roman "Die Ewigkeit ist ein guter Ort" auf die Suche nach verloren geglaubten Worten.

Denn der Verlust "ist für sie sehr bedrohlich, denn sie ist ja Theologin. Also dementsprechend ist das eigentlich die Lebensgrundlage, die ihr entzogen wird", schildert die Autorin Elkes Situation.

Sie spricht ja auch darüber, dass es so sich so anfühlt, als würden ihr ihre Organe oder als würden lebenswichtige Organe fehlen …

Tamar Noort: Also sie diagnostiziert es ja als eine im Grunde medizinische Angelegenheit. Also Gottdemenz klingt tatsächlich nach einer Krankheit, die man möglicherweise vielleicht sogar kurieren kann.

Wie reagiert Elke? Also wie versucht sie dem Herr zu werden?

Noort: Also, ich finde ja, sie reagiert erstmal nicht wirklich - in dem Sinne, dass sie ja gar nicht so richtig viel tut. Sie vermeidet sozusagen die Momente, wo sie tatsächlich gefordert ist, also wo sie die Präsenz Gottes in ihrem Leben braucht. Und ja, schottet sozusagen immer mehr Bereiche ihres Lebens ab.

Bei der Reaktion auf diese Gottdemenz wird sie wieder mit dem Tod ihres Bruders konfrontiert. Ist die Gottdemenz eine Folge von verschleppter Trauer?

Noort: Ich glaube schon, dass man das so formulieren kann. Ich würde die Gottdemenz definieren als ein Symptom, dass in Elkes Leben etwas nicht stimmt. Und das hat gar nicht unbedingt mit ihrem Glauben zu tun oder mit ihrer Beziehung zu Gott. Sondern das hat generell damit zu tun, dass sie in ihrem Leben - und sie ist ja so Ende 20 - an einem Punkt ist, wo die meisten Leute das schon hinter sich gelassen haben. Sie hat sich noch nie wirklich damit auseinandergesetzt, welche Orientierungspunkte sie für sich in ihrem Leben haben will. Und das hat sicherlich auch mit dem Tod ihres Bruders zu tun, der gestorben ist, als sie 15 war. Also dementsprechend ist das schon eine Weile her, aber sie hat nie wirklich verarbeitet, was damals passiert ist - und hat einfach diese Trauer tatsächlich mitgeschleppt. Und das rächt sich jetzt. Dass äußert sich, dass sie diesem schleichenden Gefühl nie die Breite gegeben hat, die es braucht, um wirklich irgendwann abschließen und weitermachen zu können.

Das ist eigentlich auch gemein, dass Elke Gott eigentlich am meisten braucht, gerade wenn es ihr schlecht geht. Und, dass sie ihn da verliert …

Noort: Ich bin mir nicht sicher, dass für jeden Menschen zutrifft, dass Gott helfen kann bei der Verarbeitung von Trauer oder von schlimmen Dingen, die einem passieren im Leben. Ich denke, dass das sehr individuell ist und dass das für jeden anders aussehen kann. Und Elke ist eine Person, die für sich, glaube ich, diese Frage nie gestellt hat. Sie ist immer davon ausgegangen, weil sie so aufgewachsen ist, dass Gott da ist, wenn man den braucht, das ist eine Entität ist, die vorhanden zu sein hat, einfach weil sie immer da ist. Sie hat das selber aber nie mit Leben gefüllt. Und dementsprechend kann sie auch in ihrer Trauer damit gar nichts anfangen, weil das gar nicht ihr eigenes Erleben ist, sondern es ist etwas, das von ihrer Familie vorgegeben wurde. Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die eine Art geerbten Glauben haben. Also dass der Glaube einfach etwas ist, das sozusagen mitgewachsen ist, das einem so in der Erziehung mitgegeben wurde. Und dass es irgendwann einen Punkt geben muss, wo man anfängt, das in Frage zu stellen

Und auch seinen eigenen Weg dann damit zu finden?

Noort: Ganz genau.

Denn das ist es ja, was Elke eigentlich macht, dass sie überprüfen muss, ob es für ihr Leben tatsächlich auch eine eigene Relevanz hat und erst dann anfängt, auch lebendig zu werden …

Noort: Ganz genau. Also, man könnte das Buch auch als einen Coming-of-Age-Roman sehen. Es ist ein Buch, das sich damit auseinandersetzt, welchen Grundsätzen wir im Leben folgen wollen und wie wir an diesem Punkt kommen können, überhaupt zu überprüfen, welche Glaubenssätze wir von zu Hause mitbekommen haben und welche wir tatsächlich auch in unserem eigenen Dasein unabhängig von der Familie fortführen wollen. Ich finde es nicht gemein, dass Gott nicht da ist für sie, wenn sie ihn am meisten braucht. Ich glaube, dass das ja auch etwas ist, was von zwei Seiten kommt und dass Elke gar nicht bereit ist dazu. Sie kann sich nicht von Gott trösten lassen. Das ist nicht möglich. Dafür bräuchte sie einfach eine viel klarere Beziehung zu dieser Entität. Und die hat sie nicht.

In dem Buch der gibt es ja eine ganze Reihe von Zitaten, die eben hilfreich sein können bei der Suche nach Gott. Also unter anderem dieses Zitat: "Ich finde Gott in den Dingen, die mich wütend machen." Gibt es ein Zitat wo Sie, sagen damit kann ich persönlich etwas anfangen?

Noort: Dieses Zitat, "ich finde Gott in den Dingen, die mich wütend machen", hat mich deswegen so angesprochen, weil ich das durchaus sehr nachempfinden kann. Alle negativen Gefühle dürfen und sollen einen Platz haben, in allem, was mit Gott und Kirche zu tun hat.

Können Sie sagen, was sie zurzeit wütend macht?

Noort: Tatsächlich. Wenn man sich anguckt, was in der Ukraine, im Iran passiert, im Mittelmeer passiert - das sind alles Themen, die mich unfassbar wütend machen und gleichzeitig liegt es mir ganz fern, darin etwas Göttliches zu sehen oder eine Schuld zu sehen, die irgendwie mit einem Gott zu tun hat. Also ich wäre niemals eine Person, die sagen würde wie kann Gott so etwas zulassen, denn es sind Menschen, die das zulassen. Es sind Menschen, und da hilft ja auch der Glaube nicht, sondern da kann eigentlich nur Mitmenschlichkeit und Empathie und Gefühl helfen, um diesen Menschen zu helfen.

Ja, aber da könnte Glaube sehr wohl helfen, indem man nicht in Resignation versinkt. Glaube ist ja auch ein Anspruch. Also wenn ich davon ausgehe, dass es einen liebenden Gott gibt, der alle Menschen liebt oder mit Liebe auf uns guckt, dann ist natürlich ein Anspruch da, nicht einfach nur die Hände im Schoß liegen zu lassen und sich abzuwenden und zu sagen, ich kann eh nichts machen. Also das kann natürlich schon auch ein Motor sein …

Noort: Ich würde mir das so wünschen, … dass Menschen, die einen starken Glauben haben, einen Impuls finden, um tatsächlich gegen diese Dinge, die mich so wütend machen, vorzugehen und zu helfen. Dann hätte auch wirklich jeder Glaube auf der Welt seine absolute Berechtigung.

Ihre Geschichte heißt "Die Ewigkeit ist ein guter Ort". Und das was macht die Ewigkeit zu einem guten Ort für sie?

Tamar Noort © Tamar Noort Foto: ALI GHANDTSCHI
"Die Ewigkeit ist ein guter Ort, wenn wir sie in uns selber finden", sagt Tamar Noort.

Noort: Eigentlich ist die Ewigkeit ja gar kein Ort, sondern eine zeitliche Angabe. Ich finde, die Ewigkeit ist ein guter Ort, wenn wir sie in uns selber finden. Das wünsche ich auch Elke sehr, dass da ein Ort ist, an dem das Innen und das außen gut miteinander korrespondieren.

Ich frage mich, ob "Die Ewigkeit ist ein guter Ort" nicht auch ein Trost ist für Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben? Sie sagten jetzt ist es nur eine zeitliche Kategorie …

Noort: Was ich damit eigentlich sagen will, ist für mich, die Ewigkeit nicht gleichzusetzen mit dem, was passiert, wenn wir nicht mehr da sind. Denn Ewigkeit impliziert ja alles: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das würde ich so gerne auch als Ganzes sehen. Wenn die Ewigkeit ein guter Ort ist, dann kann das ein Trost sein für diejenigen, die jemanden verloren haben. Die sozusagen in der Gesamtheit der Zeit wissen, diesem Menschen geht es gut. Denn die Ewigkeit impliziert alles: Alles, was war, alles, was ist und alles, was kommt.

Was ist Ihr Trost und Ihre Hoffnung? Sie sagen, dass sie sich von der Institution Kirche ein bisschen distanziert haben. Was ist Ihr Glaube? Können Sie das sagen?

Noort: Mein Trost und meine Hoffnung finde ich vor allem in den Menschen, die mir nah sind, also in der Gemeinschaft, in der ich lebe und das kommt, glaube ich, durchaus auch einem Glauben nahe. Das hat ganz viel zu tun mit einer Achtsamkeit dem Leben gegenüber, einem Trost finden in der Natur, in der Liebe zu anderen Menschen. Und das unterscheidet sich gar nicht so sehr von dem, was ich als sehr frommes Kind erlebt habe. Ich muss dafür nicht unbedingt jeden Sonntag in der Kirche sitzen.

Und es hört sich so an, als ob sie andere Wörter für sich gefunden haben. Ewigkeit hört sich wirklich nach einem Glaubenswort an, so wie Sie das beschrieben haben. Das ist wirklich fast ein religiöser Begriff, so wie Sie das füllen …

Noort: Stimmt, kann man so sehen. Das habe ich bislang gar nicht so wahrgenommen. Aber in der Tat, ich habe darüber noch gar nicht so wahnsinnig viel nachgedacht, was dieses Wort eigentlich für mich bedeutet. Aber so, wie ich es gerade beschrieben habe in dieser Gesamtheit des Begriffs, ist das tatsächlich ein religiöser Begriff. Das ist richtig.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Gott und die Welt - der Podcast | 19.11.2022 | 07:40 Uhr

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