Steffen Schmidt: "Ich versuche ein guter Hirte zu sein"
Bekannt geworden ist er, weil er seine Heidschnucken in den Landesfarben der Ukraine eingesprüht hat: Steffen Schmidt ist Schäfer in der Lüneburger Heide. Das ist nicht so romantisch, wie es klingt.
Als Schäfer oder Schäferin braucht es Geduld und Ausdauer und eine gewisse Zähigkeit - und vielleicht auch ein bisschen Sturheit, sagt Schmidt.
Warum Sturheit?
Steffen Schmidt: Den Tieren gegenüber konsequent bleiben und natürlich auch manchmal den Menschen, mit denen man zu tun hat, gegenüber konsequent bleiben, ohne sich da leicht vom Weg abbringen zu lassen.
Mein Eindruck ist, dass der Beruf Schäfer*in vielfach verromantisiert wird. Stimmt das? Empfinden Sie das auch so?
Schmidt: Das wird sehr verromantisiert. Also bei uns kommen ständig Anfragen von Menschen, die mal mithelfen wollen, die mal ein Praktikum machen wollen. Da merkt man ganz schnell, dass das total romantisch gesehen wird, also der Schäfer oder die Schäferin steht draußen bei ihrer Herde und guckt ihrer Herde beim Fressen zu. Und das ist es dann schon. Aber das ist bei Weitem nicht alles. Also erst einmal steht man ja bei jedem Wetter, dann auch draußen. Also heute haben wir zwei Grad und Schneeregen. Auch dann steht man draußen mit den Schafen, und die müssen gehütet werden, solange, bis sie satt sind. Das ist ein harter Job. Das ist nicht zu unterschätzen. Das sind alles körperliche, anstrengende - und auch ich sag jetzt mal schmutzige Arbeiten. Das gehört alles dazu.
Okay, was ist das? Nervigste?
Schmidt: Was ist das Nervigste - Schafe, die aus der Reihe tanzen. (lacht)
Schafe, die aus der Reihe tanzen. So die schwarzen Schafe, wie man so sagt …
Schmidt: Also die Heidschnucken sind ja alle irgendwie grau und schwarz, und in der Herde sind Ziegen mit dabei. Die sind natürlich bunt. Ja genau, im übertragenen Sinne die schwarzen Schafe, die aus der Reihe tanzen. Also ein gutes Schaf, zeichnet sich dadurch aus, dass es brav in der Herde mitläuft.
Daher kommt auch der Spruch, dass Schafe ein bisschen blöd sind vielleicht? Aber das sind sie nicht?
Schmidt: Nein, auf ihre Art sind sie es nicht: Dieser Herdenverbund ist die Überlebensstrategie der Schafe, der Heidschnucken. Also eigentlich ist das schon ganz schön clever, was die machen.
Was macht ihn besonders Freude?
Schmidt: Also, ich finde es von Anfang an und immer noch sehr faszinierend mit dieser Herde einfach loszugehen. Wissen sie, dass ist so, die sind nicht eingesperrt, die sind nicht hinter einem Zaun, die sind nicht irgendwo aufgeladen oder werden von irgendetwas gelenkt oder gesteuert, sondern man läuft einfach mit der Herde los. Man hat einen Hund dabei oder zwei, und man zieht einfach mit der Herde los, im freien Gelände, auf großen Flächen und ist mit denen unterwegs. Und so kommt das hin, dass man die lenkt und leitet und dass die zum Fressen kommen und dass man abends heile wieder am Stall ankommt.
Wie lernt man das? Also wie lernt man das, dass die ja auch so marschieren, wie man das möchte, und nicht einfach irgendwo über die Straße.
Schmidt: Wie lernt man das. Ich, glaube, dass kann man nicht lernen. Da gehört eine ganze Menge Vertrauen dazu. Das kommt natürlich dann auch mit der Zeit. Also wenn ich an meine Anfangszeiten zurückdenke, ist da immer schon sehr große Aufregung gewesen, wenn man entlang einer Straße gezogen ist mit der Herde - oder gar über eine Straße. Aber mit der Zeit entwickelt man eine Routine und natürlich auch ein Gespür dafür. Für die Situation - so dieses Vertrauen zu sich selbst, zu den Schafen, zu der Herde. Dieses Zusammenspiel, das muss wachsen. Das ist nicht von vornherein dar. Aber ich möchte behaupten, dass es ein gewisses Talent erfordert, dass man also sich dem auch hingibt. Und das annimmt und das auch wahrnimmt, dass man diese Fähigkeit und diese Möglichkeit hat, die Herde so zu lenken.
Hatten Sie schon mal richtig Angst um ihre Herde?
Schmidt: Ja. Also ich bin hier in Schneverdingen seit drei Jahren Schäfer. Ich habe hier vor drei Jahren diese Schäferei übernommen. Ich stamme ursprünglich aus Sachsen und hatte dort über viele Jahre eine Wanderschäferei ohne feste Flächen. Und bin dort ja quasi wöchentlich mehrmals auch über Straßen gezogen, um zur nächsten Fläche zu kommen, und hatte dort viel mit Straßenverkehr zu tun. Und es ist leider so, dass viele Menschen beim Autofahren sehr abgelenkt sind. Und da gab es schon eine heikle Situation, wo ich dann dachte: Oh nein, jetzt ist zu spät. Es knallt mir trotz aller Vorsicht und meiner Absperrmaßnahmen hier ein Auto in die Herde rein. Da hatte ich zeitweise richtig Angst.
Aber ist noch nie was passiert?
Schmidt: Es ist da zum Glück nichts passiert.
Dann sind Sie ja ein guter Hirte, so wie in der Bibel?
Schmidt: Ja, ich versuche, einer zu sein.
Sie sind ja unter anderem dadurch bekannt geworden, dass sie das Fell ihrer Schafe in den Farben der Ukraine angesprüht haben. Wie ist es dazu gekommen?
Schmidt: Wir hatten nach dem erneuten Überfall Russlands auf die Ukraine, da gab es in Schneverdingen der Spendenaktion für die Partnerstadt in Polen, weil dort viele Geflüchtete versorgt wurden und man einfach Geld brauchte, also schnell, unkompliziert Geld brauchte. Und da gab es einen Aufruf, eine Spendenaktion. Und dann habe ich gedacht wie machen wir das jetzt, um so ein bisschen die Leute aufmerksam zu machen? Ist ja unser Mittel natürlich die Schafe, die Heidschnucken. Und dann haben wir die mit Viehkennzeichnungsfarbe, die wir sowieso hier einsetzen, im Betrieb zur Markierung in den ukrainischen Farben also einige Schafe in den Farben angesprüht und haben parallel dazu Kaffee, Kuchen verkauft und Spenden eingesammelt.
Das sind sozusagen so Demonstrationsschafe dann geworden?
Schmidt: Das sind de facto Demonstrationsschafe. Ja, man erreicht damit die Menschen einfacher, als wenn ich mich jetzt mit einem Plakat auf die Straße stellen würde.
Ihr Beruf, der tauchte er in der Bibel ganz oft auf. Also der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln, heißt es im Psalm 23. Können Sie damit etwas anfangen, dass Gott wie ein Hirte auf uns aufpasst? Sie wissen ja nun, was ein Hirte, was ein Schäfer machen soll?
Schmidt: Genau. Ich bin da ein Schäfer. Ein Hirte, ich passe auf meine Heidschnucken auf, und der Herr passt auf mich auf. Das ist tatsächlich mein Taufspruch. Wobei es dazu sagen muss, dass es mir den selbst aussuchen konnte, weil es müsse man Erwachsenenalter erst habe taufen lassen und, dass also kein Zufall war, sondern ich habe mir das gezielt raussuchen dürfen.
Wie ist das gekommen? Was war das für eine Situation, dass sie als Erwachsener gesagt haben: Ich möchte mich taufen lassen?
Schmidt: Ich bin also nicht religiös erzogen worden. In meiner Familie war das kein Thema, außer dass wir zu Heiligabend in die Kirche gegangen sind. Und ja, ich habe immer mal wieder - keine Ahnung warum - mich recht schnell mit Pfarrern angefreundet und in dem Ort, in dem wir gewohnt haben mit dem Pfarrer habe ich mich auch angefreundet, obwohl er eine ganze Ecke älter ist als ist. Und der hat so Erwachsenenbildung gemacht, so Religionskurse. Und er hat mich eingeladen, da mal mit hinzukommen. Das gipfelte dann darin, dass ich mich entschlossen habe, mich taufen zu lassen.
Können Sie sich noch erinnern, was sie damals besonders berührt hat oder angesprochen hat?
Schmidt: Ich glaube, es hat auch was mit Gemeinschaft zu tun. Also das Gefühl, zur Gemeinschaft der Christen zu gehören. Ich finde viele christliche Gedanken und Einstellungen sehr gut und sehr erstrebenswert.
Durch welchen Gedanken zum Beispiel?
Schmidt: Nächstenliebe, sich umeinander kümmern, auch in dem Sinne, dass man einander zuhört, miteinander spricht. Das sind eigentlich so die Dinge, die für mich eine Rolle spielen.
Gibt es so etwas wie das Gebet für Sie?
Schmidt: Ich bete nicht regelmäßig, um ehrlich zu sein. Es ist ja so, wenn ich für mich so Rat suche oder innere Unsicherheit habe, dass es dann für mich im Stillen bete, in dem Sinne eine Antwort zu finden oder zu bekommen.
Was ist Ihre Hoffnung?
Schmidt: Meine Hoffnung, dass die Menschen sich alle liebhaben.
Das dass irgendwann kommt …
Schmidt: Wir leben ja immer in schwierigen Zeiten, immer in anders schwierigen Zeiten. Aber es gibt ja trotzdem ganz viele Menschen, die Menschlichkeit und Nächstenliebe vorne anstellen. Und das ist meine Hoffnung, dass diese Menschen sich durchsetzen können, dass die mehr werden, dass mehr Menschen zur Erkenntnis kommen, wenn wir vernünftig miteinander umgehen, geht es viel einfacher. Dass das meine Hoffnung.
Herzlichen Dank.
Schmidt: Gerne.
Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR