Politökonomin Prof. Maja Göpel © Anja Weber Foto: Anja Weber

Maja Göpel: "Wir haben die Natur geschenkt bekommen"

Stand: 27.10.2022 08:45 Uhr

"Wir können auch anders", sagt Maja Göpel. So heißt auch das neue Buch der Politökonomin, Hochschullehrerin und Bestsellerautorin. Sie thematisiert darin einen Aufbruch in die Welt von morgen.

"Anders" meint, dass wir Menschen unsere tatsächliche Verortung in und mit der Welt begreifen. Es gehe darum, uns aus den Strukturen zu befreien, die uns momentan nicht in eine nachhaltige Zukunft kommen lassen.

Was meinen Sie, sind wir zu schlecht informiert? Oder ist das, wovon Sie erzählen, so furchtbar und fordert sozusagen so viele Erneuerungen, dass wir einfach immer weiter verdrängen. Information oder Mut, was braucht es?

Maja Göpel: Im Prinzip, glaube ich, bräuchte es schon beides. Also dieses Wissen in der Gesellschaft verbreiten - vor allem, wie die Dinge zusammenhängen, scheint mir immer noch ein wichtiges Kriterium. Auch gerade, wenn wir sagen wollen, Demokratien sind ja die Regierungsform, wo wir möglichst gut informierte Beteiligte zu gemeinsamen Entscheidungen bringen wollen. Und dann gibt es natürlich aber diese Idee auch - och, jetzt muss ich mich einschränken, die anderen schränken sich aber nicht ein … und wenn die weiter auf die Malediven fahren und die dicken Autos haben und die Riesenwohnfläche und den Pool? Warum soll ich der erste oder die erste sein, die sich einschränkt? Das sind dann eher soziale Probleme von Normen und Statuskonsum, angefangen bis hin zu Politik, wo wir uns nicht darauf einigen können, dass vielleicht der Preis nicht das einzige Steuerungsinstrument sein kann. Wenn das nur bedeutet, das die begrenzten Ressourcen für diejenigen zugänglich bleiben, die viel Geld haben und die anderen eben tatsächlich ihren Lebensstil rasant umbauen müssen. Es sind eigentlich alles Aushandlungsprozesse.

Das geht ja wirklich sehr weit in eine umfassende kulturelle Transformation, kann man sagen. Da wird es für uns als Kirche auch sehr interessant, weil Sie darüber sprechen, dass wir neue Geschichten zur Motivation brauchen. Welche alten Geschichten haben denn Ihrer Meinung nach ausgedient?

Göpel: Also ich glaube, dass die Menschen getrennt sind von dem, was wir Umwelt nennen. Es ist eine Mitwelt, und wir sind eingebettet in die natürlichen Systeme - und Mikroplastik. Also schmeißen Dinge weg, und dann merken wir hoch das sind ja gar nicht weg, sondern die sind irgendwo ins Meer geplumpst oder eben im Boden verscharrt wurden und kommen dann im Minipartikeln wieder zurück in der Nahrung, entweder durch die Tiere oder eben direkt zu uns in unsere Körper zurück. Und das ist für mich der ganz wichtige Ausgangspunkt zu sagen, wer wollen wir sein: Biologische Wesen oder träumen wir mit den Silicon-Valley-Erzählern, die ja mit sehr viel Verve und sehr viel Geld dahinter eigentlich Zukunftserzählungen bauen, von denen wir sagen ach, dieses biologische, das schütteln wir mal ab, inklusive der Sterblichkeit. Ich glaube, so prototypisch haben wir so ein bisschen die Oszillation zwischen Gaia - also sind wir einen Teil dieses großen Organismus-, oder spielen wir Gott?

Was ist denn Ihre Geschichte? Also eine Geschichte, die ihnen Mut macht, diesen ganzen Kampf durchzustehen?

Göpel: Also einmal, glaube ich, geht das sehr schnell, wenn man zwei Wesen zuhause hat, die einfach noch sehr viele Jahre vor sich haben. Auf der anderen Seite erfahre ich unheimlich viel tolle Resonanz aus unserer Gesellschaft. Also ich kann dann immer sehr gut informiert bei journalistischen Rückfragen entgegnen, wenn es heißt, d ie Leute wollen das doch nicht sagen. Also Entschuldigung, mir begegnen ganz andere, und die wachsen über sich hinaus, um Dinge möglich zu machen. Und die denken sich tollste Sachen aus, um zu sagen, wir können die Dinge besser machen; sie sind bereit zu teilen und zu kooperieren. Und ich wünsche mir so sehr, dass wir diese Geschichten stärker in den Raum holen würden, weil wir dann uns auch gegenseitig wieder mehr zutrauten. Nachrichtenfaktoren mit Aufregung, Skandalisierung, fiese Überschriften, Personalisierung, Moralisierung - damit tun wir uns ja überhaupt keinen Gefallen.

Und deshalb glaube ich, dass diese Begegnungsräume und Institutionen, wie die Kirche oder natürlich auch demokratische Aushandlungsprozesse …. dass wir uns wieder miteinander in Beziehung setzen und dann spüren, erstens sind wir gar nicht so unterschiedlich in dem, was wir uns wirklich wünschen in diesem guten Leben. Und zweitens, wenn wir Dinge einfach mal zusammen anpacken und tun, anstatt uns heißzureden auf diesen Social-Media-Kanälen. Dann kommen wir auch viel mehr in die Bewegung.

Sie haben gerade auch die Kirche angesprochen. Was wünschen Sie sich von der Kirche dabei, bei der Etablierung solcher Geschichten?

Politökonomin Prof. Maja Göpel © Anja Weber Foto: Anja Weber
Maja Göpel wünscht sich mehr Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen.

Göpel: Das ist eine große Geschichte, die im Kulturraum gehalten hat, über lange Zeit. Und ich glaube, dass dort die Chance liegt, weil natürlich diese Erzählung immer mit der Suche nach dem, was ist in uns angelegt. Auch ethische Fragen, zum Beispiel, wer sind wir in dieser Welt? … Bei den Mystikerinnen war es so, dass die ganz ähnlichen Ideen davon hatten, wer ist Mensch in Natur, und was für eine Verantwortung haben wir gegenüber zukünftigen Generationen.

Haben Sie eine Lieblings-Bibelgeschichte?

Göpel: Wenn ich ganz ehrlich bin, dann bin ich im buddhistischen Raum am meisten hängen geblieben, indem was mich anspricht und hatte dadurch, dass sie nicht getauft war, auch nie wirklich Religionsunterricht. Ich finde nur wirklich total interessant zu überlegen, was war der Auftrag in dem Moment, wo die Welt untergeht für Noah … das war nicht: Nimm nur ein paar Menschen und ein paar Computer mit.

Also haben Sie einen Glauben, obwohl man ja im buddhistischen Umfeld jetzt nicht direkt vom Glauben sprechen würde?

Göpel: Für mich ist es diese Praxisorientierung, also diese Anleitung für eine ethische Lebensführung, aber auch immer wieder gekoppelt mit dieser Frage, wie entsteht jetzt eine Handlung. Also das, das ist mir im Moment auch so wahnsinnig wichtig, wo wir sehr in dieser Schuldzuweisung Orientierung in unserer Gesellschaft sind und so wütend aufeinander werden, sich immer wieder zu fragen was sind die Bedingungen, unter denen diese Verhaltensweise entsteht und deshalb das Gewahrsein von dem was machen die Strukturen und Situationen mit uns? Und wo kommt mein Impuls her, mich jetzt so zu verhalten.

Gewahrsein ist ja auch ein Ausdruck aus der spirituellen Praxis. Also meditieren Sie?

Göpel: Immer gerne viel zu wenig Moment. Aber mir hilft das sehr gerade in diesen turbulenten Zeiten wirklich, A, Ruhe zu finden. B, Eine Öffnung zu finden also körperliche Verfasstheit ist ja auch so spannend. Was macht das mit mir, wenn mein Körper sehr fest ist, unser angespannt ist? Da habe ich weniger Resilienz, weniger Ruhe.

Was gibt Ihnen Hoffnung?

Göpel: Menschen und die Schönheit der Natur. Also, ich finde einmal mit offenen Augen Tieren zu begegnen und diese Bewunderung, die dann eigentlich bahnbrechen muss, also diese Perfektion von einem Federkleid oder einen Schmetterling oder auch bestimmte Blumen wie die mit Farben und Gerüchen arbeiten, damit es funktioniert, mit dem Zusammenspiel von bestäuben und sich fortpflanzen. Oder ein Eichelhäher, der noch mal kurz eben hilft, die ganzen Bäume zu verbreiten. Also es ist so faszinierend, und ich wünsche mir so sehr, dass wir diese Faszination und diese Liebe zur Natur wieder nach vorne bringen können, anstatt die ganze Zeit zu denken. Wir müssten irgendwas Technologisches erfinden. Und in den meisten Teilen ist es ja ein billigerer Abklatsch. Und wir sind völlig begeistert, nur weil wir es selber gemacht haben. Dabei haben wir das doch geschenkt bekommen.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Gott und die Welt - der Podcast | 29.10.2022 | 07:40 Uhr

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