Der Psychotherapeut Christian Firus © Privat
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AUDIO: Gott und die Welt mit Christian Firus (9 Min)

Christian Firus: "Angst hat das Potenzial eines Angebers"

Stand: 14.06.2023 09:20 Uhr

"Wenn die Welt aus den Fugen gerät. Vom Umgang mit Angst in unsicheren Zeiten" heißt das neue Buch von Christian Firus. Der Arzt und Psychoptherapeut mit Fokus auf seelische Gesundheit zeigt Auswege aus dem Teufelskreis Angst.

Was ist Angst eigentlich genau? 

Christian Firus: Angst ist erst mal ein grundsätzliches - und vielleicht sogar das älteste - Gefühl, das wir nicht nur als Menschen, sondern vermutlich auch als Säugetiere hatten. Also etwas, das uns seit Jahrmillionen begleitet. Und es hat eine ganz zentrale Aufgabe, uns nämlich vor Gefahren zu schützen. Also es ist etwas, das wir zum Überleben, immer schon gebraucht haben.

Also dafür ist Angst auch gut …

Firus: Angst ist in jedem Fall gut. Angst ist ein Hinweisgeber. Allerdings - das sage ich so ein bisschen salopp - hat Angst immer auch das Potenzial eines Angebers. Also, es bläht sich auf, macht sich größer, als es eigentlich zunächst ist, weil Angst in der Regel etwas im Gepäck - aus der Vergangenheit und auch einen sorgenvollen Blick in die Zukunft - hat. Und das ist etwas, das wir wissen müssen, wenn wir mit unangenehmen Gefühlen und zentral mit Angst zu tun haben - Angst übertreibt.

Gibt es ein paar Sachen, von denen man sagen kann, das hilft gegen Angst?

Firus: Ja, in jedem Fall. Gegen Angst hilft, sich ihr zu stellen, sich mit ihr zu beschäftigen, ihr auf die Spur zu kommen. Also mit anderen Worten, mit der eigenen Angst in Beziehung zu treten. Das scheint mir ein zentraler Gedanke zu sein. Den habe ich auch in diesem Bild aus der Kindergeschichte von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" entwickelt. Da gibt es diesen Riesen Tur Tur, der aus der Ferne betrachtet erschreckend groß erscheint. Keiner traut sich hin, und dann entschließen sich die beiden eines Tages genau das zu tun. Und sie machen die wunderbare Entdeckung: Je näher sie kommen, desto kleiner wird Tur Tur. Und als sie letztlich bei ihm angekommen sind, ist er sozusagen auf Augenhöhe zusammengeschrumpft und freut sich über die Begegnung, die er sich so sehnlich gewünscht hat. Ich finde, das ist ein zentrales Bild dafür, wie es uns gehen kann, wenn wir beginnen, uns unangenehm Gefühlen - insbesondere Ängsten - zu stellen.

Auf ihrer Internetseite da sprechen Sie auch explizit über ihren Glauben: getragen fühle ich mich von einer Dimension, die mich umgibt und begleitet, die ich gleichzeitig in mir und außer mir erlebe und die ich entsprechend meiner Prägung meist immer noch Gott nenne. Würden Sie sagen, das ist untypisch, dass in der "Psychobranche" über Gott gesprochen wird?

Firus: Ja, ich glaube, das ist sehr untypisch. Und gleichzeitig ist es ein Versäumnis, weil Spiritualität mal so ganz allgemein gesprochen etwas ist, was die meisten Menschen zentral betrifft. Wir sprechen ja zum Beispiel auch von den virtuellen Atheisten. Es macht nicht mal Halt vor dem nicht glauben. Es ist dann doch eine Form des Glaubens, würde ich behaupten. Was nicht alle, aber sehr viele Menschen betrifft. Und meine Erfahrung ist grundsätzlich über Psychotherapie, was ich nicht in meinem Inneren für möglich halte und vielleicht auch thematisiere, wird nicht angesprochen, weil das Gegenüber spürt, dafür hat er gar keinen Raum. Das ist etwas, was, was ich nicht mit meiner Therapeutin, meinem Therapeuten besprechen kann. Das halte ich für einen großes Versäumnis, weil ich glaube, dass diese Dimension zu uns Menschen dazugehört und dass wir zumindest darauf eine Antwort geben müssen, um in diesem Leben eine bessere Orientierung zu haben. Und Psychotherapie ist ein wunderbarer Ort dafür.

Das hat einen Ort in der Kirche könnte man ja auch sagen …

Firus: Ja könnte man sagen. Es gibt schon lange, letztlich seit Freud beginnend, die Überlegung, dass eigentlich die Psychotherapie die moderne Form der Beichte geworden ist. Also, dass das auch die ganze Psychotherapie-Branche und alles, was damit zusammenhängt, die ganze Achtsamkeitswelle, die seit 30 Jahren die westliche Welt überspült, Formen säkularer Religiosität sind. Da finden solche Phänomene statt, weil Menschen sie aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in der Kirche finden oder glauben zu finden. Und da hat Psychotherapie und die ganze psychotherapeutische Branche sicherlich was besetzt oder eingenommen, was zu einer Leerstelle geworden ist.

Würden Sie denn sagen, dass das Thema Glauben hilfreich sein kann in Bezug auf psychische Gesundheit?

Firus: Ja, das ist nicht nur ein Glaube von mir, sondern da gibt es Forschung dazu, dass das tatsächlich so ist. Also wobei zentral zu unterscheiden ist, um was für ein Gottesbild geht es. Also, wenn Menschen eine strafendes Gottesbild internalisiert haben, dann schadet das der psychischen Gesundheit. Und wenn es umgekehrt ist, dass sie einen liebevollen, zugewandten Gott in ihrer religiösen Vorstellung kennen, dann unterstützt das letztlich Heilungsprozesse - und auch die Bewältigung von psychischen Erkrankungen. Dafür gibt es handfeste Daten.

Wie gestalten sie selbst ihren Glauben?

Firus: Ich singe sehr gerne, einerseits im Kirchenchor, andererseits singe ich für mich zur Gitarre. Und dann ist es so, dass ich ein festes Dankbarkeitsritual am Ende des Tages praktiziere, dass ich mich bei Gott - so nenne ich es - für verschiedenste Dinge bedanke, die am Tag gut waren. Und mit dieser Grundhaltung gehe ich ins Bett. Das sind für mich feste Bestandteile, die ich lebe.

Sie sagen immer wieder Gott, so nenne ich es. Warum machen Sie das? Wollten Sie damit sozusagen den Rahmen weiten?

Firus: Ja, genau. Also, es gibt ja aus der feministischen Theologie diejenigen, die Göttin sagen. Das ist in Ordnung, aber nicht meine Sprache. Es kann auch sein, dass jemand das große Ganze sagt. Was weiß ich, wie auch immer verschiedene Menschen das nennen wollen. Das ist für mich zweitrangig. Für mich ist es, weil ich aus dieser Tradition komme, der Begriff, der auch positiv belegt ist. Also, mit dem ich einfach auch warme Gefühle verbinde und nichts Angstmachendes. Von daher nenne ich das so.

Was ist Ihre Hoffnung, wenn sie jetzt in die Welt gucken?

Firus: Ums einfach und knapp auf einen Nenner zu bringen: dass die Liebe siegt. Das würde ich tatsächlich als zentralen Gedanken ansehen und das meine ich jetzt nicht nur im Sinne von erotisch, sondern im Sinne von freundlicher Verbundenheit miteinander. Das Gemeinsame mehr zu sehen, das uns trotz aller Unterschiede vereint, wo wir gemeinsam die Zukunft unseres Planeten und unseres Miteinanders gestalten können. Und das kann nur aus dem Geist von Freundlichkeit und kooperativen Miteinander passieren. Und das würde ich letztlich als Liebe bezeichnen.

Was für eine Aufgabe sehen Sie da bei der Kirche?

Firus: Mit der Kirche habe ich eine selbst eine wechselhafte Geschichte. Also ich bin in der Freikirche sozialisiert worden und bin dann in die Landeskirche gewechselt, bin dann aus der Landeskirche aus- und wieder eingetreten vor einigen Jahren, weil ich da selbst so eine bestimmte Entwicklung durchgemacht habe. Vor allen Dingen, weil ich mit diesem Gedanken eines strafenden Gottes, der uns zu Sündern erklärt, nichts anzufangen wusste. Und ich glaube, die Aufgabe der Kirche ist, Formen zu finden, die die Menschen wieder abholen. Da gibt es zum Beispiel in Freiburg, wo ich wohne, in einem Stadtteil, der ist neu gebaut worden ist, ein ökumenisches Kirchenzentrum, das auch gerade durch Corona sehr belebt worden ist. Es gibt vielmehr ökumenische Veranstaltungen, die - wie ich finde - der Gesamtkirche guttun.

Aber das braucht noch viel mehr darüber hinaus. Ich glaube, es braucht etwas ähnliches wie Kirchentage. Da bin ich immer wieder erstaunt, wie viele Leute da begeistert dran teilnehmen. Und, wo ich mich dann frage, inklusive meiner selbst, wo findet das im Alltag statt? Wie holt man "Leute von der Straße" zu interessanten Themen ab? Und das müssen eben Themen, sein, die auch wir jetzt besprechen. Also, Themen wie die psychische Gesundheit müssen in der Kirche vorkommen, und auch durchaus kontrovers diskutiert werden. Aber so was braucht es, damit es attraktiv wird und Menschen sich aufgehoben und angesprochen fühlen von Kirche - und ihren Inhalten.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Gott und die Welt - der Podcast | 17.06.2023 | 07:45 Uhr

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