Stand: 19.03.2008 23:00 Uhr

Großes Tabu - Journalisten als billige Leiharbeiter in Redaktionen

25 Cent pro Zeile - Lohndumping bei vielen Tageszeitungen. Inzwischen werden flächendeckend in Deutschland Journalisten als Leiharbeiter beschäftigt. Reporter auf Zeit - deutlich unter Tarif bezahlt, ohne Chance, Kontakte in der Region zu verfestigen, mit der Angst, durch unliebsame Berichte anzuecken und den Job zu verlieren. Die Folge: Qualitätsverlust. Die Verleger, die gern die Bedeutung ihrer Tageszeitungen für die Demokratie beschwören, lagern gleichzeitig auch ganze Redaktionen aus. Zapp über Leiharbeit und Outsourcing - legale Tricks der Verleger, um möglichst hohe Renditen einzufahren.

Anmoderation :

Wenn Sie die Zeitungen in den letzten Monaten verfolgt haben, sind Sie sicher immer wieder auf das Thema Dumpinglöhne und entrechtete Arbeitnehmer gestoßen. Unzählige Berichte über ausgebeutete Friseurinnen, unterbezahlte Briefträger oder Reinigungskräfte ohne Urlaubsanspruch. Darüber schreiben Journalisten zur Zeit viel und gerne. Was Sie aber sicher so gut wie nie lesen, ist, dass zu diesen Ausgebeuteten inzwischen auch viele Journalisten selbst gehören. Das ist Tabu, darüber schreibt man nicht, darüber spricht man nicht. Gita Datta hatte große Schwierigkeiten Journalisten zu finden, die zugeben, unter welch schlechten Bedingungen sie heute oft arbeiten müssen.

Text:

Es sind nur zwei von Tausenden, die ihre Türen für uns öffnen. Nur zwei, die darüber reden, wie Verleger auf ihre Kosten Profit machen. Reporterin: "Warum wollen Sie anonym bleiben?" Julia K. (Name geändert): "Wenn man, da mit Namen auftaucht und zuzuordnen ist, dann befürchte ich, dass zukünftige Arbeitgeber da einfach zurückschrecken würden mich einzustellen. So nach dem Motto, die Frau hat Ärger gemacht und muckt auf. Die brauchen wir nicht unbedingt in unserem Betrieb." Thomas P. (Name geändert): "Man hat ja auch immer das Gefühl es gibt so viele Bewerber auf diesem Markt, dass man einfach da seine Chancen nicht verringern will."

Leiharbeit und Outsourcing in ganz Deutschland

Immer mehr Verleger greifen zu Tricks, um Redakteure schlechter zu bezahlen. Horst Röper, Medienwissenschaftler: "Outsourcing-Maßnahmen von Zeitungsverlagen und auch Leiharbeit, findet sich heute fast überall in der Bundesrepublik. In jedem Flecken, immer wieder, stoßen wir auf das gleiche Phänomen."

"Münstersche Zeitung"

"Münstersche Zeitung", Januar 2007: Eine komplette Redaktion wird dicht gemacht, durch schlechter bezahlte Journalisten ersetzt. Die alten Redakteure protestieren gegen ihren Zwangsurlaub. Von heute auf morgen wurden sie auf die Straße gesetzt. Thomas Austermann (2007): "Das war so, ja, als hätte dir jetzt plötzlich einer mal eben gesagt, ab morgen war’s das dann. Wir brauchen sie nicht mehr, nach 24 Jahren." Verleger Lambert Lensing-Wolff hatte heimlich eine neue Gesellschaft gegründet. Die "Media Service GmbH". Lohndumping: Für die neuen Redakteure gilt kein Tarifvertrag mehr.

"Ruhr Nachrichten"

Ausgliederung als Spartrick. Auch die Redaktion der "Ruhr Nachrichten" hat Lensing-Wolff in den vergangenen Jahren outgesourct. Geld gemacht durch schlechtere Bezahlung der neuen Redakteure. Julia K.: "Es sind häufig sehr junge Kollegen, die da ne komplette Redaktion übernehmen und das bedeutet für die journalistische Qualität, glaube ich schon, dass da natürlich auch Erfahrung fehlt, und dass da vielleicht auch ein bisschen das Rückgrad fehlt und der Mumm, zu sagen, das lass ich nicht mit mir machen. Wenn man selber immer ein bisschen gedeckelt ist oder Angst hat um seinen Job, dann kann man nicht immer mutig an die Themen ran gehen, die das verdient hätten, dass man mutig mit ihnen umgeht." Horst Röper: "Vor wenigen Jahren kannte es kaum ein Verleger. Die ersten, die solche Maßnahmen ergriffen haben, wurden sogar von ihren Kollegen belächelt. Inzwischen aber haben viele Verlage diese Maßnahmen adaptiert, nutzen sie für die eigenen Häuser in stetig wachsender Zahl." Meist geschieht das still und heimlich.

"Nordkurier"

Allein seit 2006 haben Verleger von 16 Tageszeitungen in ganz Deutschland Teile ihrer Redaktionen ausgegliedert. Die Nummer 17 steht schon fest:

Der "Nordkurier" in Mecklenburg-Vorpommern. Auch hier weht seit Monaten ein eisiger Wind. Die Redakteure haben Angst um ihren Arbeitsplatz, denn auch hier sollen Lokalredaktionen ausgegliedert werden. Deshalb im Oktober letzten Jahres ein erster Warnstreik. Die Geschäftsführung will angeblich erreichen, dass effizienter gearbeitet wird. Die Journalisten befürchten, dass das auf ihre Kosten geht. Kerstin Pöller, Redakteurin "Nordkurier": "Konkret in der Lokalredaktion ist die Arbeitsbelastung unheimlich hoch. Wir haben Arbeitszeiten von zehn, zwölf Stunden in der Lokalredaktion Anklam. Und ich kann mir gar nicht vorstellen, was da noch dazu kommen soll. Wann man die Zeit noch haben soll." Krisensitzung der Belegschaft. Die alten Arbeitsverträge laufen zunächst ein Jahr weiter. Doch was kommt dann? Die Gewerkschaften befürchten, dass sich viele aus Sorge um den Arbeitsplatz mit weniger zufrieden geben. Den Gesamtbetriebsrat, der für sie kämpfen könnte, schafft die Verlagsspitze durch die Ausgliederungen ab. Sibylle Ekat, DJV Mecklenburg-Vorpommern: "Die schlechteste aller Lösungen ohne Tarif, was wir nicht hoffen wollen, wäre, dass jeder für sich alleine stirbt." Von der Verlagsleitung kommt das immergleiche Argument: Man müsse Kosten sparen, um Anzeigenverluste in der wirtschaftsschwachen Region auszugleichen. Fritz Krüger, Betriebsrat "Nordkurier": "Wie schlecht es dem Nordkurier wirklich geht, das würden wir auch gerne wissen. Weil danach würden sich auch unsere Entscheidungen richten. Wir haben bloß keinen Bock darauf, einfach auf die Tränen der Geschäftsführung zu gucken, sondern wir möchten da schon konkrete Fakten wissen." Zahlen und Fakten haben die Betriebsräte jedoch, trotz mehrfacher Versprechungen der Geschäftsführung, bis heute nicht zu sehen bekommen.

"Weser Kurier" Bremen

Sparen im großen Stil auch beim "Weser Kurier" in Bremen. Horst Röper: "Das Unternehmen ist einziger Zeitungsverlag in Bremen. In einer Großstadt wie Bremen und auch im Umland annähernd konkurrenzlos. Schon allein das gibt dem Unternehmen natürlich die Möglichkeit, hohe Renditen zu erwirtschaften." Geschäftsführer Ulrich Hackmack. Er hatte im Dezember letzten Jahres beschlossen, die Anzeigenabteilung des "Weser Kuriers" auszugliedern. Die Belegschaft protestierte dagegen. Mehr als 100 Mitarbeiter lehnten Hackmacks Weihnachtsgeschenk ab. Verschenkten sie an die Bremer Tafel. Der Betriebsrat schaltete sogar eine Anzeige in der "taz". Appellierte an Hackmack "sich eines Besseren zu besinnen." Doch der Protest blieb zwecklos. Horst Röper: "Dass ein Monopolverlag nun zu solchen Maßnahmen greift, ist sicherlich über die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit nicht gegeben, sondern hier geht es allein wieder um das Renditedenken, das dazu führt, eben nun den Katalog der Maßnahmen weitgehend zu nutzen."

"Presse-Dienst-Nord"

Und zum Katalog der Sparmaßnahmen gehörte für den Verleger auch der "Presse-Dienst-Nord". Eine Agentur, die die Hackmack Meyer KG gründete, um die Lokalseiten des "Weser Kurier" zu bestücken; in Delmenhorst, Brinkum und Syke. Neue, billigere Journalisten in den alten Redaktionsräumen. Thies Fischer, Betriebsrat "Bremer Tageszeitungen AG": "Der will Kosten sparen. Der will aus den Tarifen raus, die sind im zu teuer. Das sagt er auch immer wieder, es ist kein Geheimnis, da gehen wir davon aus als Belegschaft, dass auch die weiteren regionalen Zeitungshäuser sukzessive an PDN vergeben werden." Kurzzeit-Redakteure mit befristeten Arbeitsverträgen, aus verschiedensten Ecken der Republik, sollten ab sofort die Lokalzeitung machen. Thies Fischer: "Man muss Land und Leute kennen einfach. Und wenn man immer nur wieder befristet beschäftigt ist, immer damit rechnen muss, man könnte auch mittelfristig immer mal wieder versetzt werden, woanders arbeiten, darunter wird langfristig, mittelfristig mindestens, die Qualität der Berichterstattung wird leiden."

"Nordwest-Zeitung" Oldenburg

Eine Erfahrung auch bei der "Nordwest-Zeitung" in Oldenburg. Leiharbeit in der Redaktion. Das Sparmodell von Verleger Reinhard Köser, das seine Nachfolger übernommen haben. Der Trick: Zusammen mit anderen Verlegern gründete er eine Leiharbeitsfirma. Um über eben diese Firma dann an sich selbst zu verleihen - billigere Redakteure. Ulrich Janßen, Betriebsrat "Nordwest-Zeitung": "Leiharbeit dient ja eigentlich dazu in einem Betrieb vorübergehende Spitzen zu bewältigen. Und problematisch in unserem Fall ist, jedenfalls ist das unsere Auffassung, dass es sich eigentlich gar nicht um Leiharbeit im eigentlichen Sinne handelt, sondern es handelt sich um Beschäftigung, dauerhafte Beschäftigung auf Stammarbeitsplätzen." Die Möglichkeit dazu hatte die Regierung Schröder geschaffen. Sie hatte Leiharbeit zeitlich entfristet - mit Konsequenzen. Allein bei der NWZ ist mittlerweile jeder zehnte Mitarbeiter dauerhaft "ausgeliehen". Horst Röper: "Beim Verlag dieser großen Zeitung, handelt es sich um ein kerngesundes Unternehmen, das seit vielen Jahren so kräftig mit der Zeitung Geld verdient hat, dass es in alle anderen möglichen Branchen investieren konnte. Das zum einen. Dass nun, ausgerechnet bei diesem Unternehmen, das eben satt verdient und das seit Jahrzehnten Leiharbeit angesagt ist, beruht also nicht auf einer betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit, sondern zeigt allein, dass hier das Unternehmen aus Gier heraus noch mehr Rendite erzielen will."

Lohndumping trifft vor allem junge Redakteure

Den Preis für die Maximierung des Profits müssen die meist jungen Journalisten bezahlen. Das Einstiegsgehalt bei der Leiharbeitsfirma NWP liegt mit 2500 Euro Brutto deutlich unter Tarif. Eine Steigerung um 300 Euro ist nur einmalig, nach sechs Jahren vorgesehen. Danach wird die Schere zum Tarifgehalt immer größer. Julia K.: "Es fühlt sich halt so an wie, na ja, Redakteure erster und zweiter Klasse. Es gibt die älteren Kollegen, die das Glück hatten früh genug angefangen zu haben, dass sie noch in die Verträge reingekommen sind und eben dann auch so was wie einen Betriebsrat haben, einfach bessere Arbeitsbedingungen. Und es gibt die, die das Pech haben, dass sie zu spät eingestiegen sind." Thomas P.: "Es ist einfach so, dass man schlechter gestellt ist. Das heißt weniger Geld, weniger Sozialleistungen, sprich weniger Urlaub, kein dreizehntes Monatsgehalt. Ja, und das für die gleiche Leistung."

"Oldenburgische Volkszeitung"

Leiharbeiter in Redaktionen - es werden immer mehr. Allein seit 2006 haben 15 Zeitungsverlage Journalisten als Leiharbeiter eingestellt. Horst Röper: "Heute ist diese Sicht eben unter den Verlegern so verbreitet, dass sie auch durchaus bereit sind, eben Verleger, die solche Maßnahmen nutzen, eben als ihre Repräsentanten zu sehen." So wie bei der "Oldenburgische Volkszeitung" in Vechta. Der Verleger, der Leiharbeiter beschäftigt, ist gleichzeitig Vorsitzender im "Verband Nordwestdeutscher Zeitungsverleger". Ein Interview, wie gut Ehrenamt und Leiharbeit zusammenpassen, will Jörg- Peter Knochen uns nicht geben. Er teilt ZAPP mit, " ... dass ich es für unangemessen halte, das ehrenamtliche Engagement als Landesverbandsvorsitzender mit tarifpolitischen Themen zu verquicken." Moralische Skrupel: Fehlanzeige. Dabei ist fast jeder fünfte Redakteur bei der "Oldenburgischen Volkszeitung" Leiharbeiter - sogar der Redaktionsleiter. Horst Röper: "Dass heute eben selbst Redaktionsleiter als Leiharbeiter beschäftigt werden, ist natürlich ein Treppenwitz, denn ausgerechnet bei denen kann so natürlich eine Identifikation mit dem Objekt nie entstehen." Wie viele Verleger beruft sich auch Jörg-Peter Knochen auf die Gesetzeslage: "Für mich ist es unverständlich, eine Maßnahme zu kritisieren, die vom Gesetzgeber ausdrücklich zugelassen wurde." Horst Röper: "Aus meiner Sicht ist das Gier, das heißt der Versuch trotz geänderter Rahmenbedingungen wieder zurückzukehren zu wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir nicht mehr haben, die eigentlich eben Renditen, Umsatzrenditen von 20 Prozent und mehr, nicht mehr zulassen, was auch absolut nicht nötig ist. Kein Unternehmen braucht eine solche Rendite. Aber man strebt sie halt wieder an."

Hohe Renditen statt Qualitätsjournalismus

Sie zahlen den Preis dafür. Stellen für Journalisten sind rar und faire Angebote gibt es immer seltener. Thomas P.: "Man verfolgt natürlich den Stellenmarkt, weil man immer die Hoffnung hat oder überall mal schaut, ob man nicht doch in eine Festanstellung wechseln kann, in eine tariflich bezahlte Stelle." Julia K.: "Ich bin nicht bereit noch mal für diese Bedingungen zu arbeiten, also das ist auch nicht gut fürs Selbstbewusstsein, sich unter Wert zu verkaufen. Und im Zweifelsfall, wenn ich da nicht die Bedingungen vorfinde, zu denen ich bereit bin zu arbeiten, dann werde ich eben auch darüber nachdenken vielleicht den Beruf zu wechseln. Also, das ist schon ne konkrete Option, einfach auch...ja, um irgendwann mal ne Sicherheit zu haben, da sein Leben so führen zu können wie man’s möchte." Dumpinglöhne für outgesourcte Journalisten und geliehene Redakteure.

Und Verleger, die riskieren, ihre Zeitungen kaputt zu sparen. Horst Röper: "Ich fürchte, nur noch der Leser hat die Chance diese Entwicklung zu stoppen. Journalisten sind viel zu schwach, sie können das auch über ihre Gewerkschaften nicht durchsetzen." Reporterin: "Was würden Sie sich von den Lesern wünschen?" Julia K.: "Dass sie sich nicht nur ärgern morgens am Frühstückstisch, darüber dass wieder nur Quatsch da drin steht, dass da Themen unter den Tisch fallen oder man sich nicht traut auf bestimmte Themen zu kommen, sondern dass die Leser auch mal Briefe schreiben. Vielleicht an die Verleger und sagen: Wir akzeptieren das nicht, so ne Zeitung wollen wir nicht, und wir wollen guten Journalismus. Und dafür bezahl ich das Abo und nicht dafür, dass ihr da möglichst billig 'ne Zeitung produziert und möglichst hohe Renditen rausholt."

Abmoderation:

Kein einziger Verleger, den wir angefragt hatten, wollte uns vor der Kamera dazu ein Interview geben. Tja, ein Tabuthema eben.

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ZAPP | 19.03.2008 | 23:00 Uhr

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