Stand: 09.04.2008 23:00 Uhr

Dreist - Stasi-Täter verhindern Aufklärung

Regale mit Akten des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit © Gero Breloer Foto: Gero Breloer
Regale mit Akten des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit

Der Streit um die abgebrochene Stasi-Ausstellung in Reichenbach zeigt: Vor Gericht verliert die Meinungsfreiheit meist gegen den Persönlichkeitsschutz. Das Landgericht Zwickau hatte den Ausstellungsmachern per einstweiliger Verfügung untersagt, den Klarnamen eines Stasi-Spitzels zu nennen - und das, obwohl das Stasi-Unterlagen-Gesetz die Nennung der Täter ausdrücklich erlaubt. Ein kleines Gerichtsurteil, aber mit bundesweiter Signalwirkung. Denn die Sache hat System: Immer öfter versuchen ehemalige Stasi-Mitarbeiter, die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auch in den Medien auf dem Rechtswege zu behindern. Zapp über dreiste Täter, die ihre Opfer ein weiteres Mal einschüchtern.

Anmoderation:

Ein Pfarrer enttarnt einen Stasi-Spitzel. Der ehemalige "IM" zieht vor Gericht - Folge: Vorerst darf sein Name nicht genannt werden. Ein endgültiges Urteil steht noch aus, aber schon jetzt ist klar: Der Rechtsstreit um eine Ausstellung in Reichenbach ist exemplarisch. Ein weiteres Beispiel dafür, wie notwendige Aufklärung wieder einmal über das Persönlichkeitsrecht verhindert werden soll. Anne Ruprecht über Täter, die anonym bleiben wollen, und Gerichte, die ihnen dabei helfen sollen.

Beitragstext:

Einpacken - für Pastor Edmund Käbisch ist es das vorläufige Ende bei der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit im sächsischen Reichenbach. Ein Stasi-IM hatte eine einstweilige Verfügung erwirkt, sein Klarname müsse geheim bleiben. Was der Pfarrer mit seinen Schülern vorbereitet hatte, muss ins Magazin. Die Besucher stehen vor verschlossenen Türen. Ihre Meinung: "Eine Katastrophe so etwas, das ist ein Schlag gegen die Demokratie." "Kein Arsch in der Hose! Die sollen mal sagen: Okay, damals war ich überzeugt, heute bin ich es vielleicht auch noch, dass ich es richtig gemacht hab. Oder sollen sagen: Heute weiß ich, war großer Mist, entschuldigt bitte!" "Es geht nicht ohne Nennung von Ross und Reiter. Wir dürfen einfach nicht verschweigen, wer wirklich dabei war."

Doch genau das könnte für die Ausstellungsmacher teuer werden, entschied das Landgericht Zwickau. Edmund Käbisch, Pfarrer: "Da ist angedroht, bei Verletzung dieser Auflagen, dass eine Geldstrafe bis 250.000 Euro fällig sein könnte."



Besonders perfider Stasi-Spitzel

Die Stasi-Akte zeigt: Der Kläger "IM Schubert" war ein besonders perfider Spitzel. Er ließ sich extra taufen, nur um Kirchenkreise auszuspähen. Denunzierte über Jahre Bekannte und Freunde. Kassierte dafür Geld, Hochprozentiges, eine begehrte Reise nach Moskau. Sein "Verdienst": Er lieferte Bekannte der Stasi aus - "...Festnahme von 4 Personen". Hinter "IM Schubert" versteckt sich Holm S. - bis heute. Denn seinen vollen Namen zu nennen davor schrecken jetzt auch viele Journalisten zurück. Auch Armin Görtz von der "Leipziger Volkszeitung" hat den Klarnamen in seinen Berichten weggelassen. Nach der einstweiligen Verfügung fürchtet er - Armin Görtz, "Leipziger Volkszeitung": "Dass es sehr, sehr schwierig wird überhaupt in der Öffentlichkeit noch Namen von IM zu nennen, also auch für Journalisten, auch in Zeitungsbeiträgen, und damit droht der Stasi-Berichterstattung eine verheerende Anonymisierung." Jörg Biallas, Chefredakteur "Mitteldeutsche Zeitung": "Ich kann das nur als Journalist beurteilen. Ich sehe eine Tendenz, dass einer Vernebelung der Geschichte, dadurch Vorschub geleistet wird. Und das ist ein problematischer Vorgang."

Stasi-Veteranen nutzen Persönlichkeitsrecht

Das Landgericht Zwickau sieht es anders. Die Enttarnung des IM, so die einstweilige Verfügung, sei geeignet: ".... Ansehen und Wertschätzung des Antragstellers in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen." Genauso hatte der Anwalt des früheren Stasi-Spitzels argumentiert. Er warnt vor Pressehetze und Pogromstimmung. Thomas Höllrich, Anwalt "IM Schubert": "Geschichtsaufarbeitung muss innerhalb der Grenzen des Rechtsstaates erfolgen. Sonst braucht es den Rechtsstaat nicht, sonst können wir letztendlich sagen, wir machen wie wir wollen. Und irgendwann werden dann Horden von Menschen, die einen roten Stern mit dem Aufdruck IM haben, durch Reichenbach getrieben, weil das Geschichtsabarbeitung ist." Kein Einzelfall: Auch die ehemaligen Stasi-Offiziere, in der Kartei einer Gedenkstätte in Halle, fühlen sich an den Pranger gestellt. Was sie einst hier, im Verhörtrakt des Gefängnisses "Roter Ochse", mit ihren Opfern gemacht haben, das soll nicht mehr auf sie zurückfallen. Sie haben sie sich an den Datenschutzbeauftragten gewandt und machen Persönlichkeitsrechte geltend. Armin Görtz: "Die konkreten Fälle könnte man eigentlich als Bagatellen abbuchen. Viel schlimmer ist, dass sie Symptome sind für eine Entwicklung, in der Stasi-Täter immer stärker den Rechtsstaat nutzen, um für sich selbst einen Schutz in Anspruch zu nehmen, und damit die Stasi-Auseinandersetzung, die Stasi-Aufarbeitung, insgesamt in Frage zu stellen."



Stasi-Unterlagengesetz unterscheidet zwischen Täter und Opfer

"Stasi raus! Stasi raus!" - "Nieder mit der Stasi-Mafia", als DDR-Bürger 1990 die Stasi-Zentrale gestürmt haben, verhinderten sie die Vernichtung der Akten. Die Täter sollten ans Licht. Das wollte auch das Stasi-Unterlagengesetz. Um Unrecht aufzuarbeiten, sollten Opfer geschützt und Täter benannt werden können. Und genau das wollen seit 20 Jahren Täter verhindern. Hubertus Knabe, Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen: "Ja, diese Leute wollen natürlich nicht an ihre Vergangenheit erinnert werden. Und wenn die Gerichte ihnen hierbei helfen, dann machen sie aus Persönlichkeitsschutz Täterschutz. Und das ist nicht in Ordnung." Auch Gregor Gysi sucht den Schutz der Gerichte. Mit eisernem Besen geht der Abgeordnete der Linken gegen Medien vor, wenn es um mögliche Stasi-Altlasten geht. Zwar ist der Immunitätsausschuss des Bundestages in einem Bericht zu dem Schluss gekommen, bei Gregor Gysi sei eine inoffizielle Tätigkeit für die Stasi erwiesen, zwar steht der entsprechende Bericht nach wie vor im Netz, doch Journalisten dürfen das nicht als Tatsache hinstellen, sondern nur als Meinung zitieren.

Führungsoffiziere erklären Stasi-Akten zur Fälschung

Roland Jahn, ARD-Magazin "Kontraste": "Im Fall Gysi ist das Problem, dass das, was an Akten existiert, durch die Stasi-Offiziere in Frage gestellt wird. Da kommt ein Stasi-Offizier, stellt sich vor Gericht hin und sagt: All das, was da in den Akten steht, stimmt nicht. Das habe ich erfunden. Und schon sind die Richter in einer schweren Situation. Sie müssen die Zeugenaussage bewerten und müssen die Akten bewerten, und sie schenken dem Zeugen mehr Glauben als den Akten." Eine absurde Situation beim Umgang mit Quellen und Belegen. Die Offiziere, die die Akten damals eifrig angelegt haben, gewinnen zunehmend die Deutungshoheit vor Gericht. Doch die jüngsten Vorstöße in Reichenbach und Halle gehen weiter. Roland Jahn: "Die neue Qualität ist, dass nicht mehr gestritten wird, ob jemand Stasi-Spitzel war oder nicht. Es wird jetzt schon gesagt: Na und! Er war Stasi-Spitzel, aber er will, dass es nicht mehr veröffentlicht wird." Immer selbstbewusster treten Stasi-Veteranen auf.

Geschichte wird umgedeutet

Wie hier in Berlin vor zwei Jahren. Verklären ihre Vergangenheit, leugnen Unrecht. Ehemaliger Stasi-Offizier: "Dass es keine Misshandlungen oder sonstige terroristische Handlungen, wie sie heute noch uns angedichtet werden, dass die stattgefunden haben." Sie wollen ihre Vergangenheit tilgen und nutzen dabei das Persönlichkeitsrecht. Eine unzulässige Auslegung, meinen Medienrechtler. Johannes Weberling, Universität Viadrina Frankfurt (Oder): "Ansehen einer Person heißt, dass man die schwarzen, die weißen, die grauen Seiten eines jeden Menschen kennen muss, dann kann man ein sachgerechtes Bild über diese Person haben. Ein Mensch hat aber kein Recht darauf, dass nur seine weißen Seiten gezeigt werden, sondern ein Mensch kann lediglich so gesehen werden, wie er ist." Wie sie wirklich gewesen sind?! Darüber möchten auch Journalisten der "Mitteldeutschen Zeitung" weiter berichten.

Journalisten wollen Täter benennen

Das wird immer schwerer, wenn die Stasi den Schutz der Justiz nicht nur sucht, sondern auch findet. Jörg Biallas: "Ich finde es hochgradig problematisch, wenn gerade die nachwachsende Generation da nicht im Bilde ist, wenn die nachwachsende Generation eben nicht weiß, was Stasi war, was SED war, was ein IM war. Und so lange das so ist, finde ich, müssen wir als Medien uns an die Spitze der Bewegung stellen und tatsächlich, fair und sachlich, aber eben auch unter Nennung der Wahrheiten, die Berichterstattung weiter vorantreiben." Auch in Sachen Stasi, sollten Journalisten weiterhin das tun können, was ihre Aufgabe ist: Unrecht aufdecken, Verantwortliche benennen, auch im Fall "Holm S.", ein Stasi-Täter, den auch wir nicht enttarnen durften. Roland Jahn: "Der Bürger muss geschützt werden gegen staatliches Handeln, der Bürger muss geschützt werden vor Missbrauch von staatlichem Handeln - und das hat in der DDR stattgefunden. Und wenn die Namen derer, die im Namen des Staates gehandelt haben gegen den Bürger, geheim bleiben, dann setzt sich sozusagen das Opferdasein fort."

Abmoderation:

Gestern hat das Gericht übrigens signalisiert, dass es seine bisherige Entscheidung zur Ausstellung in Reichenbach, noch einmal überdenken wird. In zwei Wochen wissen wir mehr.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 09.04.2008 | 23:00 Uhr

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