Stand: 08.06.2008 23:30 Uhr

Klare Feindbilder - Wie sich Konzerne gegen Recherche wehren

Sie fürchten Indiskretionen. Sie suchen fieberhaft nach Informationslecks. Sie heuern halbseidene Daten-Dienstleister an. Sie verweigern Interviews. Sie bunkern sich ein bei Pannen, wittern Medienkampagnen. Ob Telekom, Siemens, Lidl oder die Bahn - viele Firmen sehen sich offenbar im Krieg mit Journalisten. Im Kampf ums Image scheint ihnen jedes Mittel Recht, manchmal auch geheimdienstliche Methoden. PR-Berater sprechen von fehlendem Unrechtsbewusstsein, sehen die Unternehmenskultur häufig geprägt von Panik und Paranoia. Zapp über die klaren Feindbilder von Konzernen, die sich gegen Recherche wehren.

Anmoderation:

Telekom-Gate - tatsächlich nur ein Einzelfall? Wie gehen andere Dax-Konzerne mit unliebsamen Journalisten um? Wir haben alle 30 Anfang der Woche angeschrieben. 22 Unternehmen haben tatsächlich geantwortet und beteuert: Sie lehnen solche oder ähnliche Methoden gegen Journalisten ab! Von den anderen acht Dax-Konzernen: Bislang keine Reaktion. Die genaue Auflistung und alle Antworten finden Sie übrigens auf unserer Internetseite unter www.ndr.de/zapp. Die Telekom steht zu Recht am Pranger, doch sie steht dort nicht allein. Unternehmen machen kritischen Medien das Leben immer und überall schwer. Mike Kortsch über die Abwehrschlacht der Konzerne und ihr Feindbild vom Journalisten.

Beitragstext:

Es ist mal wieder so weit. Journalisten auf der Jagd nach neuen Informationen - der Stoff für die tägliche Nachrichtenflut. Kaum gesammelt, schon gesendet. Nur wenige können dranbleiben, wollen mehr wissen als das, was da so täglich verkündet wird. Markus Grill ist einer von ihnen. Seit Jahren recherchiert er über die Machenschaften im Gesundheitswesen. So enthüllte der "Stern"- Reporter, wie die Pharmaindustrie die Öffentlichkeit manipuliert. Oder wie sie teure Medikamente auf den Markt drückt. Ein Job mit Nebenwirkungen. Markus Grill, "Stern"-Reporter: "Bei Ratiopharm habe ich ja aufgedeckt zum Beispiel, dass sie systematisch Ärzte ködern mit Geld und mit Geschenken. Und Ratiopharm hat bis zu diesem Zeitpunkt immer, ich glaub, fast jede Woche im "Stern" inseriert. Und seitdem, also seit über zwei Jahren, kein einziges Inserat mehr im "Stern" geschalten. Also, das sind richtig massive Verluste für den "Stern".

Angstklima erzeugen

Eine gelungene Recherche, teuer bezahlt. Markus Grill macht dennoch weiter, weil sein Verlag sich nicht einschüchtern lässt. Von großen Firmen, die kritische Berichte verhindern möchten. Markus Grill: "Es geht ja jetzt nicht so sehr, den einzelnen Artikel zu bestrafen, sondern es geht drum, ein gewisses vielleicht, wie soll ich sagen, ein Angstklima oder so was zu erzeugen, dass dann künftige kritische Berichterstattung eher verhindert oder erschwert." Ein weiteres Mittel: Die Diffamierung. Auch mit falschen Behauptungen bei Wikipedia. Dort stand: Markus Grill hätte sich bei der Pressestelle des Pharmariesen Ratiopharm beworden. Eine dreiste Lüge. Markus Grill: "Wenn man als Journalist investigativ arbeitet, dann muss man es aushalten, nicht gemocht zu werden. Wenn das Hauptbestreben ist, dass einen die anderen mögen oder so was, dann ist vielleicht auch der ganze Beruf des Journalisten nicht der richtige. Also, man darf nicht Everybody’s Darling sein wollen in diesem Job."

Artikel löst Anzeigenstorno aus

Im Job des Journalisten. Für manche Konzerne sind sie bisweilen das ideale Feindbild schlechthin. Nicht nur bei der Deutschen Bahn. Deren Chef Hartmut Mehdorn, der ist ehrgeizig, bisweilen auch ruppig. Seine Bahn soll an die Börse. Kritische Berichte sind dabei eher hinderlich. Heute wie damals. Das weiß nicht nur das Wirtschaftsmagazin "Capital". Das Blatt hatte schon vor Jahren über "Mehdorns Malaise" bei den Bahnfinanzen berichtet. Jobst-Hinrich Wiskow (2005), Redakteur "Capital": "Vier Tage, nachdem der Artikel veröffentlicht wurde, hat die Mediachefin der Bahn in unserer Anzeigenabteilung angerufen und die Anzeigenstornierung bekannt gegeben. Es ist auch ein Zusammenhang hergestellt worden zu dem Artikel. Wir haben auch gehört, dass Konzernchef Mehdorn persönlich dahinterstehen könnte, das können wir zumindest jetzt nicht ausschließen." Bis heute keine Bahn-Anzeigen mehr für "Capital".

Kremlsyndrom deutscher Unternehmen

Die einen bekommen keine Anzeigen mehr, gegen andere werden Drehverbote verhängt. Deshalb drehen Fernsehsender Missstände im Zug oft nur noch mit versteckter Kamera. Über die Unpünktlichkeit der Bahn reden alle - über ihre fehlende Transparenz und Offenheit nur wenige. Klaus Kocks, Unternehmensberater: "Der Versuch, alle Geheimnisse nicht nach außen kommen zu lassen, dies gelingt nicht dem CIA. Es geht immer daneben. Sie können ein Haus nicht abschotten. Also, ich nenne das Kremlsyndrom. Das Kremlsyndrom funktioniert nicht mehr, aber die Unternehmen versuchen es und landen fast alle, jedenfalls bei denen, die wir dann erleben, in einem erneuten Desaster."

Druckmittel gegen Verlage

Abschottung nach außen auch bei Aldi. Kaum ein Foto von den Eigentümern, nur wenige Informationen über das Geschäft. Der größte Discounter Deutschlands hat noch nicht mal eine Pressestelle. Kritische Berichte kann Aldi dennoch nicht immer verhindern. Doch wer sie schreibt, riskiert anscheinend viel. So erhielt die "Süddeutsche Zeitung" nach einem Artikel keine Aldi-Anzeigen mehr. Ein Jahr lang. Hans Leyendecker, "Süddeutsche Zeitung": "Anzeigenboykott ist ein Instrument, um kritische Berichterstattung zu verhindern, über das wenig berichtet wird. Es gibt es relativ häufig, es gibt es bei Regionalblättern sehr häufig. Derjenige, der es wagt, einen großen Discounter in Frage zustellen, wird fürchten müssen, dass ihm die Anzeigen entzogen werden." Für Aldi und andere Discounter ist es ein Druckmittel. Und manche Verlage haben das verstanden: Journalistische Unabhängigkeit haben sie geopfert - für gute Anzeigenerlöse. Hans Leyendecker: "Der Leser merkt das am Ende, ob sein Blatt anständig ist und unabhängig ist, oder ob sein Blatt sich kaufen lässt. Zeitungen müssen dieses Thema für sich auch thematisieren, um überhaupt bestehen zu können. Und es hat immer wieder Appelle gegeben. Diese Appelle haben wenig gefruchtet."

Kommunikationsdesaster eines Weltkonzerns

Schade eigentlich. Immerhin: Beim Global Player Siemens bekommen Journalisten noch Fakten und Bilanzzahlen von der Pressestelle in München. Doch wer am Wittelsbacherplatz weiterführende, zusätzliche Informationen über den Korruptionssumpf bekommen will, ist frustriert. Die Siemens-Bosse hüllen sich in Schweigen. Nichts soll nach außen dringen an die, die mehr wissen wollen. Thomas Leif, Autor "Siemens im Schmiergeldsumpf": "Man hat fast den Eindruck, es gilt so ein Omerta-Gebot der italienischen Mafia, also ein Schweigegebot. Und wer was sagt, wird sanktioniert und deshalb sagen die Pressesprecher auch nichts." Sie sagten auch nichts zu den Protesten ehemaliger Siemens-Mitarbeiter nach der Pleite von BenQ. Nach tagelangem Schweigen dann der peinliche Auftritt eines Siemens-Sprechers. Janos Gönczöl (2006), Sprecher Siemens AG: "So, meine Damen und Herren. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Wir wollen ein kurzes Statement zu der BenQ-Situation abgeben." Ein Statement von 78 Sekunden. Nachfragen waren nicht erlaubt. Das Kommunikationsdesaster eines Weltkonzerns.

Firmenvideos im Fernsehen

Thomas Leif: "Hier hat Siemens ganz bewusst keine Fragen zugelassen, um am Ende nur die Kommunikation komplett zu steuern, und immerhin eine Stimme drin zu haben, aber ihre eigene Stimme, ihre eigene Haltung, und keine kritischen Fragen zuzulassen. Das ist ne Form, die im Grunde inakzeptabel ist." Und eigene Filmaufnahmen dürfen Fernsehsender bei Siemens schon lange nicht mehr machen. Genauso wenig wie bei den meisten anderen DAX-Unternehmen. Die präsentieren lieber ihre Hochglanzvideos in den Fernsehsendern. Und auch, wenn sich die Aktionäre treffen, führen die Firmen Regie. Fremde Kamerateams sind nicht erwünscht. Die Unternehmen produzieren die Bilder für den Fernsehmarkt. Thomas Leif: "Man will auch da das Bild, was die Öffentlichkeit über eine Versammlung hat, bestimmen. Zum Beispiel kritische Aktionäre sollen nicht vorkommen, all das. Also, auch das ist eine sehr, sehr starke Reglementierung, und das hat mit Pressefreiheit nichts das geringste zu tun."

Lästige Quälgeister

Die Pressefreiheit - bedroht durch Drehverbote und Anzeigenboykott. Im Visier: Kritische Journalisten. Markus Grill: "Ich glaube schon, dass sich Journalisten da ein Stück weit noch professionalisieren müssen, dass sie noch skeptischer sein müssen mit Angeboten, die auf sie einströmen, mit Pressekonferenzen, mit allem möglichen. Das sind ja alles Formen der Einflussnahme. Dass man eigentlich noch kritischer damit umgehen muss als bisher." Klaus Kocks: "Journalismus ist eine Plage, die man ertragen muss, wenn man Geld hat. Weil ich nämlich ein Interesse als Staatsbürger daran habe, dass diese lästigen Quälgeister, vielleicht auch unsympathischen Quälgeister, da sind, damit ich zumindest über die anderen Unternehmen erfahre, ob sie denn bei Recht und Gesetz bleiben." Die Quälgeister machen weiter. Hoffentlich! Damit Zuschauer und Leser mehr erfahren als Werbeanzeigen und PR-Texte behaupten.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 08.06.2008 | 23:30 Uhr

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