Stand: 19.07.2006 23:00 Uhr

Wie Journalisten Existenzen zerstören

Medienanwälte brauchen sich über mangelnde Aufträge von Prominenten nicht zu beklagen. Gerade erst hat Heide Simonis eine halbseitige Gegendarstellung auf dem Titel der BILD-Zeitung erwirkt. Doch wer nicht prominent und finanzkräftig ist, hat gegen die Medien oft keine Chance. Für die gute Schlagzeile werden schnell Menschen und Schicksale an die Öffentlichkeit gezerrt. So ging es einer Lehrerin, die neben ihrer Ehre auch gleich den Job verlor, weil die Presse sie als "Sekten-Lehrerin" abstempelte. Die Pädagogin empfahl einem Schüler einen Meditationskurs. Entspannungskurse gehörten an der Schule seit Jahren zum Angebot. Alles schien normal bis die Mutter des Schülers Alarm schlug: Der Meditationskurs verwirre ihren Sohn. Die Lehrerin habe versucht, ihn für eine Sekte anzuwerben. Er wolle nicht mehr leben. Für den Lokalreporter war das die Geburt einer schlagzeilenträchtigen Geschichte. Anderen Journalisten griffen sie begierig auf. Über die Lehrerin brach eine Lawine herein.

Zapp über die verlorene Ehre der Petra Traub.

Ein kleiner Ort in der Pfalz, Monsheim. Eingebettet zwischen Weinreben, versteckt hinter Hügeln. Jeder kennt jeden. Gerüchte machen schnell die Runde. Friedlich und ruhig ist es hier - normalerweise. Doch vor wenigen Monaten gerät das Dorf in die Schlagzeilen. Durch sie, Petra Traub, die von Journalisten zur Sektenlehrerin gemacht wurde. Die nie gedacht hätte, dass sie nur ohnmächtig zusehen kann, wie Medien falsche Geschichten über sie verbreiten. Geschichten, die ihr Leben einschneidend veränderten. Hier fing alles an. An der Grundschule in Monsheim. Hier war Petra Traub Lehrerin bis Eltern Beschwerde bei der Schulbehörde einreichten. Der Vorwurf: Sie soll Schüler für eine Sekte angeworben haben. Das jedenfalls wirft diese Mutter der Lehrerin vor. Die Lehrerin empfahl ihrem unruhigen Sohn einen Meditationskurs. Den gab es bereits an der Heinrich-von-Gagern Grundschule. Die Mutter stimmte zu, erhob später den Vorwurf, ihr Kind sei dort manipuliert worden. Margit Kehry, Ausschnitt aus "Mona Lisa", 2004 : "Wir haben uns beschwert, weil an der Schule wir massiv angeworben wurden für dieses "Zentrum des Lichts". Deshalb haben wir uns beschwert und die Behörden prüfen jetzt unsere Vorwürfe."

Gleichlautende Schlagzeilen

Petra Traub, Medienopfer: "Ich hab gedacht, das ist eine spinnerte Anschuldigung und mit wirklich mit einem klaren, sachlichen Wort ist die aus der Welt. Das man mit einer, mit so einem Irrsinn, dass man da ein ganzes Land aufmischen kann, das hätt ich nicht gedacht." Der Grund der Anschuldigung: Das "Zentrum des Lichts". Hier werden Trainer für Entspannungskurse ausgebildet. Und zu einer solchen Lehrerin schickte Petra Traub ihre Schüler. Die Gruppe wird als Sekte eingestuft. Von esoterischem Gedankengut dieser Gruppe, wusste sie nichts. Naiv, wie sie heute weiß. Die Lokalzeitung greift die Geschichte auf (Zitate aus Lokalzeitung): "Kinder sollen infiziert werden", " An der Grundschule hatten zwei Lehrkräfte das Gedankengut der sektenähnlichen Vereinigung verbreitet", "Schulen kein Tummelplatz für Sektierer, "Wir sehen, wie die Saat aufgeht." Gleichlautende Schlagzeilen, ein und desselben Reporters. Petra Traub: "Er war auch zuständig für die Schularbeit, sagen wir mal. Hat also über die Schule in Monsheim schon häufiger mal was geschrieben, hat mich persönlich gekannt. Und ich find’s halt absolut schade, dass er’s damals nicht nötig hatte, mal einen Hörer in die Hand zu nehmen und mal anzurufen, was da ist." Die Redaktion bestreitet das. Behauptet, Frau Traub hätte für ein Interview nicht zur Verfügung gestanden. Der Lehrerin zieht sich zurück.

Nachrichtenmaschine läuft heiß

Auch andere Medien greifen die Geschichte auf, melden, dass die Lehrerin gestanden hätte, Mitglied des "Zentrum des Lichts" zu sein. Und dass die Schulbehörde sie versetzen will. All das, erfährt sie aus dem Radio. Petra Traub: "Die Informationen waren so: New York, Berlin, Monsheim. Und ich konnte wirklich nicht fassen, dass es um mich selber geht. Ich wusste genau, dass ich mit diesem irren Vorwurf nichts zu tun hatte und dass das solche Konsequenzen hat ohne dass ein Vorwurf überhaupt geprüft ist, das konnte ich nicht fassen und ich kann es auch bis jetzt noch nicht fassen." Jeder bezieht sich auf den anderen. Meldungen werden ungeprüft aufgegriffen. Die Nachrichtenmaschine läuft heiß. Ausschnitt aus "Ländersache", SWR: "Sie werden davon gehört haben. In einer Grundschule im rheinhessischen Monsheim. Zwei Religionslehrerinnen sollen ganz massiv ihre Schüler im Geiste einer esoterischen Sekte erzogen haben." Ausschnitt aus "De facto", HR: "Weitergetragen wird diese Lehre auch durch Schullehrer. Auch Kinder kommen so in Berührung mit diesen Inhalten, wie der achtjährige Paul aus Mainz."

Missbrauch der Seele?

Auch die überregionalen Medien steigen die Geschichte ein. Ausschnitte aus "Mona Lisa", ZDF 2004: "Von Engeln und Teufeln ist da die Rede, von Elitemenschen und von der sterbenden Demokratie. Das ganze wurde den Eltern als harmloser Meditationskurs für ihre Kinder verkauft. Bis sich heraus stellte, die Organisation verbreitet rassistische Botschaften.", "Bis zum letzten Jahr war die Welt des kleinen Paul noch in Ordnung. Im neuen Schuljahr kam es zum Lehrerwechsel mit Folgen." Auch Politiker nutzten die Schlagzeilen, um selbst in die Öffentlichkeit zu kommen. Der Bildungsausschuss machte die Geschichte zum Fall. Und die Medien lieferten immer weiter gute Vorlagen. Josef Keller, CDU, SWR 2004: "Wenn ein Pädagoge einen sexuellen Missbrauch macht, wird beim ersten Verdacht, wird er suspendiert. Und warum sollte es bei dem Missbrauch der Seele nicht genau so sein."



Überrollt von einer Lawine

Daraufhin die "Bild"-Zeitung: "Frau Ministerin, weg mit den Sekten-Lehrerinnen." Die Zeitung lässt keinen Zweifel an der Schuld der beiden (Zitat): "Zwei Pädagoginnen der Grundschule Monsheim beeinflussten Schüler mit Ideen einer dubiosen Gemeinschaft." Ein Jahr später. Die Schulbehörde hat Petra Traub rehabilitiert. Der Vorwurf, sie habe Werbung für Sekten gemacht - vom Tisch. Doch darüber haben nur wenige Journalisten geschrieben. Einer von ihnen ist Detlef Esslinger von der "Süddeutschen Zeitung". Er beobachtete die Geschichte stets aus der Distanz. Detlef Esslinger, "Süddeutsche Zeitung": "Grundsätzlich ist der Mechanismus natürlich immer da. Alle haben eine Geschichte, alle schreiben in dieselbe Richtung. Wenn alle in dieselbe Richtung schreiben, wird es jawohl stimmen. Sonst wäre ja längst das Gegenteil mal erklärt worden von einer anderen Seite. Dass die andere Seite sich überrollt fühlt von einer Lawine, dass sie sich hilf- und wehrlos dieser Lawine ausgesetzt fühlt, das steht auf einem anderen Blatt."



"Geschmäckle bleibt immer"

So wie Petra Traub geht es vielen. Medienopfer werden jeden Tag produziert. Platz für Richtigstellungen gibt es selten. Petra Traub: "Entschuldigt hat sich bei mir niemand. Auch die Journalisten, die mich letztes Jahr oder vor zwei Jahren am stärksten reingeritten haben, sprich "Bild"-Zeitung, sprich "Wormser Zeitung" sprich "Mona Lisa", die haben sich nicht mehr gerührt." Die Geschichte ist vorbei, aber ganz vergessen kann sie sie nicht. Petra Traub: "Also, mein Ruf ist mit Sicherheit nicht wieder hergestellt. Ich denke eine vollständige Rehabilitierung gibt’s in so einem solchem Fall nicht. Wie sagt man im badischen "a Geschmäckle bleibt immer."

 

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ZAPP | 19.07.2006 | 23:00 Uhr

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