Stand: 06.12.2006 23:00 Uhr

Die Veränderungen im politischen Journalismus

War früher alles besser - auch der Journalismus? In jedem Fall war vieles anders: Die Arbeit der heutigen "Medienmacher" unterscheidet sich drastisch von der der früheren "großen" Korrespondenten. Im Zuge der Digitalisierung verschmelzen Berufsbilder und Rollen, die früher als unvereinbar galten, zum Beispiel zwischen Journalismus und PR. Der Ex-ARD Chefreporter Dagobert Lindlau, der Ex-FAZ-Korrespondent Karl Feldmeyer, der früherer WDR-Intendant Friedrich Nowottny und der Buchautor Gerhard Kromschröder diskutieren, was die Journalisten-Generationen trennt und verbindet. Zapp über die Veränderungen im politischen Journalismus.

Interview Friedrich Nowottny und Willy Brandt: "Sie haben dem Präsidenten keine Lösungen vorgeschlagen....?" Es war schon immer schwierig, Politiker zu interviewen. Auch für Friedrich Nowottny. Willy Brandt: "Doch!" Friedrich Nowottny: "Haben Sie ihm die Termine genannt....., die Termine, die Festlegung des Wechselkurses der D-Mark?" Willy Brandt: "Nein!" Früher lag an der Fragetechnik. Friedrich Nowottny, ehemaliger Hauptstadtreporter: "Eine wesentliche Veränderung der Nachrichtengebung in Berlin war die Erfindung des rein zufällig organisierten Interviews im Vorbeigehen. Erfinder: Gerhard Schröder. Es gab ja keine Tür, an der nicht ein Pulk von Mikrofonen und Kameras stand, wenn Gerhard Schröder hat signalisieren lassen, da geht er vorbei und wird was sagen. Das hat zu einer Verlotterung des Journalismus geführt, wie er schlimmer nicht sein kann."

"Großartige Bundeskanzlerin und Nichtigkeiten"

Gerhard Schröder trieb das Spiel mit den Journalisten auf die Spitze. Gerhard Schröder telefoniert mit seiner Frau und animiert Journalisten "Happy Birthday" zu singen, was sie auch sehr bereitwillig tun: "Los, singt auch jetzt!" Gerhard Schröder nach dem Journalistenständchen: "So, habt ihr alles?" Er machte sich selbst zur Nachricht. Klaus Feldmeyer, ehemaliger "FAZ"-Korrespondent: "Personalisierung gab es immer, solange es Medien gibt. Schon Adenauers Boccia-Spiel hat die Leute viel mehr interessiert als seine EWG-Politik, die sie zum Teil ja natürlich auch gar nicht verstanden haben. Also, es nicht eine Frage des ob’s, sondern es ist eine Frage des Ausmaßes, und in dieser Richtung hat sich etwas verändert, das Ausmaß ist stärker geworden."

Selbst Angela Merkel, die sich den Medienmechanismen erst zu widersetzen schien, inszeniert sich jetzt. Friedrich Nowottny: "Angela Merkel lässt aber nicht ihre Weisheiten vor den Türen lungernden Kollegen und Kolleginnen ab, sondern sie bittet ins Kanzleramt. Nie zuvor hat es im Kanzleramt eine Dauerpräsenz von Journalisten gegeben, die nur darauf warten, dass die großartige Bundeskanzlerin vor ihrer blauen Rückwand mit dem glänzenden Adler erscheint, um die neuesten Nichtigkeiten von sich zu geben." Dagobert Lindlau, ehemaliger ARD-Chefreporter: "Das Fernsehen könnte sich ja wehren, wenn es sich wehren wollte. Das ist es, was mir fehlt, dass die Herren in den Chefetagen unserer Sender ja überglücklich sind, wenn sie von den Parteien überhaupt ernstgenommen werden oder von den Parteien sogar ihre Gremien beschickt werden, und das halte ich für journalistisch einfach für einen Fehler."

Desinformation gedeiht besser

Journalisten zu Füßen der Politiker. Mit der Konkurrenz rangelt man um die besten Plätze, ein Nachrichten-Geschäft. Was dabei fehlt, hat ein junger Kollege in einer Studie untersucht. Ingmar Cario, Buchautor "Die Deutschland-Ermittler": "Was nachgelassen hat in den letzten Jahren, ist die Kontrollfunktion, also das die Journalisten auch die Mächtigen in Wirtschaft und Politik kontrollieren wollen, das war schon immer schwach, aber in den letzen zehn Jahren, kann man sagen, ist das noch deutlich schwächer geworden, d.h. die Journalisten in Deutschland haben nicht das Bewusstsein, dass zur Information auch die kritische Überprüfung gehört." Und die wird immer schwieriger. Früher gab es eine Nachrichtensendung am Tag - für alle. Heute läuft die Nachrichtenmaschine rund um die Uhr, auf vielen Kanälen. Dagobert Lindlau: "Die Vielfalt an Daten hat dem Journalismus nichts gebracht. Ich glaube, dass in dieser Flut von optischen und akustischen Botschaften, da haben wir doch gehofft, dass es eine informierte Gesellschaft gibt. Wir haben uns total geirrt, denn die Desinformation gedeiht viel besser als die Information, sie lässt sich viel billiger produzieren und herstellen. Und sie lässt sich viel leichter transportieren als die Information."

Satt und faul?

Gerhard Kromschröder, ehemaliger "Stern"-Reporter: "Ich glaub auch, dass wir in einer gewissen Selbstverliebtheit uns selbst im Wege stehen und uns nicht mehr trauen, oder satt und faul geworden sind, Dinge aufzuspüren, die uns nicht auf dem Teller präsentiert werden. Und das finde ich sehr schade. Und das führt auch sogar in seriösen Medien zu journalistischen Mischformen wie Infotainment, Public Relations, Boulevard und Partyjournalismus." Aber auch früher zählte nicht nur Relevanz, sondern auch Unterhaltsames. Dagobert Lindlau in San Francisco. 1967 setzte er sich beim Drogenkauf in Szene. Dagobert Lindlau: "Ich meine, wir sind, was weiß ich irgendwo hingefahren, halb um die Welt gefahren und haben uns dann erst überlegt, welche Story springt uns ins Auge und was ist für unsere Zuschauer interessant. Heute muss ich ein Produktionsvorhaben ausfüllen, dass heißt ich flieg nach Timbuku muss aber vorher meiner Verwaltung schon erzählen, was ich dort vorfinde. Weiß ich doch gar nicht, bin Reporter. Finde ich ja erst, wenn ich dort bin. Diese Freiheit ist verloren gegangen, leider."

"Was macht Journalismus aus?"

Kein Reporterleben mehr in Saus und Braus. Obwohl die Journalisten-Generation von heute scheinbar unendlich viele Möglichkeiten hat. Gerade das macht die Arbeit jetzt schwieriger als damals. Ingmar Cario: "Es wird immer unklarer, was ist Journalismus eigentlich? Irgendwann kann man sich nur noch darauf einigen: Journalismus ist, was Journalisten tun. Und das ist eine Nicht-Definition. Das heißt, es wird immer unklarer, was macht Journalismus aus? Ist Journalismus schon PR? Sind Bloggs Journalismus? All das wird nicht mehr definiert." Friedrich Nowottny: "Damals war das eine überschaubare Welt, ein erstrebenswerter Arbeitsplatz voller Faszination. Und da ich die Ochsentour gemacht hab von der kleinen Meldung auf Seite Drei der Lokalredaktion bis in Höhen, wo die Luft etwas dünn wurde zum Atmen, kann ich nur sagen, das ist heute, glaube ich, so nicht mehr machbar. Schade eigentlich."

 

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ZAPP | 06.12.2006 | 23:00 Uhr

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