Sendedatum: 08.04.2009 23:00 Uhr

Geheimes im Müll - Neuer Datenskandal bei Lidl

Anmoderation:

Kniefall vor dem Kunden. Erinnern sie sich noch? Vergangenes Jahr, die Zeitungsanzeigen von Lidl. Großformatig hatte sich der Lebensmittelkonzern entschuldigt. Für Bespitzelung von Mitarbeitern. Und Überwachungsprotokolle von Privatdetektiven. Gar nicht gut, was da hinter der Ladentheke abging. Der Konzern hatte plötzlich ein Imageproblem und gelobte Besserung. Geändert hat sich aber offensichtlich nichts. Lidl ist schon wieder in den Schlagzeilen. Nicht mit tollen Oster-Sonderangeboten. Sondern mit einem vorösterlichen Skandal. Gita Datta über eine alte Medienoffensive und neue Schadensbegrenzung!

 Beitragstext:  

Markus Grill. Früher recherchierte er für den „Stern“. Jetzt für den „Spiegel“. Diese Woche sorgte er wieder für Schlagzeilen. Mit brisanten Daten, die in einer Mülltonne gefunden wurden. Es sind Notizen über Mitarbeiter. Heimlich aufgelistet. Vom Vorgesetzen. Er hatte ihre Krankheiten penibel dokumentiert. „Will schwanger“ werden. „Befruchtung, nicht funktioniert“. „Stationäre Behandlung in Neurologischer Klinik“ ,„Tumor- Operation aber gutartig“ Markus Grill, Redakteur „Der Spiegel“: „Das ist ein ganz brutaler Persönlichkeitsrechtsverstoß. Also wenn man aufschreibt, ob ne Frau schwanger werden will und ne künstliche Befruchtung nicht geklappt hat oder eine beim Psychologen war. Eine in der neurologische Klinik war. Das sind alles Dinge, wozu schreibt ein Arbeitgeber das auf?“ Der Arbeitgeber ist Lidl - wieder einmal - und es war wieder einmal der Journalist Markus Grill, der die Lidl-Mitarbeiter informierte. Über ihre Kranken-Akten. Markus Grill, Redakteur „Der Spiegel“: „Die haben natürlich zugegeben, ja sie haben das irgendwie so im persönlichen Gespräch z.B. der Filialleitung gesagt. Aber die haben nicht damit gerechnet, dass die Filialleitung das dann wieder an die nächsthöhere Ebene weitererzählt oder dass der Verkaufsleiter das wirklich in den Unterlagen festhält, an was sie erkrankt sind. Also sie waren schon schockiert." Schockiert. Denn in den Akten stand noch mehr. So wurde über eine psychisch kranke Mitarbeiterin notiert: „Mehrmals telefonisch versucht. Freund mitgeteilt sie solle sich dringend melden. Kündigung zum 31.07.08“ Die Unterlagen sind aus dem Zeitraum „Mai bis Dezember 2008“. Zu einem Zeitpunkt, als die Enthüllung über den Überwachungsskandal bei Lidl für Empörung sorgte. „Der Stern“ hatte aufgedeckt, wie die „Lidl-Stasi“ ihre Mitarbeiter bespitzelte. Durch Detektive und Überwachungskameras in den Läden. Lidl reagierte bundesweit mit einer großen Anzeigenkampagne. Wir „entschuldigen uns ausdrücklich“. Und Lidl präsentierte „Fakten“. Jedenfalls solche, die das Unternehmen dafür hielt: „Lidl geht fair mit seinen Mitarbeitern um.“ Diese Mitarbeiter versprachen gehorsamst: „Wir vertrauen Lidl. Vertrauen sie uns.“ Andreas Hamann, Autor „Schwarzbuch Lidl“: „Die Konsequenzen, die gezogen wurden, waren immer nur Beschwichtigungen. Öffentliche PR-Kampagnen, jetzt tolle Fernsehwerbung. Das Bekenntnis zu sozialer Verantwortung - da muss ich sagen, solange da solche Dinge weiterhin passieren, wie sie jetzt aufgedeckt werden, ist das einfach unglaubwürdig".

Lidl hatte sich erst vor einem Jahr großspurig entschuldigt

Im Kampf um Glaubwürdigkeit und neues Vertrauen der Kunden, suchten die sonst so  medienscheuen Lidl-Chefs die Öffentlichkeit. Auch bei „Anne Will“. Sendungsausschnitt „Anne Will“, ARD, April 2008: „Lidl-Chef: `Wir möchten ein Zeichen setzten und wollen zeigen, wir fangen neu an.´ Anne Will: `Zeichen auch an die Mitarbeiter?´ Lidl-Chef: `Auch an die Mitarbeiter, an die Kunden, an die Mitarbeiter und starten neu.´ Der eine Boss bei „Anne Will,“ der andere bei „Kerner“. Und die immergleiche Botschaft. Sendungsausschnitt, „Kerner“, ZDF, Mai 2008: „Lidl-Chef: `Ein schlechtes Gewissen in dem Sinn und da fang ich bei mir, weil ich bin der oberste Chef bin und damit trag ich am Ende auch die Verantwortung. Deswegen sitz ich auch hier. Ich möchte es gar nicht delegieren. Sondern dazu steh ich auch, dass ich vielleicht in manchen Dingen ein bisschen zu nachsichtig war.´“ Die größte Öffentlichkeit erreichten sie jedoch bei „Bild“ 2008. „Hier sprechen die Lidl-Chefs“. Und sie beteuern: „Wir sind stolz auf unsere Mitarbeiter“. Markus Grill, Redakteur „Der Spiegel“: „Bei dem letzten Lidl-Skandal fiel ja auf, dass die Lidl-Chefs erst mal gar nicht in die Öffentlichkeit gegangen sind und dann in Medien, die ihnen sehr wohl gesonnen waren, wie die „Bild“-Zeitung eben.“ Nicht ohne Grund. Denn Lidl und „Bild“ sind bisweilen Partner. Beim „Eis-Schlecken“, beim Verkauf von „Fan-Paketen“ oder auch beim Verkauf von „Videokameras“. Die schlechten Nachrichten über Lidl meldet „Bild“ jetzt auch. Aber ganz klein. Riesengroß dagegen - immer wieder: Die Anzeigen von Lidl. Nettopreise statt Informationen. Angebote statt Aufklärung.

Sanfte Berichterstattung – Lidl ist Großkunde bei Anzeigen

Nicht nur „Bild“ tut sich schwer mit kritischen Berichten über den lukrativen Anzeigenkunden Lidl. Markus Grill, Redakteur „Der Spiegel“: „Lidl ist also ein super Anzeigenkunde für Tageszeitungen. Und ich glaube schon, dass es jetzt in der Medienkrise noch verstärkt, wo viele unter Anzeigenverlust leiden, ne gewisse Beißhemmung gibt. Ne Beißhemmung gegenüber großen, wertvollen Anzeigenkunden. Und dazu gehört Lidl eben auch.“ Doch immerhin reagierte Lidl nach der neuesten „Spiegel“ -Enthüllung. Feuerte den Chef Michael Mros. Markus Grill, Redakteur „Der Spiegel“: „Es ist, glaube ich, eine symbolische Handlung, also ne Handlung dahingehend, dass man sagt, wir feuern jetzt den obersten Chef von Lidl Deutschland und wollen damit zum Ausdruck bringen, wir haben verstanden, so was dulden wir künftig nicht.“

Gründung eines Betriebsrates im Kern erstickt

Lidl beteuert jetzt auch gegenüber Zapp, man werde sich bessern. Auch der Gründung von Betriebsräten stehe man nicht im Weg. Tatsächlich? Andreas Hamann, Autor „Schwarz-Buch Lidl“: „Es ist nach wie vor so, dass Leute, die Betriebsräte wählen wollen, daran gehindert werden, indem sie in Einzelgespräche gebeten werden. Wo dann gesagt wird, das wir brauchen doch gar nicht. Wir sind doch so ein soziales Unternehmen und freuen Sie sich mal, dass Sie einen Arbeitsplatz haben.“ Das erlebten auch Lidl-Mitarbeiter in Holzgerlingen letzte Woche. Seit Monaten hatten ver.di-Mitarbeiter bei den Lidl-Angestellten geworben. Für die Gründung eines Betriebsrates. Doch alles war vergebens. Suzanna Tedesco, ver.di: „Die wurden im Keim erstickt. Es kam niemals zu diesen Wahlen, weil in dieser Zeit, das heißt, die haben schon gleich den Tag darauf genützt, da haben schon Mitarbeitergespräche stattgefunden.“ Gespräche zwischen Lidl-Vertriebsleitern und Lidl-Mitarbeitern. Nach diesen Gesprächen gab es weder genügend Wähler für diesen  Betriebsrat, noch die erforderliche Anzahl von Bewerbern. Suzanna TedescoVerdi: „Wir haben dann die Damen probiert zu kontaktieren. Und ich denke mal, das war ein Versehen, man hat gesagt, ich habe versprochen, dass ich nicht hinkomme.“

Versprochen hat auch Lidl vieles. Vor allem: Besserung. Das Unternehmen kämpft seit dem Überwachungsskandal, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Doch die aufgetauchten Notizen über Krankheiten von Mitarbeitern zeigen: Die Akte Lidl - ist noch lange nicht geschlossen! Markus Grill, Redakteur „Der Spiegel“: „Wenn sich so was mal in den Unternehmen, in den Köpfen festfrisst, in den Managementköpfen, dann kann man das nicht einfach, per ordre de mufti, von einem Tag auf den anderen ändern. Das ist ne Kultur, ne Unternehmenskultur, die auf Kontrolle und Mistrauen ausgelegt ist. Und die dauert eben sehr lange, sich zu ändern.“

Abmoderation:

Die unglaubliche Unternehmenskultur von Lidl. Wir haben schon mehrfach darüber berichtet. Wenn Sie noch einmal die ganze Skandal-Story lesen wollen, dann schauen Sie gerne bei uns im Internet rein.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 08.04.2009 | 23:00 Uhr

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