Sendedatum: 16.03.2011 23:05 Uhr

Libyen: Gaddafis Kampf gegen die Presse

von Gita Data, Tim Seeger

In Japan gibt es nur Verlierer, in Libyen immer denselben Gewinner und der heißt Muammar al Gaddafi. Der Diktator nutzt die Gunst der Stunde, brutal und gnadenlos. Während die Welt gebannt auf die Atomreaktoren in Fukuschima starrt, bombardiert er die Aufständischen im eigenen Land. Noch vor einer Woche wäre Gaddafi damit weltweit auf die Titelseiten gekommen. Jetzt kommt er damit durch. Zapp über den Profiteur der Katastrophe.

VIDEO: (5 Min)

Ali Hassan Al-Dschaber, Kameramann beim Fernsehsender Al Dschasira, wurde vermutlich von Gaddafi-nahen Truppen erschossen. Al Dschasira überträgt die Trauerfeier aus Bengasi. Das Team war bei Recherchen in einen Hinterhalt geraten. Drei Kugeln trafen den 55-Jährigen tödlich. Journalisten sind in Libyen in Lebensgefahr. Reporter der Nachrichtenagentur APTN wollten aus dem von Rebellen besetzten Ra's Lanuf berichten, doch Gaddafis Truppen sind bereits bis dort vorgerückt. Die Berichterstattung wird lebensbedrohlich.

Stefan Buchen, ARD-Korrespondent, erzählt: "Es gibt eine massive Einschüchterung von ausländischen Journalisten. Offensichtlich mit dem Ziel, die Berichterstattung aus dem von den Aufständischen kontrollierten Gebieten, zu beenden."

Michael Lüders, Nahostexperte, meint: "Es geht um die Deutungshoheit. Gaddafi versucht, das Image zu vermitteln, dass erstens er alles unter Kontrolle habe und zweitens der Aufstand aus dem Ausland gesteuert sei, wahlweise von Al Kaida oder eben ausländischen Journalisten."

Ausländische Journalisten. Drei wurden von Gaddafi-Söldnern verhaftet. Ein brasilianische Reporter wurde acht Tage im Gefängnis festgehalten, mit ihm ein britischer Kollege. "Wir wurden zur gleichen Zeit verhaftet, kurz danach aber getrennt (dt. Übersetzung)", erzählt Andrei Netto, Reporter bei "O Estado de São Paulo". Sein Kollege ist weiter in Haft. Kontakt zu ihm gibt es keinen. Auch Reporter des Fernsehsenders BBC wurden während einer Recherche verhaftet. Ferras Killani berichtet: "Einer der Soldaten schlug mich mit seiner Waffe, einer Kalaschnikow auf den Rücken, so dass ich auf den Boden fiel. Und dann forderten sie mich auf, meine Hände hinter dem Kopf zu verschränken." (dt. Übersetzung). Kameramann Goktay Koraltan erzählt: "Ich habe die Waffengeräusche gehört und dachte, jetzt passiert es. Das wird unsere Hinrichtung." (dt. Übersetzung).

Journalisten in Gefahr

Als ein Team der ARD vergangenen Samstag von einem Dreh in Bengasi zurückkehrt, ist das Hotel leer. Alle anderen Kollegen sind bereits weg.

Buchen: "Es gab Gerüchte, dass Gaddafi-Kommandos ausländische Journalisten festnehmen, umbringen wollen, ihnen den Rückzug aus Bengasi Richtung Ägypten abschneiden wollen. Daraufhin haben wir uns entschlossen, Bengasi zu verlassen. Und auf der Rückfahrt haben wir dann gehört, dass tatsächlich ein Kameramann des Fernsehsenders Al Dschasira von einem Gaddafi-Kommando ermordet wurde."

Journalisten werden festgenommen, verschwinden. In Gaddafis Welt ist unabhängige Berichterstattung unerwünscht.

Birgitta Schülke, Reporterin der "Deutschen Welle", meint: "Auch in den letzten Jahren gab es keine richtigen Informationen aus dem Land. Das hat sich ja an sich nicht geändert. Und ich glaube, dass wahrscheinlich wir Journalisten auch, genauso wie die Politik, da in einer Art und Weise nicht richtig hingeschaut haben."

Kampf um die Deutungshoheit

Und Machthaber Gaddafi wurde in westlichen Medien hauptsächlich als skurrile Figur dargestellt.

Lüders: "Man darf das Operettenhafte nicht unterschätzen, denn er ist hinter aller dieser Inszenierung, die er hat, ein wirklich furchtbar entschlossener Machtmensch, der keine Minute zögern würde, das gesamte Land mit sich in den Abgrund zu reißen."

Die andere Seite des Muammar al Gaddafi: Auserwählte Journalisten lädt er zum Interview.  Am Dienstag bereitet ihm RTL-Reporterin Antonia Rados eine Bühne:
Rados: "Es gab keine Demonstrationen in Lybien?"
Gaddafi: "Es gibt hier Demonstrationen, aber die sind für mich. (...) Kritisiert jemand denn die britische Königin Elisabeth wegen ihrer Politik?" (n-TV).

Journalisten als Sprachrohr des Diktators. Lüders: "Er missbraucht sie als nützliche Idioten. Er gibt ihnen das Privileg von Interviews - da freut man sich natürlich als Journalist, wenn man ihn interviewen darf. In der Sache sagt er natürlich nichts, außer natürlich seine relativ wirren Standpunkte wiederzugeben, wonach der gesamte Aufstand lediglich ein Werk von Al Kaida, ausländischen Agenten oder eben auch Journalisten sei. Das ist eine sehr zwiespältige Situation für Journalisten, denn bei allem Ehrgeiz, Gaddafi interviewen zu wollen, man muss sehen, man ist lediglich ein Rädchen im Getriebe."

Das große Rad ist das libysche Staatsfernsehen: gezeigt werden Jubelbilder, berichtet werden angebliche Erfolgsmeldungen im Kampf gegen die Rebellen.

Buchen: "Gaddafi setzt sein Staatsfernsehen ein, um ausländische Journalisten einzuschüchtern und auch um den Eindruck zu erwecken, dass seine Armee auf dem Vormarsch ist, dass sie dabei ist, den gesamten Osten Libyens wieder zu erobern."

Es ist ein Kampf um Deutungshoheit. Protestbilder müssen die Rebellen aus dem Land schmuggeln. Gaddafis Männer versuchen das zu verhindern.

Schülke: "Uns wird aus dem Grenzgebiet erzählt, von Flüchtlingen, die rüber kommen, dass sie zum Beispiel ihre Videohandys und Fotohandys nicht mitnehmen durften, dass sie ihnen abgenommen worden sind."

Informationen über die Lage im Land werden immer spärlicher. Und auch die Rufe nach internationaler Hilfe verhallen ungehört.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 16.03.2011 | 23:05 Uhr

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