Sendedatum: 11.08.2010 23:05 Uhr

Recherchen bei Aldi, Kik und Co.

von Grit Fischer, Nils Casjen

Vor zwei Wochen ist einer der mächtigsten und auch reichsten Männer Deutschlands gestorben. Einer der beiden Aldi-Brüder, Theo Albrecht. Viel konnten wir nun über beide lesen, aber nur wenig erfahren. Es gibt fast keine Fotos, es gab nie öffentliche Auftritte oder gar Interviews. Der Aldi-Kosmos kommuniziert nicht nach außen, genauso wenig wie die anderen großen Discounter.

 

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Sie sind die verschwiegenen Herrscher des deutschen Einzelhandels, Aldi, Kik und Lild. Ihre Läden sind offen für jeden, doch ihre Chefetagen schotten sich ab. Kaum jemand weiß etwas über sie. Über ein Unternehmen weiß man seit einigen Wochen etwas mehr: Über Kik, einen Textil-Konzern, der mit verblüffend billiger Kleidung Milliarden umsetzt. Ein Boom-Unternehmen. Billigpreise, Lohndumping, Ausbeutung am Arbeitsplatz - durch Panorama-Recherchen ist das Erfolgsgeheimnis von Kik kein Geheimnis mehr.

In einer Sendung von "Panorama - die Reporter" kommt NDR Reporter Christoph Lütgert aus einem Kik-Laden: "So, also das ist wirklich unfassbar. Ich bin komplett eingekleidet, wirklich komplett eingekleidet, für insgesamt 25, 96 Euro. Und dann frag ich mich natürlich: Wie machen die das so billig?" Redakteur Dietmar Schiffermüller von "Panorama – Die Reporter" meint: "Kik ist ein Konzern, der mauert, der sich wegduckt. Das ist ein Teflonkonzern, da prallen die Anfragen ab, und ich glaube, dass Kik auch recht gut gefahren ist damit in den letzten Jahren."

Monatelange Recherchen

Panorama wollte hinter die Fassade des Teflon-Konzerns gucken, hat mit ehemaligen Mitarbeitern gesprochen, mit Gewerkschaftern, mit Verkäuferinnen, die ihren Arbeitsplatz riskierten. Aus der Konzernleitung gab es keine Antworten. Dietmar Schiffermüller: "Wir wollten ja auch sehr früh ein Interview mit dem Kik-Chef Stefan Heinig bekommen, weil es wirklich eine interessante Figur ist, und wir uns gewundert haben, wieso gibt es eigentlich praktisch überhaupt keine Interviews mit Stefan Heinig, dem Chef eines Milliarden-Konzerns, eines der erfolgreichsten Unternehmens im Einzelhandel in Deutschland."

Auch mit den Chefs des Unternehmens Aldi gibt es keine Interviews. Aldi hat das Schweigen erfunden. Die Läden kennt jeder, aber das ist auch alles. Susanne Amann, Redakteurin des "Spiegel", meint: "Wie kann es gelingen, so ein Milliardenimperium aufzubauen, so einen riesigen Konzern zu managen, mit 100.000 Mitarbeitern, und nichts, aber auch wirklich gar nichts dringt davon an die Öffentlichkeit?" Das wollte Susanne Amann ändern, wollte mehr wissen über den Konzern und seine beiden Gründer Theo und Karl Albrecht. Sie bekam Kontakt zum Neffen von Karl und vermeldete erste den Tod von Theo Albrecht.

 

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Die Recherche war trotzdem mühsam. Susanne Amann: "Wir haben mit vielen Menschen gesprochen, die Theo und Karl Albrecht sehr nah erlebt haben: Journalisten, Politiker, Stadtverordnete. Und keiner von denen wollte irgendwas erzählen. Die meisten haben sogar sofort gesagt, selbst wenn sie seit 25 Jahren in der Lokalpolitik in Essen waren, wo also absolut klar war, die müssen diese Menschen kennen, haben sie sofort gesagt: 'Aldi, weiß ich nichts, kenne ich niemanden, will ich nichts sagen'."

Unternehmen ohne Pressestelle

Ein Schweigegelübde. Aldi, ein Konzern, aus dem nichts nach draußen dringt. Keine wirtschaftlichen Daten, keine biographischen Anekdoten rund um die Gründerväter. Nichts.

Susanne Amann: "Es gibt keine Pressestelle. Wenn man versucht, Aldi zu kontaktieren, findet man mit viel Glück eine zentrale Durchwahlnummer in Essen oder Mühlheim an der Ruhr, das sind die beiden Konzernzentralen. Da kann man dann anrufen und dann wird einem freundlich eine Faxnummer gegeben mit der Bitte, die Anfrage doch bitte per Fax zu schicken und dann hört man in aller Regel überhaupt nichts mehr."

Harald Willenbrock, Autor beim Magazin "brand eins", sagt: "Aldi sagt, und ehemalige Manager sagen das und haben damit vermutlich sogar Recht, dass kein Mensch ein Pfund Butter mehr kauft, wenn Aldi in der Zeitung steht. Also die einzige Kommunikation von Aldi sind die Anzeigen, die sie schalten und die kleinen Anzeigenblättchen, die sie rausgeben, und diese Politik ist seit Jahrzehnten super erfolgreich. Also warum sollten sie es ändern?"

 

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Und die Anzeigen können zugleich ein Druckmittel sein. Das hat vor einigen Jahren auch die Süddeutsche Zeitung erfahren. Sie hatte kritisch über Aldi berichtet. Aldi stornierte die Anzeigen. 18 Monate lang musste der Verlag auf die Werbeerlöse verzichten, wegen eines kritischen Artikels. Anzeigenentzug, eine stille Drohung.

 

Auch über Lidl wurde recherchiert. Und Unangenehmes aufgedeckt. Eine wirkliche Pressestelle hatte auch dieses Unternehmen nicht. Bis zum Jahr 2006, als es doch einen Pressesprecher engagierte. Er sprach sogar mit dem Spiegel, verkündete Lidls "Neue Offenheit" (Der Spiegel, Ausgabe Nr. 3/2006). Es blieb eines von wenigen Interviews. Harald Willenbrock: "Sie müssen sich vorstellen, als ob man die KPDSU in die Öffentlichkeit begleitet, erstmals. Ist natürlich eine tolle Aufgabe und ihm war versprochen worden, dass er Pressearbeit betreiben darf. Nun hat dieser Pressefachmann darunter was anderes verstanden als die Lidl-Oberen." Nach nicht mal einem Jahr verließ er den Konzern Lidl wurde wieder schweigsam.

Negative Schlagzeilen

 

Bis zum nächsten Skandal: Der Stern deckte auf, wie die "Lidl-Stasi" (Ausgabe Nr.14/2008) Mitarbeiter bespitzelt. Die Konzernspitze musste reagieren. Und tat es auch: Der eine Chef zeigte bei Anne Will öffentliche Reue, der andere bei Johannes B. Kerner.

Ein Auftritt, der für den KiK-Chef unvorstellbar ist. Kik schweigt, beharrlich. Für Panorama steht Christoph Lütgert vor der Kik-Zentrale: "Ich hab sowas noch nie bei einem Unternehmen erlebt. Sie sind doch Pressesprecher. Wann sprechen Sie denn mal? Im Augenblick habe ich das Gefühl, sie sind Presseschweiger."

Kik schweigt. Panorama recherchiert. Auch in Bangladesch. Und deckt auf, unter welch katastrophalen Bedingungen Kik seine Kleidung nähen lässt. Und dass die Löhne von Kik so niedrig sind, dass ärztliche Hilfe für die Näherinnen und ihre Familien unbezahlbar ist.

Panorama konfrontiert den Kik-Chef mit diesen Recherchen. Christoph Lütgert trifft KiK-Chef Stefan Heinig: "Was sagen Sie dazu? Wollen Sie dazu nichts sagen?"
Stefan Heinig: "Ich denke, das machen wir ein andermal."

KiK hetzt der Redaktion stattdessen die Anwälte auf den Hals. Dietmar Schiffermüller: "Das war für uns natürlich Anlass, nochmal weiter zu recherchieren, noch weitere Verdachtsmomente zu verifizieren, auch nochmal nach Bangladesch zu fliegen und dort neue Bilder auch zu bekommen, die unsere alten Vorwürfe erhärtet haben und da muss man klar sagen: Kik hat sich selbst ein Eigentor geschossen."

Eigentore hat Aldi bisher vermieden. Informationen über den Konzern, Gerüchte, Falsches und Widersprüchliches – bei Aldi bleibt es unkommentiert. Susanne Amann: "Bei anderen Unternehmen ist es ja so, wenn da falsche Dinge zum Beispiel über die Biografie der Gründer verbreitet werden, dann kriegt man irgendwann einen Anruf aus der Pressestelle und es heißt: 'Hört mal, macht das beim nächsten Mal bitte anders, es stimmt nämlich nicht.' Bei Aldi hat man das in Kauf genommen, dass falsche Dinge geschrieben werden, einfach um sozusagen seine Ruhe zu haben."

Kik hat keine Ruhe mehr. Das Geschäftsgeheimnis ist gelüftet, obwohl der Konzern geschwiegen hat. Denn die Journalisten haben ihre Arbeit getan.

 

 

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 11.08.2010 | 23:05 Uhr

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