Sendedatum: 01.07.2009 23:00 Uhr

Manipulation - Politiker und Prominente schönen ihre Interviews

von Grit Fischer

Quizfrage: Was haben Heike Makatsch und Hannah Herzsprung gemeinsam, außer dass sie jung, talentiert und erfolgreich sind? Sie stutzen Interviews. Entschärfte Aussagen, gestrichene Kommentare, geschönte Fotos – immer mehr Promis und Politiker wollen im Nachhinein etwas anderes gedruckt sehen, als sie ursprünglich gesagt haben. Und zensieren ihre eigenen Zitate.


Die deutsche Schauspiel-Elite auf dem roten Teppich, heiß begehrt von den Journalisten. Interviews mit Daniel Brühl, Katja Riemann und Co sind umkämpft. Auch die Hamburger Obdachlosen-Zeitung Hinz und Kunzt führt gerne Interviews mit Prominenten. So auch mit der Schauspielerin Martina Gedeck. Doch vor dem vereinbarten Termin erhielt die Redaktion noch einen Vertrag mit den Bedingungen für das Interview. Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „ Also so was hatten wir noch nie gesehen. Und in diesem Vertrag wurde halt geregelt, dass nicht nur Zitate autorisiert werden sollten, was wir ja kennen, was wir auch machen, grundsätzlich machen, sondern eben drei Sätze davor, drei Sätze danach, Bildunterschriften, Überschriften. Es sollte die Größe der Überschrift auf dem Titel, es sollte auch bestimmt werden, ob oder ob es auf den Titel kommt oder nicht.“ Bildausschnitt: „Gedeck-Interview“ (Hinz und Kunzt, Nr. 187, September 2008) Hinz und Kunzt sollte darüber auch noch Stillschweigen bewahren. Doch die Redaktion thematisierte stattdessen den versuchten Eingriff in ihre journalistische Kompetenz in einem Artikel. Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „Martina Gedeck war der Gipfel sozusagen und ist auch nur die Spitze eines Eisbergs. Es ist einfach so, dass es zunehmend der Fall ist, dass wir ständig irgendwelche Anfragen dieser Art bekommen, dass alles und jeder Pups sozusagen autorisiert werden soll.“

Wischiwaschi-Erklärung

Und das ist für Zeitungen neu: Denn erst seit einigen Jahren wollen immer mehr Schauspieler bestimmen, was und wann über sie geschrieben wird. Hanns-Georg Rodek, Kulturredakteur „Die Welt“: „In der Regel kommt mit der Interview-Bestätigung dann gleich ein Vertrag, in dem ich mit meiner Unterschrift mindestens zwei Dinge verspreche. Nämlich erstens, das Interview nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt zu veröffentlichen. Das ist okay, darüber kann man sich einigen. Und gleichzeitig das Interview per Mail an die Agentur oder an den Künstler selber zu schicken, damit er, ich sage jetzt mal, darin rummalen kann.“ Dieter Wonka, Redakteur „Leipziger Volkszeitung“: „Gesagt ist gesagt und eigentlich müsste das veröffentlicht werden und der Leser muss ja auch den Eindruck haben, dass was er dann schwarz auf weiß vor sich sieht, so war das. Das ist ne Illusion.“ In Deutschland ist es seit den 50er Jahren üblich, dass Interviews vor ihrem Abdruck vom Gesprächspartner genehmigt, also autorisiert werden. Um sicher zu gehen, dass das Geschriebene auch stimmt. Vor allem bei langen Politiker-Interviews. Dieter Wonka, Redakteur „Leipziger Volkszeitung“: „Man muss komprimieren in der Regel und deswegen bin ich im Prinzip eigentlich auch damit einverstanden, wenn Politiker draufschauen wollen im Sinne des Draufschauen. Das setzt zwei Dinge voraus: Es darf nur drinstehen was gesagt wurde und es muss seriös und nicht willkürlich zusammengefasst worden sein.“ Michael Haller, Medienwissenschaftler Universität Leipzig: „Wenn allerdings die Aussage, was man ja oft in der Politik erlebt, zu einer Wischiwaschi-Erklärung umgeändert wird, dann muss der Journalist die im Interview tatsächlich stattgehabte Formulierung verteidigen. Dann muss er auch sozusagen dafür kämpfen, dass dieses Interview auch substantiell bleibt und eben nicht zu einem blabla wird.“ Denn die Prominenten streichen mittlerweile auch unliebsame Passagen raus.

Public Relation in eigener Sache

Bei der Schauspielerin Hannah Herzsprung sah ein Interview so aus wie das Bild „Interview mit Hanna Herzsprung“ (U_Mag, Mai 2009). Viele persönliche Antworten ließ sie nachträglich schwärzen. Michael Haller: „In früheren Zeiten ging es doch wesentlich mehr um den Informationsgehalt des Interviews, um die Inhalte. Heute geht es den Interviewten deutlich mehr darum, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen können. Welches Bild sie von sich sozusagen inszenieren können über das Interview.“ Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „Wenn man PR haben will, also Public Relation in eigener Sache, dann soll er dafür bezahlen und Journalismus ist nicht dafür da, anderer Leuts tolles Bild zu kreieren. Sondern eigentlich ist Journalismus dafür da, ein echtes Bild zu zeigen.“ Übertriebener Autorisierungswahn?

Faule Äpfel

Politiker, Prominente Pressesprecher und Agenturen begründen die übermäßige Kontrolle mit schlechten Erfahrungen. Michael Haller, Medienwissenschaftler Universität Leipzig: „Es gibt inzwischen leider doch sehr viele Journalisten, die nicht wissen wie man ein gutes Interview führt. Und hinterher dann, ja, wenn sie das dann transkribiert haben und sehen: Ja so toll ist das aber eigentlich nicht. Da muss ich doch gerne meine Fragen ein bisschen aufmotzen, damit ich vor meinen Lesern etwas intelligenter erscheine.“ Hanns-Georg Rodek, Redakteur „Die Welt“: „Ich vergleiche das immer mit faulen Äpfeln. Es gibt bei uns Journalisten und Interviewern tatsächlich faule Äpfel, die aus Interviews andere Dinge machen, als dringestanden haben. Nur, was die Agenturen jetzt daraus machen ist, dass sie praktisch sozusagen die ganze Szene mit einem Pflanzenschutzmittel übersprühen, anstatt einfach die faulen Äpfel rauszuholen.“ Birgit Müller, Chefredakteurin „Hinz und Kunzt“: „Ich hab vollstes Verständnis, wenn jemand sagt, also ich hab hier drei Äh’s reingebracht und ich hab ein bisschen schludrig geredet. Ich hab vollstes Verständnis sogar da auch in der Wortwahl noch mal nachzubessern. Wofür ich gar kein Verständnis habe, ist, wenn inhaltlich was zurückgenommen wird.“

Demaskiert in der Öffentlichkeit

Bildausschnitt: Geschwärztes Interview von Olaf Scholz in der taz (Titel, Thesen, Temperamente – Lügen wie gedruckt vom 07.12.2003) So wie vom SPD Politiker Olaf Scholz. Vor einigen Jahren erzählte er der taz in einem Interview vieles. Weniger als die Hälfte sollte die Zeitung davon abdrucken. Wegautorisiert. Die taz wehrte sich - sie erschien mit der von Scholz geschwärzten Version. Michael Haller, Medienwissenschaftler Universität Leipzig: „Das hat ihn demaskiert in der Öffentlichkeit als jemanden, der in einem Interview, was er gesagt hat, nachher nicht mehr stand. Dass er sich schönen wollte. Dass er von sich sozusagen ein anderes Politikerbild vermitteln wollte, als er es in der Konfrontation mit dem Interviewer selber geboten hat. Und das war natürlich für ihn nicht unbedingt imagefördernd.“

Drohung im Kopf

Das Image ist auch für Schauspielerin Heike Makatsch enorm wichtig. In ihrem letzten Film „Hilde“ spielte sie die Hildegard Knef. Filmausschnitt „Hilde“ (NDR, Kulturjournal „Hilde“). Doch nur den ihr wohlgesonnenen Journalisten gewährte sie ein Interview. Hanns-Georg Rodek, Redakteur „Die Welt“: „In der Welt am Sonntag war eine Kritik zu den Makatsch-Film „Hilde“, um den es ging, erschienen und die war sehr negativ. Und dann bekamen wir plötzlich eine Mail, in der uns gesagt wurde: Weil die Kritik über den Film so negativ gewesen sei, könnten wir jetzt leider kein Interview mit Frau Makatsch führen.“ Nur wer freundlich berichtet und alle Autorisierungswünsche zulässt, bekommt ein Interview. Schauspieler und ihre Agenturen setzen Journalisten so unter Druck. Hanns-Georg Rodek, Redakteur „Die Welt“: „Es ist in der Weise ein Druckmittel, als manche freie, vor allem freie Interviewer natürlich darauf angewiesen sind. Es ist ja Lebensunterhalt Stars zu interviewen und diese Interviews zu verkaufen. Es ist gegenüber, sagen wir mal großen Redaktionen und angestellten Redakteuren, ein Druckmittel, das nicht wirklich hilft. Denn wir können eher sagen: Dann neben nicht.“ Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „Ich glaube, da sind wir alle viel zu feige geworden. Man hat nämlich immer die Drohung im Kopf, das war dann das letzte Interview.“ Bei Hinz und Kunzt will man jetzt nicht mehr feige sein und sich gegen den Autorisierungswahn wehren. Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „Wenn jemand ein Interview nicht autorisiert, bzw. wenn ich vorher nicht bestimmten Absprachen zustimme, dann kommen wir nicht ins Geschäft. Und wir haben beschlossen jetzt, also ganz radikal, dass wir solche Absprachen nicht mehr treffen.“

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 01.07.2009 | 23:00 Uhr

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