Sendedatum: 04.09.2020 19:30 Uhr

Otto Kemmerich, der Husumer Wunderschwimmer

von Carsten Prehn

Anfang des vergangenen Jahrhunderts konnten höchstens 20 Prozent der Deutschen schwimmen. Da machte in den 1920er Jahren ein Husumer Schlagzeilen, weil er immer wahnwitzigere Rekorde in Nord- und Ostsee aufstellte. Dies ist die unglaubliche Geschichte von Otto Kemmerich, dem Wunderschwimmer.

Schon immer ein Wasserfreund

Schon als Kind hatte er keine Angst vor dem Meer. Er lernte, stundenlang zu schwimmen. 1922, mit 36 Jahren, erregte er zum ersten Mal Aufsehen. Allen Warnungen zum Trotz stürzte er sich in die salzigen Fluten, erzählt der Sporthistoriker Erik Eggers: "Von Süderhafen, Nordstrand nach Steindeich bei Husum, eine Distanz von etwa sechs oder sieben Kilometern durch die Nordsee - die Leute haben ihn für verrückt erklärt, weil das absolut ungewöhnlich war, sich als Schwimmer in diese wilde Natur hinauszuwagen."

Quer durch die Ostsee

1925 schwamm Kemmerich von Fehmarn nach Warnemünde, einmal quer durch die Ostsee, 30 Seemeilen, also über 50 Kilometer. Dafür hat er mehr als 22 Stunden gebraucht und sich danach Weltmeister genannt. Noch keiner war vor ihm eine solche Strecke durchs offene Meer geschwommen.

Erik Eggers im Portrait
Erik Eggers schrieb das Buch "Der Mensch als Fisch – Die Abenteuer von Otto Kemmerich, friesischer Sportpionier".
„Der Mensch als Fisch"

Otto Kemmerich - geboren 1886 in Husum, aufgewachsen in Bredstedt. Mit 33 wurde er Berufsschwimmer, nachdem er mit der Veröffentlichung von Rechentabellen zu Geld gekommen war. Diese Lebensgeschichte beschäftigt den Autor und Journalisten Erik Eggers schon seit 20 Jahren. Er stammt aus derselben Gegend wie Kemmerich, nun hat er ein Buch über ihn geschrieben: "Der Mensch als Fisch – Die Abenteuer von Otto Kemmerich, friesischer Sportpionier". Unglaubliche Rekorde, aber wahr. Erik Eggers berichtet noch von etlichen unfassbaren Leistungen des Dauerschwimmers. Seine "Wattenmeer-Odyssee" führte ihn in Etappen von Husum über die Halligen, Föhr und Amrum bis nach Westerland auf Sylt. Der Nordfriese wurde schnell populär und gastierte bald auf allen nord- und ostfriesischen Inseln und in den großen Ostseebädern.

Ein Gruppe von Menschen posieren auf einem alten schwarzweiß Foto.
Kemmerich war berühmt und gastierte auf allen nord- und ostfriesischen Inseln und in den großen Ostseebädern.
Kemmerich war berühmt

Als Profi lebte Kemmerich von solchen Auftritten. Wie in Wyk auf Föhr hat er mit den Kurverwaltungen sämtlicher Badeorte Verträge geschlossen. Damals gab es weder Radio noch Fernsehen, und die Touristen mussten unterhalten werden: "Kemmerich ist rausgeschwommen, nach drei oder vier Stunden kam er wieder zurück und wurde bejubelt als Wunderschwimmer." Darauf folgte stets ein Vortrag im ausverkauften Kursaal. Der Husumer war eine Berühmtheit, selbst die Zeitungen in Amerika schrieben über ihn.

Der Traum, den Ärmelkanal zu bezwingen

Den Ärmelkanal zu bezwingen, das war Otto Kemmerichs großer Traum. Am 23. August 1926 sollte es soweit sein. Er schwamm los und war schneller unterwegs als alle Schwimmer, die die Strecke von der französischen zur englischen Küste vor ihm gemeistert hatten – klar auf Rekordkurs. Doch eine überraschende Attacke aus der Tiefe ließ alle Träume platzen, beschreibt Erik Eggers: "Ein großer Tümmler hat den Kemmerich quasi aus dem Wasser geschossen, Kemmerich wurde bewusstlos, musste aus dem Wasser gezogen werden, und der Versuch war damit beendet und auch seine Ärmelkanalkarriere."

Leo & Lea

Doch Kemmerich schwamm noch jahrelang weiter, zum Beispiel mit seinem Seelöwen Leo. Wer kann länger schwimmen - Mensch oder Tier? Nach 38 Stunden Wettkampf im Zirkus Busch in Hamburg musste der erschöpfte Leo aus dem Bassin gehievt werden, Kemmerich hielt noch 8 Stunden länger durch. Und dann kam Lea. Wie einen Hund hatte Kemmerich seine Löwin zu Hause in Osterhusum aufgezogen. Mit ihr trat er europaweit in Varietés auf. Bis sie krank wurde und erschossen werden musste.

Der letzte Marathon

Danach brachen magere Zeiten an. Misserfolge, Rückschläge. Aber ein Otto Kemmerich gibt niemals auf. Er wollte es noch mal wissen, mit 66 Jahren. Ein letzter Marathon: Start in Esbjerg, dann von Insel zu Insel durch die Nordsee bis nach Husum. Die Presse war informiert, und endlich flossen wieder Sponsorengelder. "Er ist eigentlich ganz gut durchgekommen, dafür, dass er nicht mehr im Topzustand war", sagt Erik Eggers, "und hat es dann nicht geschafft, von Hörnum, von der Südspitze Sylts nach Amrum zu schwimmen [...] Da hat ihn die Strömung einfach rausgerissen, und er ist ertrunken."

Das Meer hat ihn verschluckt und wieder ausgespuckt. Nach fünf Tagen, am 16. August 1952, wurde der Leichnam des Wunderschwimmers Otto Kemmerich bei Hedehusum vor Föhr geborgen.

 

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Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Schleswig-Holstein Magazin | 04.09.2020 | 19:30 Uhr