Schweriner Arztpraxis: Ist der Mediziner ein Corona-Verharmloser?

Stand: 12.05.2021 12:31 Uhr

In einer Schweriner Arztpraxis wurden offenbar die Corona-Hygienemaßnahmen nicht eingehalten - das führte dazu, dass über 200 Patienten und Patientinnen in Quarantäne mussten. Wie konnte es soweit kommen?

von Simona Dürnberg, Dörte Petsch und Marika Williams

In einem dringenden Aufruf hat sich die Stadt Schwerin am ersten Maiwochenende an über 200 Patienten und Patientinnen gewandt, die Ende April die Praxis eines Chirurgen besucht haben: Die Verwaltung wollte so Infektionen mit dem Coronavirus unterbinden - denn offenbar sollen der Arzt sowie zwei Mitarbeiterinnen positiv auf Corona getestet worden sein. Der Arzt und sein Praxispersonal müssen sofort in Quarantäne.

Anwalt weist Vorwürfe zurück

Wie sein Anwalt mitteilte, war der betreffende Mediziner von der Maskenpflicht befreit - aus gesundheitlichen Gründen. Laut Stadt Schwerin soll es in der Praxis bei dort Beschäftigten zu Verstößen gegen die Maskenpflicht gekommen sein. Der Anwalt des Mediziner weist diese Vorwürfe zurück. Sein Mandant selbst sei wegen einer ernsthaften Erkrankung von der Pflicht eine Maske zu tragen befreit.

Wir wollen wissen, was sich vor Ort wirklich abgespielt hat: Gleich zu Beginn unserer Recherche vor dem Ärztehaus, in dem der Chirurg seine Praxis hat, treffen wir auf Passantinnen und Passanten sowie Patientinnen und Patienten, die uns erzählen: Es sei bekannt, dass das Personal in der Praxis oftmals keine Maske getragen habe und dass in der Praxis ein Plakat gehangen habe, auf dem Masken tragende Menschen als Marionetten dargestellt wurden. Auch in Bewertungen im Internet werden wir fündig. Neben zahlreichen positiven Bewertungen seiner rein medizinischen Tätigkeit ist dort auch anderes zu lesen - geschrieben im Zeitraum, als die Corona-Fälle in der Praxis publik wurden. Dort ist die Rede von "mutwilliger Gefährdung von Patienten durch das nicht Tragen einer Maske" und "keine Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus in der Praxis eingehalten". Uns fällt noch ein weiterer Post auf: "AfD und rechtsnationale Propaganda im Wartezimmer".

Arzt ist Mitglied bei der AfD

Peter Bossow
Chirurg Dr. Peter Bossow Mitglied sitzt für die AfD in der Schweriner Stadtvertretung.

Tatsächlich ist der Chirurg Peter Bossow Mitglied der AfD. Er sitzt für diese Partei in der Stadtvertretung Schwerin, ist dort stellvertretender Vorsitzender der Fraktion und auch erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur, Gesundheit und Bürgerwesen.

Im Verlaufe unserer Recherche stellen wir fest, dass Bossow offenbar nicht der einzige Mediziner in Schwerin ist, der anscheinend nichts von den Corona-Maßnahmen hält. Im vergangenen Jahr kommt es wiederholt zu Veranstaltungen, an denen verschiedene Schweriner Ärzte und Ärztinnen teilnehmen. Redner bei einer Demonstration ist unter anderem auch Bodo Schiffmann, führender Aktivist der "Querdenker". Teile der Bewegung werden mittlerweile bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet.

Michael Kärn
Michael Kärn arbeitet als Augenarzt in Schwerin. Er nahm an einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen teil.

In der Schweriner Altstadt treffen wir auf einen an den Demonstrationen teilnehmenden Arzt: Michael Kärn. In seiner Praxis sollen Plakate hängen, die die Pandemie verharmlosen. Ein Gespräch, warum er diese Poster in seiner Praxis hängen hat und ob er in seiner Praxis Masken trägt, ist kaum möglich.

Schweriner Oberbürgermeister: Geht um "Meinungsfreiheit"

Für den Schweriner Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) geht es hier um "Meinungsfreiheit", so sagt er es im Interview mit Panorama 3. Das Ordnungsamt prüfe jeweils nur "anlassbezogen" und seit Beginn der Pandemie sei es fünf Mal in Schweriner Arztpraxen zu einer Überprüfung gekommen.

Andreas Crusius
Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, beklagt das Problem der Prüfbarkeit.

Der Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Andreas Crusius, beschreibt das Problem der Überprüfung - der Ärztekammer seien die Hände gebunden, denn wenn man kontrolliere, seien dann "meist die Plakate abgehängt, die Masken werden schnell hochgezogen und die Bürger und Bürgerinnen wollen keine Aussage mehr machen".

Staatsanwaltschaft ermittelt

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Schwerin gegen den Arzt Peter Bossow wegen des Anfangsverdachts des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz. Derzeit laufen die Ermittlungen noch.

Die meisten Patienten und Patientinnen, die die Praxis in dem betreffenden Zeitraum besucht haben, sind inzwischen getestet worden - und scheinen noch einmal glimpflich davongekommen zu sein: Bislang liegt noch kein positiver Corona-Test vor.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 11.05.2021 | 21:15 Uhr

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