Stand: 25.08.2020 20:05 Uhr

Greifvogel in Gefahr: Wer vergiftet den Rotmilan?

von Jörg Hilbert, Eike Köhler

Der Rotmilan ist in Deutschland sehr streng geschützt: Er darf nicht bejagt oder anderweitig verfolgt werden und es gilt das absolute Tötungsverbot. Doch zunehmend werden diese Greifvögel zum Ziel heimtückischer Angriffe. Offenbar gezielt werden in Norddeutschland Giftköder ausgelegt und Bäume samt Horsten gefällt.

Besonders dramatisch ist die Situation in Schleswig-Holstein. Im Bereich Rendswühren im Kreis Plön wurden allein in den vergangenen Monaten mehre tote Rotmilane gefunden. Zwei wurden nachweislich mit dem verbotenen Insektenvernichtungsmittel E605 vergiftet. In einem Wäldchen bei Holstendorf im Kreis Ostholstein haben Unbekannte eine rund 30 Meter hohe Buche gefällt und damit einen Rotmilan-Horst zerstört. Immer wieder gibt es den Verdacht, dass solche Taten mit der Planung und dem Ausbau von Windkraftanlagen zusammenhängen. Denn ein Rotmilan-Horst kann den Bau von solchen Anlagen behindern oder sogar verhindern.

VIDEO: Greifvogel in Gefahr: Wer vergiftet Rotmilane? (9 Min)

Konkrete Beweise für einen Zusammenhang der Vogel-Tötungen mit dem Windkraftausbau gibt es allerdings bisher nicht. Reporter von Panorama 3 haben sich die Frage gestellt: Wer kann ein Interesse am Verschwinden der Rotmilane haben?

NABU erhebt schwere Vorwürfe

Traurig schaut Oscar Klose auf den zerstörten Horst in dem Wäldchen bei Holstendorf. Er ist stellvertretender Landesvorsitzender des Naturschutzbundes NABU in Schleswig-Holstein. Die Täter haben vermutlich im vergangenen Winter die unbelaubte Buche mit dem gut sichtbaren Horst mit greller grüner Farbe markiert, um sie später belaubt besser wiederfinden zu können. Dann sind sie irgendwann im Juli zurückgekehrt und haben den Baum gefällt. Der Brutplatz ist verloren.

Ein gefällter Baum liegt auf dem Waldboden. © NDR Foto: Screenshot
Unprofessionell: Dieser Baum wurde nicht von Waldarbeitern gefällt.

Der oder die Täter hatten offenbar keine Ahnung von Forstwirtschaft. Denn der Baum liegt quer über einem Weg. Der unsachgemäß gesägte Keil lässt vermuten, dass die Buche eigentlich in eine andere Richtung fallen sollte. Ein Irrtum eines Waldarbeiters ist damit ausgeschlossen. "Ziel war es, den Milan zu vertreiben und den Brutplatz dauerhaft zu entwerten", ist sich Oscar Klose sicher. Der Naturschützer sieht einen klaren Zusammenhang mit den Windkraftplänen in der Umgebung, auch wenn noch nichts bewiesen sei. "Seit dem Windkraftboom hat die Zahl der illegalen Greifvogeltötungen zugenommen." Das sei nicht weg zu diskutieren, meint Klose.

Rotmilan verhindert Windkraftanlagen

Tatsächlich hat das Land direkt neben dem Wäldchen ein Vorranggebiet für den Ausbau der Windkraft ausgewiesen. Die Regionalplanung für den Windkraftausbau ist noch nicht abgeschlossen, doch das mögliche Gebiet ist erst einmal öffentlich. So könnten auch die Täter von ihm erfahren haben. Es liegt innerhalb eines 1-Kilometer-Radius um den nun zerstörten Horst. In diesem Umkreis dürfen aber gar keine Windräder geplant oder gebaut werden. Nach Panorama 3 vorliegenden Informationen war der Horst dem Land bei der Ausweisung des Gebietes nicht bekannt. Der Horst wurde erst im Frühjahr 2019 entdeckt. Ausgerechnet bei den vogelkundlichen Untersuchungen zu dem ebenfalls nahegelegenen und schon länger bestehenden Windpark Kesdorf im Kreis Ostholstein. Der Milan hätte die dort geplanten größeren Anlagen nicht verhindert, denn sie liegen mehr als anderthalb Kilometer vom Horst entfernt. Bei den Planungen für das Repowering muss er dennoch berücksichtigt werden. Es darf kein geschützter Vogel über das normale Lebensrisiko durch Windkraftanlagen gefährdet werden.

Torsten Levsen, Geschäftsführer des Betreibers vom Windpark Kesdorf. © NDR Foto: Screenshot
Weist Vorwürfe zurück: Torsten Levsen.

Torsten Levsen, Geschäftsführer des Windparkbetreibers in Kesdorf, betont im Interview mit Panorama 3, kein professioneller Windkraftunternehmer habe Interesse an diesen Attacken auf den Rotmilan: "Ich weiß nicht wer das macht, aber es machen Leute, die sich mit der Windkraftplanung nicht so gut auskennen wie Vollprofis." Man gebe viel Geld dafür aus, dass das Vorkommen der Vögel untersucht werde. Wenn der Rotmilan dann fehle, müsse man neue Untersuchungen anstellen. Dabei entstünden dann weitere Kosten. Auch die Landessprecherin des Bundesverbandes Windenergie, Jana Lüth, wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe des NABU: "Das sind Straftaten und auch wir haben ein großes Interesse an der Aufklärung."

Kein Vorteil für den Ausbau?

Beim Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume LLUR werden die für die Windkraftplanung bedeutenden Greifvogelhorste erfasst, und die illegalen Attacken. Auch Pressesprecher Martin Schmidt sieht in diesen keinen Vorteil für die Windkraftbranche. Zerstörte Horste oder getötete Vögel seien "planungstechnisch weiterhin existent". Und das für drei Jahre.

Oscar Klose, stellvertretender Landesvorsitzender des Naturschutzbundes NABU in Schleswig-Holstein. © NDR Foto: Screenshot
Sieht einen Vorteil für die Windkraftbranche: Oscar Klose.

Naturschützer Oscar Klose sieht dagegen sehr wohl einen Vorteil für die Windkraftbranche, denn für ihn ist "nach der Windkraftplanung vor der Windkraftplanung." Es werde in einigen Jahren erneut die Suche nach Flächen für die Windkraft geben. Ein verlassenes Rotmilan-Revier könne dann problemlos für die Planung frei gegeben werden. Auch im Umfeld der vergifteten Rotmilane im Bereich Rendswühren soll es mit der Windkraft voran gehen. Alles nur Zufälle? Im März und April wurden dort von einem Jäger drei tote Rotmilane mit Vergiftungsverdacht gefunden. Bei zwei der Vögel konnte das seit vielen Jahren verbotene Insektenvernichtungsmittel E605 nachgewiesen werden. Schon in den vergangenen Jahren gab es in der Umgebung weitere Vergiftungsfälle.

Straftaten als "logische Folge"?

Auch Windkraftunternehmer Levsen sieht durchaus einen Konflikt zwischen Rotmilan und Windkraft. Der individuelle Schutzstatus jedes einzelnen Vogels sei ein Problem, man müsse eher die Population fördern. "Wenn wir das so absolut machen, dass wenn da ein Horst ist, dass da dann keine Windkraftanlagen hinkommen, dann ist die logische Folge Straftäter machen was oder man akzeptiert das einfach." Eine brisante These, die bedeutet, dass einzelne streng geschützte Vögel schon mal für den Ausbau der Windkraft sterben müssen, während an anderer Stelle die Population gefördert wird. Das wird die Akzeptanz vieler Natur- und Vogelschützer für die Windkraft vermutlich nicht erhöhen. Wichtiger wäre es den Tätern habhaft zu werden. Und die Suche sollte sich nicht auf die Profiteure der Windkraft beschränken. Es gilt auch hier die Unschuldsvermutung.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 25.08.2020 | 21:15 Uhr

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