Stand: 10.04.2017 16:36 Uhr

Gedanken eines Obdachlosen

von Mareike Fuchs

Ich fühle mich wie ein alter Mann, der alles verliert, sagt Mihai Prefac und schaut dabei auf das, was zwei Jahre lang sein Ausblick war: Die rot-grauen Waggons der S-Bahn, wie sie über die Brücke hinter Hamburgs Binnenalster rollen; die Doppeldeckerbusse voller Touristen, die im Schritttempo an ihm vorbeichauffiert werden, die Augen staunend auf die teuren Boutiquen gerichtet oder das Glitzern der Wasserfontäne in der Sonne. Einen wie ihn sehen die meisten nicht. Wir haben ihn fast ein Jahr mit der Kamera begleitet.

VIDEO: Gedanken eines Obdachlosen am Jungfernstieg (6 Min)

Mihai Prefac ist Bettler. Am schicken Hamburger Jungfernstieg ist sein Platz. In seinem Rücken das Schaufenster mit Schokolade. 5,90 Euro zahlt man hier mitunter für 100 Gramm Schokolade. Zu seiner Linken ein Schuhladen, in dem ein Paar Sommersandalen mit Lederriemchen und Strass-Steinchen 220 Euro kostet. Seinen Klappstuhl hat er geschenkt bekommen. Fast drei Jahre lang kam er täglich hierher und saß genau an diesem Platz, vor sich einen Pappbecher. Am guten Tagen nahm er so rund 25 Euro ein. Längst nicht alle Tage waren gute Tage.

Früher war er Schauspieler und die Mädchen umschwärmten ihn

Prefac ist eigentlich gelernter Schauspieler. An der staatlichen Schule für Schauspiel in Rumänien machte er seinen Abschluss. Später arbeite er als Anstreicher. Er hatte einen Unfall und brach sich beide Beine, erzählt er. Seitdem kann er nicht mehr arbeiten. Und von den rund 50 Euro Frührente könne man auch in Rumänien nicht leben, sagt er.  Als dann auch noch seine Frau starb, hielt ihn nichts mehr in seinem Heimatort in der Nähe von Herrmannstadt. Freunde fragten ihn, ob er mit nach Hamburg kommen wolle, betteln. Das war für ihn immer noch besser als Rumänien.

Zwei Jahre lang lebte er in einer Gruppe mit anderen Bettlern und Straßenmusikanten in einem Schlafwagen außerhalb der Stadt. Sie teilten ihre Einnahmen, kümmerten sich umeinander. Nachdem einer aus der Gruppe starb, brach die Gemeinschaft auseinander. Seit Oktober ist Prefac auf sich alleine gestellt. Bis Januar lebte er in einer Unterkunft, die ihm Bekannte vermittelt hatten. 200 Euro zahlte er für ein Zimmer in einer Art Baracke. Im Januar musste er plötzlich ausziehen - warum, weiß er nicht.

Seine Papiere wurden geklaut

Prefac lebte drei Wochen auf der Straße, schlief jede Nacht in der U-Bahn, "bis das Sicherheitspersonal mich rausschmiss", sagt er. Sein Rucksack mit seinen Papieren wurde geklaut. Tagsüber saß er in Turnschuhen bei Minusgraden auf seinem Platz. Er fing sich eine Entzündung ein, trotz seiner Gehstütze konnte er kaum noch laufen. Schließlich wurde ein Sozialarbeiter der Organisation Plata von der Hamburger Stadtmission auf ihn aufmerksam und nahm sich seiner an. Weil er gesundheitlich so angeschlagen war, durfte Prefac vorübergehend in einer Unterkunft für Obdachlose schlafen.

Inzwischen geht es ihm wieder besser. Und das ist für ihn nicht nur positiv. Denn dauerhaft bleiben darf er in der Obdachlosenunterkunft nicht. Das dürfen nur die, die Ansprüche auf Sozialleistungen in Hamburg haben. Eine eigene Unterkunft hat Prefac nicht gefunden. Eine Krankenversicherung hat er auch nicht. Und so bleibt für ihn nur der Weg zurück. In wenigen Tagen wird er in einem Bus nach Rumänien sitzen.

Er will wiederkommen - wenn er eine Unterkunft gefunden hat

"Wenn ich nach Hause komme, werde ich Blumen kaufen, in die Kirche gehen und dort für die Menschen aus Hamburg beten", sagt Prefac. "Hamburg gab mir zu essen, Hamburg gab mir zu trinken. Ich bin Hamburg sehr dankbar." Was er in Rumänien machen wird, wisse er noch nicht. Doch sein Fernziel ist klar: "Ich möchte wieder zurück nach Hamburg."

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 11.04.2017 | 21:15 Uhr