Der Streit um den Wolf in Niedersachsen

Stand: 16.11.2020 14:12 Uhr

Der Wolf erhitzt die Gemüter: Die einen beklagen gerissenes Vieh und fürchten die Gefahr für den Menschen. Die anderen wollen die Tiere schützen und Abschüsse verhindern. Niedersachsen will den Wolf nun ins Jagdrecht aufnehmen.

von Mirco Seekamp und Timo Robben

Ulrich von Behr © NDR Foto: Screenshot
Der Weidetierhalter Ulrich von Behr hat durch den Wolf zwei seiner Rinder verloren.

Früh am Morgen fand Ulrich von Behr sein Kalb. Beziehungsweise das Gerippe, was noch davon übrig war. "Es war erschreckend vor allen Dingen, weil es ein gesundes Kalb war und ich hatte gedacht, es wäre über das Gröbste hinweg. Das hat sich jetzt als Trugschluss herausgestellt. Das Kalb war gänzlich aufgefressen", sagt der Weidetierhalter. Insgesamt zwei Rinder wurden auf seinen Wiesen gerissen - vom Wolf. Diese beiden Risse sind bei Weitem nicht die einzigen in der Region. Insgesamt wurden laut Landesjägerschaft Niedersachsen in Niedersachsen allein im Jahr 2020 insgesamt über 1.000 Tiere gerissen.

Aufnahme des Wolfes ins Landesjagdgesetz

Helmut Dammann-Tamke © NDR Foto: Screenshot
Die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht sei der erste Schritt für zukünftiges Wolfsmanagement, sagt Helmut Dammann-Tamke.

Auch deswegen möchten jetzt die Fraktionen der niedersächsischen SPD und CDU den Wolf ins Landesjagdgesetz aufnehmen. Sie haben einen entsprechenden Entschließungsantrag ins Parlament eingebracht - eine Handlungsaufforderung an die Landesregierung. Denn so ginge es nicht weiter ist sich der Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen sicher. Er sieht den Wolf auf dem Vormarsch. "Er wird auch zukünftig mehr und mehr an Wohngebiete herankommen und die Akzeptanz der Menschen wird rapide sinken. Deshalb ist die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht der erste Schritt im Hinblick auf ein zukünftiges Wolfsmanagement", so Helmut Dammann-Tamke. Der Landesjägerschaft-Vertreter ist gleichzeitig in der CDU-Fraktion des Landtags vertreten und hat so den Entschließungsantrag mitgetragen.

Er sieht das französische Modell als Vorbild. Das Nachbarland hat eine Untergrenze für den Wolf festgelegt, die nicht unterschritten werden darf. Solange das nicht passiert, darf der Wolf unter bestimmten Umständen gejagt werden, um so die Population einzugrenzen. Das sogenannte Wolfsmanagement ist allerdings nach FFH-Richtlinie der EU nur bestimmten EU-Staaten vorbehalten - weder Schweden noch Frankreich gehören dazu. Beide Länder riskieren Klagen seitens der EU. Auch Deutschland darf laut EU-Richtlinie nicht ohne Weiteres den Wolf jagen.

Alles reine Symbolpolitik?

Holger Buschmann © NDR Foto: Screenshot
Holger Buschmann, Landesvorsitzender des NABU in Niedersachsen, hält die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht für reine Symbolpolitik.

"Wenn der Wolf jetzt ins Jagdrecht aufgenommen werden würde bedeutet das überhaupt nichts. Weil der Wolf nach wie vor streng geschützt ist über die europäische Richtlinie. Und es ist auch nichts daran zu rütteln. Insofern ist das sowieso nur Symbolpolitik", sagt Holger Buschmann, der Landesvorsitzende des NABU in Niedersachsen. Das Ganze sei nur eine Nebelkerze. Wichtiger wäre eine Weidetierprämie, die den Weidetierhaltenden den Mehraufwand, der durch den Wolf verursacht wird, ausgleicht. Und dieser Mehraufwand ist nicht unerheblich.

Landwirtin Elisabeth Fresen hält Rinder auf insgesamt 120 Hektar. Präventiv lässt sie das Gelände einzäunen - um ihre Herde von Anfang an vor möglichen Wolfsangriffen zu schützen. Der NABU hilft ihr dabei. Der Verein stellt Ehrenamtliche, die beim Zaunbau helfen. Eine große Entlastung für die 30-Jährige. "Ohne die würde ich es niemals schaffen und es wäre natürlich toll, wenn die Politik das auch unterstützt, wenn sie die Arbeit ganz konkret zahlt. Man kann von uns nicht verlangen, dass wir uns auf den Wolf einstellen, uns dann aber damit allein lassen", so Fresen.

Keine Weidetierprämie in Planung

Olaf Lies © NDR Foto: Screenshot
Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies befürwortet die Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht.

Zwar fördert das niedersächsische Umweltministerium das Herdenschutzprojekt zum Teil - eine konkrete Weidetierprämie ist im Moment aber nicht in Planung. Trotzdem wolle man etwas tun, versichert Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) im Panorama 3-Interview: "Wir sehen in Niedersachsen eine sehr hohe Zahl an Tieren. Wir haben 1000 Nutztierrisse und wir müssen doch überlegen, selbst wenn wir sagen: Das mag ja alles noch erträglich sein, dann geht die Entwicklung weiter." Auf Nachfrage, ob denn die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht die richtige Lösung sei, antwortet er: "Die Aufnahme ins Jagdrecht wird es nicht lösen. Denn das Jagdrecht gibt dem Jäger ein Stück mehr gefühlte Sicherheit und mehr nötige Akzeptanz für die Entnahme." Faktisch ändert sich für den Wolf und die Menschen in der Region erstmal nichts.

Der Bund erteilt dem Vorstoß schon im Vorfeld eine Absage. Auf Anfrage antwortet das Bundesumweltministerium: "Unabhängig von verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Aufnahme des Wolfs in das Landesjagdrecht, ist die klassische Bejagung des Wolfs nicht mit der europäischen Flora-Habitat-Richtlinie vereinbar.” Der Vorschlag vom Bund: "Der Schutz der Nutztiere durch geeignete Herdenschutzmaßnahmen ist dabei aus Sicht des BMU die wirksamste Maßnahme gegen Wolfsangriffe."

Auch die Aufnahme des Wolfes ins Landesjagdgesetz wird es also nicht vereinfachen, sogenannte Problemwölfe zu schießen. Ulrich von Behr versteht das Lavieren der Politik nicht. "Der Wolf ist erst bejagbar, wenn die Bundesregierung oder Brüssel die Richtlinien verändern. Im Moment suggeriert man der Bevölkerung eine gewisse Sicherheit, die nicht da ist." Dabei sind sich in einem Punkt Weidetierhalter, Jäger und der NABU einig: Problemwölfe müssen geschossen werden. Es ist an der Politik, dafür einen adäquaten rechtlichen Rahmen zu finden.

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Ein europäischer Wolf (canis lupus lupus) guckt aus einem Wald mit Gebüsch hervor. © ImageBROKER / dpa Picture Alliance Foto: Frank Sommariva

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 17.11.2020 | 21:15 Uhr

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