Sendedatum: 11.02.2014 21:15 Uhr

Bahnwachen: wenn Sicherheitskräfte ihre Kompetenzen überschreiten

von Jörg Hilbert & Philipp Kafsack
Bahnwachen: wenn Sicherheitskräfte ihre Kompetenzen überschreiten © NDR
Das Geschäft mit der Sicherheit boomt - auch und gerade im öffentlichen Raum.

Sie patrouillieren auf Bahnhöfen, in U- und S-Bahnen, die Angestellten kommerzieller Sicherheitsunternehmen. Das Geschäft mit der Sicherheit boomt. Rund 5,2 Milliarden Euro Umsatz machte die Branche nach Angaben des statistischen Bundesamtes im Jahr 2011. Während die Zahl der Polizisten seit Jahren sinkt, steigt die der privaten Wachleute. Mittlerweile stehen 175.000 Wachleute rund 245.000 Polizisten gegenüber.

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Rechtliche Grauzone "Jedermannrechte"

Bewacht die Sicherheitsbranche Firmengelände, Bürogebäude, Einkaufszentren oder Industrieanlagen, ist das die Sache des jeweiligen Eigentümers. Er lässt sein Eigentum von Wachleuten schützen und setzt mit diesen gegebenenfalls sein Hausrecht durch. Vor 20 Jahren noch war das die eigentliche Aufgabe kommerzieller Sicherheitsdienstleister. Doch mittlerweile ist die Branche weit in den öffentlichen Raum vorgedrungen. Dazu gehören die Überwachung von Bahnhöfen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei bewegen sich die privaten Wachleute in einer rechtlichen Grauzone, denn sie haben keine polizeilichen Befugnisse. Für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist die Polizei zuständig. Sie darf z.B. Ausweiskontrollen durchführen, die privaten Wachleute nicht.

Wachleute haben lediglich sogenannte "Jedermannrechte", d.h. Befugnisse, die jeder Bürger hat. Dazu gehören die bürgerlichen Schutz- und Selbsthilferechte sowie die strafrechtlichen Notwehr- und Festhalterechte. Volker Eick von der Humboldt-Universität hält das für problematisch. Seines Erachtens seien sowohl die Jedermann- als auch die  Notwehrrechte geschaffen worden, damit der Bürger sich in Notsituationen selbst verteidigen kann. "Aber das sind ja keine Notsituationen, in denen diese Wachleute tätig werden, sondern das ist ihr alltägliches Geschäft", kritisiert Eick. Es gebe innerhalb der EU nur drei Länder, in denen die Rechte und Pflichten kommerzieller Sicherheitsdienste nicht gesetzlich geregelt seien. "Das sind Zypern, Österreich und die Bundesrepublik", so Volker Eick.

Übergriffe durch "Täter in Uniform"

In der Öffentlichkeit, besonders in U- und S-Bahnen sowie auf Bahnhöfen erwecken viele Wachleute hingegen den Eindruck, als seien sie so eine Art Polizei in Uniform, ausgestattet mit Schlagstöcken und Handschellen. Offenbar glauben auch viele Wachleute selbst, sie hätten das Gewaltmonopol in den von ihnen kontrollierten Bereichen - aller Nachschulungen, die sie besuchen müssen, zum Trotz. Dabei kommt es immer wieder auch zu Übergriffen auf harmlose Fahrgäste.

Dierk Becker © NDR
Dierk Becker wollte Touristen helfen, die von Wachleuten bedrängt wurden - und wurde darauf in Handschellen davon geschleppt.

Dierk Becker betritt die Hamburger U-Bahn noch heute mit gemischten Gefühlen. Im April 2009 wollte er ausländischen Touristinnen helfen, die von zwei Mitarbeitern der U-Bahnwache kontrolliert und aggressiv bedrängt wurden. Dadurch fühlten sich die Wachleute offenbar gestört. Sie griffen Dierk Becker unvermittelt an, schlugen ihn und schleppten ihn in Handschellen davon. Noch heute leidet der Rentner unter den Folgen. Er erstattete Anzeige, die Täter wurden wegen gefährlicher Körperverletzung zu Bewährungsstrafen verurteilt und entlassen. Der Sprecher der Hochbahn, Christoph Kreienbaum, sieht darin einen bedauerlichen Einzelfall, auf den man mit der Entlassung und einer verbesserten Ausbildung reagiert habe.

Doch längst nicht jeder Übergriff kommt an die Öffentlichkeit. Oftmals kommen die Täter in Uniform ungestraft davon. Ihre Opfer sind oft Arme auf Bahnhöfen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. "Wohnungslose oder Bettlerinnen und Bettler haben in der Regel keine Lobby. Und wenn das nicht gesehen wird, dann trauen die sich auch nicht, sich zu beschweren, wissen zum Teil auch gar nicht, wo Sie sich beschweren dürfen", so Volker Eick.

Anzeige wegen Verleumdung

Wer einem Angriff durch Sicherheitsleute nicht tatenlos zusieht, kann schnell selbst zum Opfer werden: Daniel Mack beobachtete am Frankfurter Hauptbahnhof wie Mitarbeiter der Deutschen Bahnwache brutal auf einen am Boden liegenden Fahrgast einschlugen. Als der ehemalige Landtagsabgeordnete dagegen protestierte und die Szene mit seinem Handy filmen wollte, wurde er rassistisch beschimpft und geschlagen. Daniel Mack hat ein Foto des Zwischenfalls auf Twitter veröffentlicht und viel Zuspruch anderer von ähnlichen Vorfällen betroffener Fahrgäste erfahren. Doch nun sieht er sich selbst mit einer Anzeige der Wachleute konfrontiert, wegen Verleumdung. Die konkreten Fragen von Panorama 3 zu dem Zwischenfall hat die Deutsche Bahn mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht beantwortet.

 

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 11.02.2014 | 21:15 Uhr

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