"Illegale Migration": Warum dürfen "Legale" nicht kommen?
Geflüchtete Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage sitzen in Pakistan fest - ihre Zukunft ist ungewiss. Der Ex-Fallbearbeiter für das Innenministerium äußert sich nun erstmals und warnt vor einem Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien.
Die Vorsitzende eines afghanischen Frauenvereins, ein ehemaliger Regierungsmitarbeiter aus Kabul: Sie sind nur zwei von rund 2.450 gefährdeten Afghaninnen und Afghanen mit gültiger deutscher Aufnahmezusage, die derzeit in Pakistan auf ihre Ausreise nach Deutschland warten - und in Ungewissheit leben. Sie haben sich für Frauenrechte und Demokratie eingesetzt und wurden von den Taliban verfolgt. Deshalb hat sie Deutschland für das Bundesaufnahmeprogramm ausgewählt, das nun von der neuen Bundesregierung beendet wird. Fälle wie ihre sollen zudem, so Kanzleramtschef Thorsten Frei, erneut geprüft und bereits erteilte Aufnahmezusagen nach Möglichkeit wieder entzogen werden.
Ehemaliger Fallbearbeiter äußert sich erstmals

In dieser Debatte hat sich nun erstmals Tilmann Röder, der ehemalige Chef der Fallbearbeitung im Panorama-Interview geäußert. Seine "Koordinierungsstelle der Zivilgesellschaft" war im Auftrag des Bundesinnenministeriums tätig. Der promovierte Jurist sagt: "Die Forderung, jeden Einzelfall erneut zu prüfen, ist ein Affront gegenüber allen Beteiligten am Programm. Gegenüber der Koordinierungsstelle und ihren Mitarbeitern, aber auch und insbesondere gegenüber den deutschen Behörden, die jeden Fall genau durchleuchtet haben und jenseits von Zweifeln zum Ergebnis gekommen sind, wer diese Menschen sind und dass sie einen Grund haben, aufgenommen zu werden".
Die Koordinierungsstelle war bis Ende 2024 zuständig für die erste Auswahl besonders gefährdeter Afghaninnen und Afghanen, die dann zur weiteren Prüfung an deutsche Behörden weitergegeben wurden. "25 Fachleute aus verschiedenen Themenbereichen haben dort gearbeitet und jeden Fall nach dem Vier-Augen-Prinzip geprüft", sagt Röder. "Wenn die geringsten Zweifel aufkamen, wurden interne Spezialisten, etwa zu afghanischen Behördenpapieren oder zu Islamismus, herangezogen. Dort wurde sauber gearbeitet und ich habe keine Zweifel an einem einzigen Fall, der damals über unsere Schreibtische gegangen ist."
Die Koordinierungsstelle habe die geprüften Fälle schließlich an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitergegeben, das diese noch einmal auf Plausibilität überprüfte. Erst dann wurde das Visum für Deutschland in der deutschen Botschaft in Islamabad ausgestellt.
Afghanen mit deutscher Zusage in Pakistan gestrandet
Auf Anfrage von Panorama teilt das Bundesinnenministerium mit, eine Entscheidung über die Aufnahme der bereits bewilligten Fälle stehe noch aus - bis dahin seien Einreisen grundsätzlich ausgesetzt. "Als Jurist und als Bürger dieses Landes erwarte ich, dass diese Zusagen eingehalten werden", sagt Röder. "Sie sind insbesondere beim Bundesaufnahmeprogramm rechtlich bindende Zusagen. Ich erwarte auch, dass sie effektiv umgesetzt werden. Man kann nicht so vorgehen, dass man versucht, diese Leute so lange hängen zu lassen, dass sie abgeschoben werden oder anderweitig aufgeben. Das wäre schäbig", sagt er.
Erstmals Einsicht in die Aufnahmeliste
Panorama-Reporter erhielten erstmals Einsicht in die vollständige Liste aller noch in Pakistan wartenden Afghanen mit deutscher Zusage. Darunter sind ehemalige Ortskräfte deutscher Organisationen, Menschenrechtsaktivistinnen und auch hochrangige ehemalige Regierungsbeamte, wie etwa ein Mitarbeiter aus dem Büro des letzten Vize-Präsidenten Amrullah Saleh.
Der ehemalige Regierungsbeamte erklärt gegenüber Panorama: "Ich habe in meinem politischen Amt und in öffentlichen Reden und Artikeln immer wieder die Ideologie der Taliban angegriffen. Ich werde gesucht. Viele meiner ehemaligen Kollegen wurden bereits festgenommen und hingerichtet." Seit mehr als einem Jahr wartet er mit seiner Frau und Kindern in Pakistan auf die Ausreise nach Deutschland.
Für Menschen wie sie verschärft sich die Lage in Pakistan. Das Land schiebt seit Monaten tausendfach afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland ab. Die bedrohten Personen mit deutscher Zusage müssen ihr Visum jeden Monat von den pakistanischen Behörden erneuern lassen. Sie erhalten die Verlängerung allerdings nur, solange Deutschland die Absicht bekundet, sie auch aufzunehmen.
Bundesregierung zieht Mitarbeiter ab
Nach Informationen von Panorama zieht das Bundesinnenministerium am 15. Mai alle Mitarbeiter des BAMF aus Pakistan ab, die an der abschließenden Prüfung der Fälle vor Ort beteiligt sind. Grund dafür ist laut BMI die angespannte Sicherheitslage aufgrund des Indien-Pakistan-Konfliktes.
Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sind bereits abgereist, wie das Innenministerium bestätigte. Unklar bleibt, wann und ob sie wieder zurückreisen, um die Fälle abzuschließen.
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